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# taz.de -- Umweltschutz in der Sprache: Worte, die blühen
> Die Zukunftsdebatte braucht eine andere Sprache. Die Zeit des
> Start-up-Geschwurbels und Technokraten-Sprechs ist vorbei.
Bild: „System change – not climate change“, heißt die weltweite Devise a…
Der Faktor Sprache rückt stärker ins Zentrum der Zukunftsdiskurse. Das
zeigen etwa Leitfäden für eine [1][klimagenaue Sprache], die Medien aus den
USA und Großbritannien sowie zuletzt die taz verfasst haben. Es ging in dem
Papier um ein vielfältigeres Klimavokabular. Doch für eine schöne, genaue
und klare Zukunftssprache reicht das nicht. Denn folgenschwerer als ein
unpassendes Klimawandel-Synonym ist unsere alltägliche Wortwahl. Auch wenn
wir über Umwelt und Natur sprechen und schreiben, klingt es oft ungenau,
aufgebläht, sperrig und kalt – so, wie eben die Melange aus Wissenschafts-
und Behördendeutsch, Techno-Jargon, Start-up-Geschwurbel und
Unternehmens-Sprech ist, die wir uns angewöhnt haben. In der Zeit hat der
Kulturwissenschaftler Andreas Bernard unlängst gefragt, warum wir uns alle
so ausdrücken, als wenn wir in Bewerbungsgesprächen wären – wir optimieren
uns, stellen uns breit auf, wollen im Wettbewerb bestehen.
Sprache macht Welt, das ist nicht neu. Deswegen ist der Anteil der
fortwährenden Investment- und Managementkommandos in der Alltagssprache an
Phänomenen wie Ich-Gesellschaft, Wettbewerbsfetischismus und Hyper-Eile
nicht zu unterschätzen. Die viel zitierte Ökonomisierung aller
Lebensbereiche, geschieht auch über und in der Sprache – nur haben wir
darüber kaum gesprochen.
Die progressiven Protestbewegungen und die düsteren Klimaprognosen der
letzten Jahre unterstreichen, was viele schon lange wussten: Das allseitige
[2][Wettbewerbsparadigma], der Fetisch des permanenten
Wirtschaftswachstums, ist menschen- sowie erdfeindlich.
Es geht um ein Gesamtsystem, das sich verändern muss. Deshalb ist eine
klimagenaue Sprache zwar wichtig, greift aber alleine zu kurz. Die Debatte
um Klimasprache muss sich auch um die Gerechtigkeit für Erde und
Gesellschaft kümmern – und sich nicht nur darauf beziehen, wie Medien über
eine Klimakonferenz verständlicher berichten können. „System change – not
climate change“, heißt stattdessen die weltweite Devise in diesem Herbst.
Wer Klimagerechtigkeit einfordert, nimmt auch eine kapitalismuskritische
Haltung ein. Daher ist es in den öffentlichen Diskursen so wichtig, dem
ökonomischen Effizienzgeschwurbel den Stecker zu ziehen. Stattdessen
brauchen Mensch und Erde eine Sprache, die blüht, lebt, genau und treffend
ist wie auch erhellend und mitreißend.
Wie wichtig eine sprachliche Erneuerung unserer sozialen Beziehungen,
unserer Einstellungen gegenüber Natur und Mitmenschen ist, hat Eva von
Redecker jüngst in „Revolution für das Leben“ ausgeführt. Eine
lebensbejahende Transformation braucht und erzeugt eine Sprache, die auf
Teilen, Teilhabe und Pflege ausgerichtet ist – und die uns befreit von
technokratischen Sprachspielen, Kriegsmetaphern und kapitalistischer
Verwertungslogik. Wie viel schon entglitten ist, hat der Förster Peter
Wohlleben verstanden, der im Sachbuch eine andere Sprache wagte – und damit
viele neu für den Wald begeisterte.
Ebenso unerwartet war der Erfolg der Naturbücher in den vergangenen Jahren.
Die Werke, die unter dem Genre „nature writing“ zusammengefasst werden,
verbinden oft wissenschaftliche Fakten mit einer poetischen Sprache und der
subjektiven Emotionalität der AutorInnen, die Übersetzer einer leidenden
Landschaft und ihrer Menschen sind. Der Erfolg dieser Werke ist ein Erfolg
ihrer anderen Sprache. Und ein Zeichen dafür, dass der technokratische
Kalt- und Spaltjargon an sein Ende kommt.
Das Übel der Wirtschaftssprache wird gesteigert durch die vernebelnde
Maschinen- und Knopfdrucksprache des digitalen Kapitalismus. Diese Sprache,
für die das Wörtchen „smart“ nur ein Beispiel ist, ist die Sprache des
„Solutionismus“, wie ihn der Soziologe Oliver Nachtwey beschreibt: Eine
Sillicon-Valley-Denke als dominante Allmachtsfantasie, nach der jedes
Weltproblem mit einer Technologie gelöst werden kann – eine grobe
Vereinfachung der komplexen Beziehungs- und [3][Lebensverhältnisse] auf der
Welt. Und eine Absage an Demokratie und Kompromiss. Der Solutionismus
verdrängt den Staat zugunsten eines Unternehmer-Messias, der allein auf
seinen (männlichen) Genius und die kreative Zerstörung (sie nennen es
„Disruption“) setzt, die ständig alles ins Wanken bringt.
Dabei heraus kommt die „Selbstoptimierung“, die suggeriert, dass nach einer
gezielten Strategie samt Knopfdruck alles besser ist. Da ist kein Platz für
Widersprüche, Misserfolge, Kurven, Umwege oder Pausen. Es entstehen Eile,
Verdrängung und Wettbewerb mit solchen Worten – ein „agiles“ Denken, um
noch eines dieser Schwurbelwörter zu bemühen, das alles vermeintlich
Überkommene, Träge, Randständige und Ineffiziente löscht.
Wer Klarheit nicht kann, zaubert Chimären herbei. Ein Scheunentor-Wort wie
„smart“ heißt vieles – und nichts: klug, clever, effizient, funktional,
fair gar, irgendwie gut und allseits passend, am Ende noch gerecht oder
schön. „Smart City“ ist eine Wortschöpfung, die eine neue, ökologisch
passende und obendrein menschenfreundliche, bequeme sowie kluge Stadt
suggeriert. Aber eben keine kollektive solidarische Stadtgesellschaft, die
im Rahmen der Erdgrenzen lebt. Soziale Belange, unmittelbare Erdbezüge oder
auch ethische Fragen spielen in diesen Techno-Visionen meist keine große
Rolle. Stattdessen sind es die Marketing-Sprachbilder einer problemfrei
funktionierenden Zukunftsmechanik, in der Gesellschaft ein Rädchen von
vielen ist.
Mit der blühenden Sprache der neueren Naturbücher, der neuen
Protestbewegungen und einer revolutionären Philosophie hat dieses
Fabulieren wenig gemein. Zum Glück, denn die Zukunftsdebatte braucht eine
Sprache, die ohne Lösungsfimmel ästhetische und gestalterisch-nützliche
Facetten zusammenführt und gleichsam erfreut wie erklärt.
21 Nov 2020
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## AUTOREN
Gösta Gantner & Torsten Schäfer
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