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# taz.de -- Gegen Springer und für Geflüchtete: Weihnachtswunder aus Twitterh…
> Mit einer Anti-Springer-Kampagne sammelt Timon Dzienus seit Weihnachten
> 2020 Geld für die Seenotrettung. Mittlerweile sind es über 84.000 Euro.
Bild: So kam das Weihnachtswunder 2020 in Gang. Vorbei ist es noch nicht
Hannover taz | 84.000 Euro sind es mittlerweile. Die Spendenaktion mit dem
seltsamen Titel [1][„Die Welt retten – ohne Die Welt“ auf betterplace.org]
ist immer noch offen. Mehrmals hat der Initiator Timon Dzienus das
Spendenziel heraufgesetzt und die schon eingesammelten Beträge an den
„Stiftungsfond Zivile Seenotrettung“ überwiesen. Geflüchtete retten mit
einer [2][Anti-Springer-Kampagne?]
Wie genau das zusammengeht, ist nicht ganz leicht zu erklären – vor allem
nicht, wenn man zu den circa 57 Millionen Bewohner:innen dieses Landes
gehört, die Twitter nicht nutzen. Der Hintergrund ist nämlich ein
Schlagabtausch zwischen Timon Dzienus von der Grünen Jugend und Benedikt
Brechtken von den Jungen Liberalen auf Twitter, in den sich schlussendlich
auch noch der Chefredakteur und Geschäftsführer von WeltN24 (Die Welt), Ulf
Poschardt, einschaltete.
Für die meisten Menschen sind das Namen, die ein eher vages
„Habe-ich-irgendwo-schonmal-gehört-Gefühl“ auslösen, aber innerhalb der
Twitter-Community sind das die Vertreter zweier gegensätzlicher Lager mit
hoher Reichweite – und notorische Vieltwitterer.
Aneinandergeraten sind Dzienus und Brechtken, weil der Junggrüne sich über
eine Bild-Schlagzeile mokierte. „Wegen Corona konnte er nicht auf seine
Privatinsel!“, stand da über einem Foto von Jörg Pilawa. Dzienus verwies
auf die Coronatoten und schrieb dann: „DEINE SCHEIß INSEL IST MIR EGAL, DIE
WERDEN WIR DIR ABER AUCH WEG NEHMEN, WENN WIR DICH ENTEIGNEN!“
(Großbuchstaben im Original).
Die twittertypische Zuspitzung ließ sofort die neoliberal-konservative bis
rechte Ecke aufschäumen, die sich ohnehin gern in Angstfantasien suhlt, wie
schlimm alles wird, wenn erst die grün-sozialistische Ökodiktatur kommt.
Auch Ben Brechtken, der sich gerne zum Posterboy der Libertären in
Deutschland stilisiert und dafür vom Welt-Chefredakteur begeistert gefeiert
wird, reagierte. [3][Erst einmal mit „Timon. Halt’s M]aul“, dann irgendwa…
mit dem Angebot für ein Streitgespräch – das Poschardt in der Welt
abdrucken wollte.
Als Dzienus dies ablehnte, bot Brechtken sogar Geld: 500 Euro für eine
gemeinnützige Organisation, die Dzienus aussuchen sollte. Der startete
daraufhin lieber seinen eigenen Spendenaufruf – und der ging durch die
Decke. Statt 500 Euro kamen am Ende 84.000 Euro zusammen.
Viele sprangen dabei vor allem auf den Anti-Springer-Impuls der Kampagne
an. Das wird aus den [4][Angaben beim Verwendungszweck deutlich]. Manche
spendeten genau den Betrag, den sonst ein Jahresabonnement der Welt kostet.
Ein Twitter-Weihnachtsmärchen also? Nun ja, sagt Timon Dzienus. Der
Politikstudent aus Hannover ist mittlerweile zum Bundessprecher der Grünen
Jugend aufgerückt – und hat dabei auch aus nächster Nähe erlebt, wie
bösartig Twitter sein kann.
Seine Kollegin Sarah Lee Heinrich erlebte einen Shitstorm, der schließlich
in Morddrohungen gipfelte – und ihr pöbelige Tweets und Äußerungen
vorhielt, die sie als 13- bis 14-Jährige gemacht hatte. „Da habe ich noch
mal gesehen, dass eine junge schwarze Frau eben ganz anders angegangen
wird“, sagt Dzienus.
Und natürlich sei das schwierig, immer mitzubedenken, wie einem ein uralter
Videoschnipsel aus irgendeiner Talkshow oder sonst eine völlig aus dem
Zusammenhang gerissene Äußerung um die Ohren fliegen könne.
Auch inhaltlich findet er sich nun plötzlich in einer anderen Situation:
„Es ist schon ein Unterschied, ob man aus der Opposition spricht und
kritisiert oder ob die eigene Partei an der Regierung beteiligt ist.“
Das scheint für seinen Kontrahenten allerdings noch einmal ein ganz eigenes
Problem zu sein. Benedikt Brechtken hat jenseits von Twitter kein
nennenswertes Amt – er war für kurze Zeit JuLi-Vorsitzender im Kreisverband
Recklinghausen, trat aber schon im vergangenen Jahr nicht wieder an.
## Nicht unbedingt ein Happy-End
In seinen jüngsten Tweets arbeitet er sich vor allem an der FDP als Teil
der Ampel („Wer hat uns verraten? Freidemokraten“) ab, wettert gegen
Coronamaßnahmen und eine drohende Impfpflicht.
Auch im Hinblick auf die Flüchtlingsfrage kann von einem Happy End noch
lange keine Rede sein. „Die Spenden durch den Aufruf von Timon Dzienus
haben in jedem Fall maßgeblich zu unserer Arbeit in diesem Jahr beigetragen
und wir sind dankbar, für die [5][Aufmerksamkeit, die dadurch auch unserem
Fonds] sowie den durch uns geförderten Projekten geschenkt wurde“, schreibt
eine Sprecherin der Stiftung Seenotrettung auf taz-Anfrage.
Über vier Millionen Euro hat die Stiftung seit ihrer Gründung im Jahr 2019
an verschiedene Projekte verteilt. Anfangs ging es dabei vor allem um die
Lager in Griechenland, um die Beratung, Betreuung und notdürftige
Versorgung der vielen Geflüchteten, die über das Mittelmeer oder entlang
der Balkanroute unterwegs waren.
Gerade hat man den Förderschwerpunkt verschoben und hat jetzt vermehrt
Hilfsprojekte im Raum Belarus und Polen im Fokus. Ein Ende der humanitären
Katastrophe vor den Toren Europas ist nicht in Sicht. Aber dafür kann
natürlich Twitter nichts.
31 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.betterplace.org/de/fundraising-events/36798-die-welt-retten-ohn…
[2] /Jung-Gruener-legt-sich-mit-der-Welt-an/!5735251
[3] https://twitter.com/ben_brechtken/status/1337828015103864833
[4] https://www.betterplace.org/de/fundraising-events/36798-die-welt-retten-ohn…
[5] /Queere-Bars-in-Berlin/!5685434
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Ulf Poschardt
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Spenden
Grüne Jugend
Schwerpunkt Flucht
Kolumne Die Mendel'schen Regeln
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Cybermobbing
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