# taz.de -- Sparkurs bei der „Süddeutschen Zeitung“: In der Druckkammer | |
> 2020 war hart für alle Zeitungen. Aber bei keiner der großen wird jetzt | |
> so gespart wie bei der „Süddeutschen“. In der Redaktion kommt langsam Wut | |
> auf. | |
Bild: Das Hochhaus der „Süddeutschen“ in München-Zamdorf | |
Berlin taz | Die Süddeutsche Zeitung ist die größte seriöse Tageszeitung in | |
Deutschland. Aus einem verspiegelten Hochhaus am Ostrand von München schaut | |
sie auf die Alpen, auf Deutschland und die Welt. Krisen sind hier | |
eigentlich für die Seiten der Zeitung vorgesehen. Doch in diesem Jahr haben | |
die Krisen auch mit Wucht bei der SZ eingeschlagen. Es geht um | |
Verlagsmanager, die ihre Mitarbeiter duzen, während sie zugleich sparen wie | |
selten zuvor. Um Frauen, die bei der eigentlich linksliberalen SZ das | |
Gefühl haben, an die gläsernen Decken des Hochhauses zu stoßen. Und um eine | |
Redaktion, die ihre Arbeit nicht gewürdigt sieht. Kurz: um den holprigen | |
Weg einer alten Institution ins 21. Jahrhundert. | |
Die Geschichte beginnt im April dieses Jahres. Da schickt der Verlag | |
[1][die Redaktion in Kurzarbeit]. Weil, so sah das der Verlag, durch Corona | |
weniger zu berichten sei. Im Gegenteil, erzählen SZ-Mitarbeiter: In den | |
meisten Ressorts habe sich der Arbeitsaufwand extrem vergrößert. Und das | |
wurde auch gelesen. Während der Verlag über neue Aborekorde jubelte, | |
kürzte er seinen Mitarbeitern die Arbeitszeit – und bekam dafür Geld vom | |
Staat. | |
Im September dann – die Kurzarbeit war gerade beendet – kündigten die | |
Verleger etwas an, das sie „[2][Effizienzprogramm]“ nannten: 50 Leute | |
sollten gehen, innerhalb von drei Monaten. Bis Freitag können sich | |
Freiwillige melden. Wer länger als drei Jahre bei der SZ gearbeitet hat und | |
geht, bekommt eine Abfindung. | |
Stellenabbau als Dank für die Kurzarbeit, so sehen das viele | |
SZ-Mitarbeiter. Sie sind wütend auf die Südwestdeutsche Medienholding | |
(SWMH), jenen Verlag, der die Zeitung seit 2008 mehrheitlich besitzt. Die | |
SWMH habe mit der Süddeutschen einen Edelstein bekommen und schleife ihn | |
nun „zu einem Isarkiesel“, sagte im September ein Redakteur vor der | |
versammelten Belegschaft. | |
## Die Sparer laden zum „Lunch“ | |
Es werden wohl nicht ganz 50 Leute sein, die SZ freiwillig verlassen, eher | |
35, sagen Mitarbeiter. Am Jahresende dürfte die Redaktion der relevantesten | |
Tageszeitung Deutschlands dann etwa um 10 Prozent geschrumpft sein. Ob dem | |
Verlag das reicht, ist unklar. Gegenüber der taz will sich ein | |
SWMH-Sprecher nicht äußern. Es gehen Sekretärinnen, aber auch Print- und | |
Onlineredakteure. Namen, die das Haus geprägt haben, durch ihre Expertise | |
oder ihre Haltung. | |
Aber schon vor dem Sparprogramm haben auffallend viele Mitarbeitende die SZ | |
verlassen, vor allem junge, digital geprägte Frauen. Im Sommer gab außerdem | |
Kurt Kister nach neun Jahren seinen Posten als Chefredakteur auf. Er stand | |
für die Zeitung wie sonst nur der Apostel Heribert Prantl. | |
Kister ist jetzt leitender Redakteur der Zeitung. Über die heutigen | |
Verleger der SZ könne man keine Fernsehserie drehen, jedenfalls keine | |
lustige, schrieb er neulich in seinem Nachruf auf die Alt-Verlegerin | |
Anneliese Friedmann auf der Seite 3. Es ist die Freiheit eines ehemaligen | |
Chefredakteurs, der keine Rücksicht mehr nehmen muss auf die Launen einer | |
Holding. | |
Das Verhältnis zwischen Redaktion und Geschäftsführung ist in kaum einem | |
Verlag freundschaftlich. Man hält Abstand. SZ-Redakteure erzählen aber, | |
dass ihre Geschäftsführung präsenter im Redaktionsalltag geworden sei. Sie | |
schreibe Mails, in denen sie die Mitarbeiter jetzt duze. | |
Mitarbeiterversammlungen heißen neuerdings „Town Hall Meetings“, vor Corona | |
lud Christian Wegner, CEO der SWMH, Angestellte zum „Lunch mit Christian“ | |
in die Kantine ein. | |
Es ist der Versuch einer Unternehmenskultur wie im Silicon Valley. Nur dass | |
die Süddeutsche eben kein Start-up ist. | |
## Digitales läuft gut, aber nicht gut genug | |
Der Umbau von einem alten in ein neues Medienhaus ist die größte | |
Herausforderung für alle Medienunternehmen. Er knirscht überall. Natürlich | |
kann man auch die Konflikte bei der SZ als das übliche Geschimpfe von | |
Angestellten auf ihren Arbeitgeber sehen. Aber bei keiner anderen Zeitung | |
ballt es sich gerade so wie bei der Süddeutschen. Der Spiegel hat seine | |
Online- und Printredaktion relativ harmonisch integriert und kam ohne | |
Kurzarbeit durch das Jahr. Die Zeit vermeldet die höchste Gesamtauflage | |
seit ihrer Gründung, und die FAZ gehört nicht Schwaben, die Silicon Valley | |
spielen, sondern einer Stiftung, die nicht profitorientiert arbeitet. | |
Die SWMH will bis 2023 über 30 Prozent des Umsatzes aus digitalen Produkten | |
generieren. Davon ist sie weit entfernt, heißt es aus Redaktionskreisen – | |
und das, obwohl das Jahr nicht schlecht lief: Im Sommer vermeldete die SZ | |
150.000 Digitalabonnenten, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Während der | |
Spiegel sein Jugendangebot Bento [3][einstampfte], steigerte jetzt.de, das | |
junge Angebot der SZ, seine Klickzahlen. | |
Im Sommer veröffentlichte der Redaktionsausschuss der SZ einen | |
[4][Zehn-Punkte-Plan], der in der digitalen Transformation „als Kompass“ | |
dienen soll. Die SZ verstehe sich „als Leuchtturm in einer unruhigen und | |
unübersichtlichen Welt“, steht darin. Und: „Ein guter Text ist ein guter | |
Text, egal ob dieser digital ausgespielt oder gedruckt wird.“ Es geht um | |
Wertschätzung, um Diversität in der Autorenschaft und darum, die | |
Digitalisierung als Chance zu begreifen. Einiges mag banal klingen, aber | |
für eine altes Haus wie die SZ sind solche Sätze nicht selbstverständlich. | |
Spricht man mit Leuten, die für das Online-Angebot der SZ arbeiten, sagen | |
die, der Zehn-Punkte-Plan sei weit entfernt vom Redaktionsalltag. Das hat | |
auch strukturelle Gründe. Print und Online-Redaktion sind zwei verschiedene | |
Gesellschaften. Die Printler haben bessere Arbeitsbedingungen als die | |
Onliner, sind tarifgebunden, müssen vertraglich weniger arbeiten und werden | |
im Schnitt besser bezahlt. Wenn beide nebeneinander an denselben Produkten | |
arbeiten, wirft das Gerechtigkeits- und Machtfragen auf. | |
## Immer wieder „eine von draußen“ | |
Die Süddeutsche hat ein in dieser Form einzigartiges Gremium: die | |
„Impressionisten“. Da versammeln sich all jene, die im Impressum stehen, | |
also leitende Funktionen innehaben. Weil das fast ausschließlich Printler | |
sind, können die Onliner bei wichtigen Entscheidungen kaum mitsprechen. | |
Viele Onliner fühlen sich zurückgesetzt. Das schlage sich auch in der | |
Arbeitskultur nieder, erzählen einige. Gelobt werde, wer einen Leitartikel | |
in der Zeitung geschrieben habe oder eine Reportage auf der Seite 3. | |
Wenn es stimmt, dass der Leitartikel und die Seite 3 die Orte sind, an | |
denen sich zeigt, wer Macht im Haus hat, ergibt sich ein recht eindeutiges | |
Bild: Dort schreiben vor allem Printredakteure, vor allem Männer. Das | |
ändert sich zwar allmählich, unter anderem weil die SZ mehrere wichtige | |
Korrespondentenstellen mit Frauen besetzt hat, die nun also auch viel | |
kommentieren und Reportagen schreiben. Aber die weltpolitisch wichtige | |
US-Wahl zum Beispiel haben vor allem männliche Autoren begleitet, die, das | |
lässt sich nachlesen, vor allem über Männer geschrieben haben. Man kann das | |
als Erbsenzählerei abtun, aber es steht im Gegensatz zum Selbstverständnis | |
der Redaktion. | |
Ein Teil der digitalen Transformation ist der Umbau der Ressorts. Einige | |
wurden fusioniert, neue Ressortleitungen berufen, Print- und | |
Onlineredakteure arbeiten enger zusammen. Auch das Politikressort wird neu | |
aufgestellt. Es ist eines der größten der SZ. | |
Das neue Politikressort soll vom bisherigen Außenpolitik-Chef Stefan | |
Kornelius geleitet werden. Dazu wurde auch eine Frau gesucht – ob als | |
Doppelspitze oder als Stellvertretung, darüber kursieren unterschiedliche | |
Erzählungen im Haus. Einige Frauen aus dem Haus seien für die Position | |
angesprochen worden oder hätten sich beworben, erzählen Mitarbeiter. Viele | |
dieser Frauen seien fachlich sehr gut, aber keine bekam den Job. | |
Stattdessen suchte man extern. Eine Kandidatin war Anja Reschke, Leiterin | |
der Innenpolitik des NDR, Moderatorin von „Panorama“. Ein großer Name, aber | |
eine von außen. Schon wieder. | |
## Eine Diplomatin | |
Das verärgerte einige in der Zeitung: Was sei das für ein Signal, wenn man | |
keiner Frau aus dem eigenen Haus die Leitung des zentralen Ressorts | |
zutraue? Noch dazu in einer Zeit, in der 50 Stellen abgebaut werden | |
müssten. Kurz darauf verkündete die Chefredaktion: Stefan Kornelius soll | |
das Politikressort nun doch alleine leiten. Er bekommt zwei Stellvertreter, | |
einen Mann und – die zweite Position ist noch offen. Wenige Wochen nach dem | |
Zoff um das Politikressort werden für vier weitere Ressorts neue männliche | |
Leiter berufen: für den Sport, die investigative Recherche, Mobilität und | |
das Meinungsressort. | |
Offiziell will sich die SZ-Chefredaktion gegenüber der taz nicht äußern. In | |
der Redaktionskonferenz sagte sie, man sei noch nicht da, wo man sein | |
wolle. Frauen sollen auf Stellvertreterposten berufen und gefördert werden. | |
Viele in der SZ erkennen ein Muster: 2017 wurde Ferdos Forudastan Leiterin | |
des Inlandressorts: eine Frau von außen. Als im Sommer eine neue | |
Chefredakteurin engagiert wurde, wurde es Judith Wittwer: eine Frau von | |
außen. | |
Wittwer ist seit Juli gleichberechtigt neben Wolfgang Krach Chefredakteurin | |
der SZ. Sie kommt aus der Schweiz, wo sie Chefin des Tages-Anzeiger war. | |
Anders als ihr Vorgänger Kurt Kister ist sie kaum durch wuchtige | |
Leitartikel aufgefallen. Sie sei eher die Managerin, eine, die Karriere | |
gemacht habe wie keine vor ihr, [5][schreibt die Neue Zürcher Zeitung]. In | |
der SZ beschreiben sie viele als freundlich und kompetent in Sachen | |
digitale Transformation. Aber auch als schweizerisch diplomatisch in den | |
aktuellen Konflikten. | |
Der Verein Pro Quote Medien zählt regelmäßig, wie viele Führungspositionen | |
in den Medien mit Frauen besetzt sind. 2012, als der Verein damit anfing, | |
waren bei der Süddeutschen rund 4 Prozent der Machtpositionen weiblich | |
besetzt – so wenige wie in keinem anderen Printmedium. Bei der letzten | |
Zählung, Mitte 2020, waren es gut 34 Prozent. Die SZ ist damit nun auf dem | |
vierten Platz. Es ist also viel passiert, einerseits. Andererseits ist der | |
vierte Platz nichts, womit man sich in München gerne zufrieden gibt. | |
17 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Kurzarbeit-bei-den-Zeitungsverlagen/!5679573 | |
[2] /Stellenabbau-bei-der-SZ/!5714437 | |
[3] /Aus-fuer-Spiegel-Jugendmedium/!5692071 | |
[4] https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/verlag/sz-wertepapier-unser-wert-u… | |
[5] https://www.nzz.ch/wirtschaft/judith-wittwer-die-unterschaetzte-chefredakto… | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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