| # taz.de -- Roman „Asche ist furchtlos“: Ein staunender Außenseiter | |
| > Wo sich Clint Lukas auf eigene Erfahrungen im Nachtleben stützt, | |
| > überzeugt sein Roman „Asche ist furchtlos“. Seine Frauenfiguren tun es | |
| > weniger. | |
| Bild: Der Autor war laut Kurzvita „jahrelang als Grenzgänger im Berliner Nac… | |
| Er sei bekannt dafür, nichts erfinden zu können, sagt der Autor Clint Lukas | |
| über sich selbst. Nur über Dinge, die er selbst erlebt habe, könne er | |
| schreiben. Dagegen ist nichts zu sagen. Hält man sich an Marcel | |
| Reich-Ranicki, sind es nur die Dilettanten, die erfinden. Echte Autoren | |
| dagegen finden. | |
| In seinem neuen Roman „Asche ist furchtlos“, der in dem Indieverlag | |
| Periplaneta erscheint, schreibt der 35-Jährige dann allerdings doch über | |
| Dinge, die ihm nicht passiert sind, ihm nicht passiert sein können. Das | |
| tödliche Shoot-out rivalisierender Berliner Drogenbanden zum Beispiel, in | |
| dem sein Ich-Erzähler zwischen die Fronten gerät, hat es gar nicht gegeben. | |
| Lukas hat dabei schon Recht: Das Erfinden liegt ihm nicht. Gelungener ist | |
| sein Gefundenes, sind die autobiografischen Passagen, die den wesentlichen | |
| Teil der ersten Hälfte seines Romans ausmachen, und die vibrieren vor | |
| Schlagkraft und Tempo. | |
| Lukas war „jahrelang als Grenzgänger im Berliner Nachtleben aktiv“, heißt | |
| es in der Kurzvita, die dem Roman beigefügt ist, ein Hinweis, der eher das | |
| Schlimmste befürchten lässt: Nicht noch ein ödes Hedonistentagebuch. | |
| ## Perspektive eines Schüchternen | |
| Aber Lukas umschifft so einige Klischeeklippen mit der Entscheidung, die | |
| Nachtlebeninitiation seines Alter Egos nachzuzeichnen, also aus der | |
| Perspektive eines Unbedarften zu erzählen, eines Schüchternen, eines | |
| Scheuen und Verkrampften, der noch nicht abgeklärt ist, der sich noch nicht | |
| auskennt, der das Halluzinogen DMT „TNT“ nennt, der nach dem Ziehen niest | |
| und Pulver vom Spiegel pustet, der auch nicht cool genug ist, um ohne Hilfe | |
| an Türstehern vorbeizukommen, der auf attraktive, mysteriöse Frauen | |
| angewiesen ist, die ihn an die Hand nehmen und an den Bouncern | |
| vorbeilotsen, denn aus irgendeinem Grund wollen sie alle unbedingt mit ihm | |
| feiern oder schlafen. | |
| Jonas, so der Name des Ich-Erzählers, ist ein staunender Außenseiter, der | |
| das nächtliche Treiben mehr beobachtet als an ihm teilnimmt. | |
| Das ändert sich mit Nora, einer Frau von „unerträglicher Schönheit“. Nora | |
| ist eine Frau, wie es sie wohl nur in Büchern von Männern gibt: eine | |
| majestätische Erscheinung, ein romantisches Ideal, ein Engel ohne | |
| Eigenschaften, eine frauförmige Projektionsfläche. Sie ist Dealerin und sie | |
| zieht Jonas in die Scheiße. Denn natürlich, so will es die zwingende | |
| Konstruktion des Romans, fühlt sich dieses majestätische Wesen zum | |
| Normie-Erzähler hingezogen, verführt ihn, schläft mit ihm, lässt ihn | |
| letztlich sehnsüchtig und liebeskrank und mit ihrer gemeinsamen Tochter | |
| zurück. | |
| Zu feenhaft, zu entrückt, zu unergründlich ist Nora, als dass sie eine | |
| berührende Figur sein könnte. Nun könnte man zu Lukas’ Verteidigung sagen, | |
| dass ihre Rolle als wandelnde Männerfantasie notwendig ist, weil der | |
| Erzähler eben Jonas selbst ist, der Nora nun einmal derartig idealisiert | |
| und nicht anders von ihr erzählen würde. Figurenrede aber hin oder her, | |
| nahezu auf Romanlänge ist sie von einem allzu bekannten, | |
| männlich-romantisch-berauschten Erzähler schwer zu unterscheiden. | |
| ## Das klägliche Bild eines Vaters | |
| Dass Lukas die Verklärungsarbeit seines Protagonisten als solche meint, | |
| zeigt die knappe Rahmenhandlung, in die Jonas’ langer Monolog eingebettet | |
| ist. In dieser ist Jonas’ Tochter, an dem Punkt ein Teenager, die | |
| Ich-Erzählerin, und sie beschreibt das klägliche Bild, das ihr Vater viele | |
| Jahre nach dem erzählten Erlebten abgibt. | |
| Nach Noras abruptem Abschied kommt Jonas nicht von ihr los, er muss sie | |
| finden, er will sie begreifen, und so entwickelt sich die Geschichte zu | |
| einer Odyssee durch die Berliner Unterwelt, zu einem Gangsterthriller mit | |
| einer verlässlich konfuser werdenden Handlung. Die Stärken der ersten | |
| Hälfte werden hier deutlich. Denn in dieser hat Lukas die Topografie des | |
| Kreuzberger Nachtlebens noch glaubhaft und stimmungsvoll heraufbeschworen. | |
| In der zweiten Hälfte, der Gangsterthriller-Schnitzeljagd-Hälfte, dominiert | |
| der Plot, und man hört einem immer größer werdenden Unterweltensemble nur | |
| noch beim Reden und Pläneschmieden zu, verliert den Überblick und das | |
| Interesse, oder besser: verliert das Interesse daran, den Überblick zu | |
| behalten, bis die Erzählung letztlich in einem Shoot-out eskaliert, einem | |
| sehr erfunden wirkenden Actionfinale. | |
| Die Richtung, die Lukas einschlägt, ist so schade, weil es in dem Roman | |
| reizvolle Elemente gibt, die eine ausführlichere Betrachtung verdient | |
| hätten. Ciri, die Tochter von Jonas und Nora, bleibt beispielsweise ein | |
| Schatten von einer Figur, ein kleines Mädchen, das wenig mehr tut als zu | |
| existieren, dem keinerlei Persönlichkeit zugestanden wird. | |
| Dabei wäre gerade diese Vater-Tochter-Beziehung, zumal ihre zentrale | |
| Bedeutung für die Konstruktion des Romans offensichtlich ist, eine | |
| wahnsinnig interessante gewesen, und übrigens eine, bei der Lukas aus dem | |
| eigenen Leben hätte schöpfen können: Das Spannungsfeld aus Vatersein und | |
| Nachtleben ist Thema seiner Kolumnen, die er unter anderem im Tagesspiegel | |
| veröffentlicht hat. Und schreiben über Dinge, die er erlebt hat, das kann | |
| er doch. | |
| 3 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Jekal | |
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