Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gentrifizierung am Straßenstrich: Stadträte blockieren Hochhäuser
> An der Potsdamer Straße in Berlin will ein Investor hoch hinaus, 14
> Stockwerke sollen es sein. Doch die zuständigen Bezirksämter winken ab.
Bild: Heißes Pflaster, nicht nur für Investoren: die Kreuzung Potsdamer Stra�…
Berlin taz | Die Verhandlungen sind festgefahren. So hatte sich der
Investor Till Kalähne das nicht vorgestellt, als er die beiden Grundstücke
an der Potsdamer Straße an der Kreuzung mit der Kurfürstenstraße kaufte.
Links und rechts davon möchte er zwei Hochhäuser bauen.
Das Problem dabei: Kalähne braucht nicht nur von einem, sondern von zwei
Bezirksämtern die Genehmigung für das Vorhaben. Aber der Baustadtrat von
Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann (Grüne), hat sich mit seinem Kollegen
von Mitte, Ephraim Gothe (SPD) verbündet. „Hochhäuser an diesem Ort wird es
nicht geben“, sagte Oltmann am Montag zur taz.
Noch sieht die Kreuzung so aus, wie seit Jahrzehnten bekannt: Auf
Schöneberger Bezirksseite steht das klotzförmige Sexkaufhaus, das mit den
drei pinkfarbenen Buchstaben LSD für „Love Sex and Dreams“ wirbt. Auf der
gegenüberliegenden Straßenseite, die zu Mitte gehört, befindet sich in
einem Flachbau eine Filiale von Woolworth.
Kalähne, Geschäftsführer der SPG & Co Berlin
Projektentwicklungsgesellschaft mbH, will beide Gebäude an der Kreuzung
abreißen und durch 14-stöckige Hochhäuser ersetzen. Sein Plan sei, die
Bauvorhaben 2023 abgeschlossen zu haben, sagte der Investor [1][vor einem
guten Jahr im Gespräch mit der taz]. Ende 2020, also jetzt, werde der
Mietvertrag des Sexkaufhauses auslaufen. Danach werde alles ganz schnell
gehen.
Geschehen ist bis heute – nichts.
Ihr Bedauern darüber halte sich in Grenzen, kommentiert das Christine
Scherzinger, baupolitische Sprecherin der Linkspartei am Dienstag auf
Nachfrage der taz. Denn die SPG ist nicht die erste Investor, der die
Potsdamer Straße [2][als Geschäftsfeld entdeckt hat].
An der Ecke Bülowstraße hat die Pecan Development GmbH die ehemalige
Zentrale der Commerzbank zum Standort für internationale Konzerne
ausgebaut. Sony Music und das Pflanzenzüchtungsunternehmen KWS Saat sind
dort bereits eingezogen. 2021 folgt Takeda, eine Firma mit Hauptsitz in
Japan, die zu den größten zehn Pharmaunternehmen der Welt gehört.
Das alles geschieht in einem Kiez, in dem ein Drittel der Bevölkerung von
Transferleistungen lebt und mehr als jedes zweite Kind von Kinderarmut
betroffen ist. Die Potsdamer Straße, Ecke Kurfürstenstraße, wo das
Sexkaufhaus LSD steht, ist zudem das Zentrum der Berliner
Straßenprostitution. Eine Mischung aus Armutsprostitution, gepaart mit
Zuhälterei und Drogenabhängigkeit findet sich hier. Viele Frauen kommen aus
Osteuropa.
Weil es aufgrund des Baubooms kaum noch Brachen zur Prostitutionsausübung
gibt, werden die Videokabinen im LSD auch für diese Zwecke benutzt.
Benötigt würden in der Gegend ganz andere Impulse, als Stück für Stück
gentrifiziert zu werden, findet Linkenpolitikerin Scherzinger.
## Finanziert aus der eigenen Tasche
Investor Kalähne, Jahrgang 1967, ist familiär verbunden mit der
börsennotierten Sedlmayr Grund und Immobilien AG München und dem
Spaten-Brauerei-Konzern. Dank der Familie in München werde er das
Hochhausvorhaben aus eigener Kasse finanzieren können, sagte er im Herbst
2019 zur taz. Am Montag, als die taz mit Kalähne telefonierte, beklagte er
den „totalen Stillstand“ seines Bauvorhabens. Er fühle sich ausgebremst,
die Baustadträte von Tempelhof-Schöneberg und Mitte hätten sich offenbar
abgesprochen.
Jörn Oltmannn, Baustadtrat von Tempelhof-Schönberg, bestätigt das gegenüber
der taz. Er und der Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe (SPD), seien an
der Kreuzung strikt gegen eine Hochhausbebauung. „Maximal 7 Geschosse, mehr
ist nicht drin.“ Diese Haltung habe man Kalähne aber schon frühzeitig
mitgeteilt.
Bei dem Telefonat sagte Kalähne auch Sätze, die sich anhören, als dächte er
ans Aufgeben: „Wir können auch wieder gehen, wenn es nicht klappt.“ Die
Grundstücke hätten an Wert gewonnen und seien jederzeit veräußerbar, ohne
einen Handschlag getan zu haben. „Aber dann bleibt das eben auch eine
Schmutzecke.“
Den zum Jahresende auslaufenden Mietvertrag für das Sexkaufhaus habe er
halbjährlich verlängert, auch danach werde er die Fristen kurz halten, um
schnell reagieren zu können, falls ihm die Bezirke doch eine attraktive
Perspektive eröffneten, so Kalähne. Das klingt nicht so, als dächte er
wirklich ans Aufgeben. An dem Hochhausplan halte er fest – auch das betonte
er. Aus dem Kiez sei wiederholt der Wunsch an ihn herangetragen worden, die
Stadtbibliothek oder Volkshochschule in den Neubauten unterzubringen.
Kostengünstigere Flächen für Sozialprojekte ließen sich aber nur durch eine
größere Anzahl von Geschossen finanzieren.
Dass Kalähne auch an Sozialprojekte vermieten möchte, sei zu begrüßen, sagt
Baustadtrat Oltmann. Aber wenn er dafür ein Entgegenkommen bei der
Geschossflächenanzahl erwartet, sei das ein Irrglaube. „Wir lassen uns
nicht mit sozialen Einrichtungen ködern“, so Oltmann. Man wolle dem
Investor aber nichts Böses, betont der Baustadtrat. „Wir wünschen uns eine
Entwicklung dieser Ecke und sind und bleiben gesprächsbereit.“
Sie würde es nicht schlimm finden, wenn der Investor das Handtuch wirft,
sagt dagegen Christine Scherzinger. „Vielleicht finde sich dann ja eine
öffentliche Wohnungsbaugesellschaft, die das Gebiet in einem Sinne
entwickelt, wie es der Gegend gut tut.“
30 Dec 2020
## LINKS
[1] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5636719
[2] /Die-Potsdamer-Strasse-als-neue-Toplage/!5597176
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Kurfürstenstraße
Berlin-Schöneberg
Prostitution
Kurfürstenstraße
Architektur
Prostitution
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Sexarbeiterinnen
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Stadtentwicklung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Straßenstrich am Kurfürstenkiez: Sex, Drugs, Engel & Völkers
Die Gentrifizierung des Kurfürstenkiezes schreitet voran. Dadurch werden
Sexarbeiter verdrängt.
Hochhausdebatte in Bayern: München kratzt an den Wolken
In der bayerischen Landeshauptstadt ist ein neuer Hochhausstreit entflammt.
Ein CSU-Politiker will nun das Volk entscheiden lassen.
Straßenprostitution in Berlin: Unruhiges Wohnen im Alter
In einem Seniorenwohnhaus im Schöneberger Norden wehren sich Bewohner gegen
Eindringlinge und Prostitution im Haus. Und haben trotzdem Verständnis.
Mietenprotest in Berlin: Gekündigt wegen Mängeln
MieterInnen in Berlin-Lichtenberg wehren sich gegen Abrisspläne ihres
Häuserblocks: Eigentümer Padovicz habe den Komplex extra verwahrlosen
lassen.
Legendärer Berliner Verkäufer: „Die Kundschaft erzählt mir alles“
Zwischen Straßenstrich und Hausbesetzern: Hasan Sbeih versorgt seit 40
Jahren seinen Schöneberger Kiez mit Obst und Gemüse. Was hat er alles
erlebt?
Prostitution und Polizei: Ein Schutz, der gefährdet
In Berlin sollen SexarbeiterInnen auf Kondome kontrolliert worden sein –
als Indiz für illegale Sexarbeit. Die Polizei dementiert.
Gentrifizierung in Berlin: Potse bald in sauber
Sexstore und Woolworth an der Potdamer Straße sollen Neubauten weichen.
Investor will Dax-Konzerne und Teile des queeren Kulturhauses E2H
ansiedeln.
Die Potsdamer Straße als neue Toplage: Warten auf das Wirtschaftswunder
Schmuddelkind, schick – die Potsdamer Straße ist beides. Auch Sony Music
richtet sich nun hier ein, „Im Wirtschaftswunder“ heißt das Bauprojekt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.