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# taz.de -- Jung-Grüner legt sich mit der „Welt“ an: Spenden gegen Springer
> Wie aus einem Schlagabtausch auf Twitter eine 75.000-Euro-Spende für
> Flüchtlinge und ein Stinkefinger für die „Welt“ wird. Ein
> Weihnachtsmärchen.
Bild: Aus seinen politischen Ansichten macht Timon Dzienus kein Geheimnis
Hannover taz | Eigentlich reibt sich Timon Dzienus seit drei Tagen nur noch
die Augen. 73.554,50 Euro verzeichnet seine Spendensammelaktion mit dem
Titel „Die Welt retten ohne Die Welt“ auf der Fundraising-Plattform
betterplace.org zu dem Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen.
Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember, steht fest: Er hat mit seiner
Spendenaktion die 75.000 geknackt. Die Geschichte, wie es dazu kam, hat
etwas mit Ulf Poschardt und der Welt zu tun – und erzählt viel darüber, wie
Twitter funktioniert.
Timon Dzienus ist 24 Jahre alt, Student der Politikwissenschaft in Hannover
und bei den Grünen. Er arbeitet für den Grünen-Landtagsabgeordneten
Christian Meyer und sitzt im Bundesvorstand der Grünen Jugend. [1][Und vor
allem ist er quasi non-stop auf Twitter.]
Am 12. Dezember postet er den Screenshot einer Bild-Schlagzeile über Jörg
Pilawa: „Wegen Corona konnte er nicht auf seine Privatinsel!“ mit der
Bemerkung „Erst 600 Tote am Tag und dann auch noch das …“ und dann darunt…
„Anders ausgedrückt: DEINE SCHEIß INSEL IST MIR EGAL, DIE WERDEN WIR DIR
ABER AUCH WEG NEHMEN, WENN WIR DICH ENTEIGNEN!“ (Großbuchstaben im
Original).
Und so zuverlässig wie sich Linke von dieser Art von „First-World-Problems“
sehr reicher Menschen provoziert fühlen, so zuverlässig triggert das
Schlüsselwort „enteignen“ die neo-liberal-konservative Blase.
In diesem Fall in der Person von Benedikt Brechtken von den Jungen
Liberalen (Julis), der sich auf Twitter gern an der Grünen Jugend und den
Jusos abarbeitet, Steuern für Diebstahl hält und staatliche Eingriffe, egal
welcher Art, grundsätzlich für Teufelszeug.
## Brechtken möchte unbedingt ein Streitgespräch
Mit Brechtken ist Dzienus schon ein paar Mal aneinander geraten. Er hält
ihn [2][für einen rechten Troll,] einen, der auch vor
sozialdarwinistischen, rassistischen und sexistischen Äußerungen nicht
zurückschreckt, wenn die ihm Aufmerksamkeit versprechen.
„Eigentlich versuche ich, solche Leute nach Möglichkeit zu ignorieren, aber
manchmal gibt es eben Äußerungen, die man nicht einfach so stehen lassen
kann“, sagt der Grüne.
Brechtken möchte nun aber unbedingt ein Streitgespräch mit ihm führen,
bietet sogar Geld dafür und zwar – um den moralischen Druck zu erhöhen – …
Form einer Spende für eine gemeinnützige Organisation, die Dzienus
auswählen darf. 500 Euro für ein Gespräch.
## Dzienus startet seine eigene Spendenaktion
Auf diesen Zug springt nun auch Ulf Poschardt auf. [3][Poschardt, Chef der
Welt und Welt am Sonntag und] ebenfalls Viel-Twitterer, hat Brechtken schon
mehrfach eine Plattform geboten. Er bietet nun an, das Streitgespräch
abzudrucken.
Doch Dzenius antwortet mit dem Drosten-Zitat „Ich habe Besseres zu tun“. Er
diskutiere prinzipiell nicht mit Rechten, schreibt er, nicht mal mit Boris
Palmer. Er habe einfach keine Lust sich instrumentalisieren zu lassen und
Leuten wie Brechtken oder Springer-Medien zu noch mehr Aufmerksamkeit zu
verhelfen.
Brechtken, Poschardt und ihre Follower sticheln weiter, sprechen von
Feigheit und verweisen auf die schöne Spende. Da entschließt sich Dzienus
dann eben eine eigene Spendenaktion für die Stiftung Seenotrettung ins
Leben zu rufen und auf diese Weise ein Gespräch mit Brechtken zu vermeiden.
„Ich dachte, naja, die 500 Euro werden wir ja vielleicht irgendwie schon
zusammen bekommen.“
Doch der Spendenaufruf geht durch die Decke. Nachdem einige
reichweitenstarke Twitterer, darunter der Cartoonist Ralph Ruthe, Dzienus’
Beitrag retweeten, trudeln immer mehr Spenden ein. Mittlerweile sind es
fast 80.000 Euro.
## Eine stiftet genau den Betrag für ein Jahres-Abo der „Welt“
„Das war bestimmt auch die Gunst der Stunde“, sagt der junge Grüne.
Immerhin hatte die katastrophale Situation in den griechischen
Flüchtlingslagern gerade erst wieder für Schlagzeilen gesorgt. Die Bilder
von Kindern, die von Ratten angenagt werden, haben sich vielen eingebrannt.
„Ich bin bestimmt nicht der einzige, dem das schon lange ein Anliegen ist,
da zu helfen und kurz vor Weihnachten ist die Spendenbereitschaft natürlich
ohnehin höher.“
Für nicht wenige hat das ehrenwerte Anliegen aber wohl auch den kleinen
Nebeneffekt sich aufs Schönste mit einer Anti-Springer-Kampagne verbinden
zu lassen. „Springer enteignen“ oder „weil niemand Axel Springer oder die
Julis braucht“ haben einige in das Kommentarfeld zur Spende geschrieben.
Eine andere hat exakt den Betrag gestiftet, der sonst für ein Jahres-Abo
der Welt fällig wird: 720,80 Euro.
Und ganz offensichtlich kommen die Spender nicht nur aus der linksgrünen
Wohlfühlblase: „Einer schrieb mir, er lehne meine Positionen eigentlich
immer ab und sei selbst Liberaler, aber diese Aktion fände er so gut, dass
sie ihm 50 Euro wert sei“, erzählt Dzienus lachend.
Und Poschardt und Brechtken? Versuchen mit Müh’ und Not auf Twitter gute
Miene zum – aus ihrer Sicht – bösen Spiel zu machen: „Wunderbar, wenn der
Hass auf uns so viel Gutes bewirkt“, schreibt Poschardt.
Gleichzeitig tobt sich Brechtken mit einem polemischen Kommentar auf
welt.de aus, wirft der Grünen Jugend im Allgemeinen und Timon Dzienus im
Besonderen vor, sie seien „Systemanpasser“, die es nicht nötig hätten, si…
der Debatte zu stellen. „Die wahren Nonkonformisten und Rebellen sind heute
die freiheitlichen Kräfte“, heißt es dort. Die Spendenaktion erwähnt er mit
keiner Silbe.
26 Dec 2020
## LINKS
[1] https://twitter.com/Dzienus
[2] /Bedrohungen-ausgeloest-von-Welt-Autor/!5705120
[3] /Neoliberaler-Essay-von-Ulf-Poschardt/!5678434
## AUTOREN
Nadine Conti
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