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# taz.de -- Corona-Impfstoff im Globalen Süden: Eine Frage der Herkunft
> In Deutschland wird darüber diskutiert, wer zuerst gegen Corona geimpft
> wird. Doch nicht alle Länder haben den gleichen Zugang zu Impfstoffen.
Bild: In alle Winkel der Welt: eine Impfung in Nepal im September
„Impfstoffe müssen als globales, öffentliches Gut betrachtet werden. Sie
müssen überall und für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein“, sagte
UN-Generalsekretär António Guterres am Freitag noch vor dem Bundestag. Doch
die Verteilung von Corona-Impfstoffen ist bisher faktisch weit von den
Wünschen Guterres’ entfernt.
Denn nicht alle Länder haben gleichen Zugang zu Impfstoffen. Unter anderem,
weil es auf Impfstoffe teure Patente gibt, und manche Länder keine Mittel
haben, die Impfstoffe in großen Mengen zu kaufen. Im Dezember wandte sich
deshalb ein Zusammenschluss von ärztlichen Nichtregierungsorganisationen,
darunter Medico International, mit [1][einem Aufruf gegen das
profitorientierte Patent] auf Corona-Impfstoffe: „Patente töten“, heißt es
da.
In der EU wurde indessen der Impfstoff der Firma Biontech/Pfizer
zugelassen. Die USA, Kanada und Großbritannien haben mit demselben Mittel
schon vor einer Weile begonnen zu impfen und in Chile, Ecuador und
Saudi-Arabien ist die Zulassung bereits erfolgt. Noch früher waren China
und Russland mit ihren eigenen Impfstoffen dran. Viele ärmere Länder haben
wegen fehlender Mittel keine Aussicht auf derartige Impfpläne. Dabei kann
die Pandemie nur gestoppt werden, wenn sie global eingedämmt wird – das
zeigen Modellrechnungen der Northeastern University in Boston.
Die von der Weltgesundheitsorganisation ins Leben gerufene Initiative Covax
bemüht sich angesichts dieser Lage um eine global gerechte Verteilung der
Impfstoffe. Sie meldete am Freitag wichtige Fortschritte und einen
potenziellen Impfbeginn in ärmeren Ländern im ersten Quartal des nächsten
Jahres.
## Impfstoffe ohne Zulassung
Covax wird von 190 Ländern unterstützt. Die Initiative fördert die
Forschung an neun möglichen Impfstoffen und baut einen Finanztopf auf, aus
dem die Impfstoffe bezahlt werden können. Die 98 reicheren Länder bezahlen
für ihren Bedarf selbst und unterstützen die 92 ärmeren Länder, die das
nicht können. Sobald Impfstoffe verfügbar sind, sollen sie unter den
Ländern verteilt werden. Und zwar so, dass nicht in einem Land alle geimpft
werden können und im nächsten niemand, sondern überall zunächst 20 Prozent
der Bevölkerung eine Impfung erhalten. Die 27 Mitgliedstaaten der EU sowie
Norwegen und Island unterstützen Covax als „Team Europe“. Die USA sind
bisher nicht Teil der Initiative.
Mit AstraZeneca hat Covax für Länder mit Bedarf immerhin eine
Vorabkaufvereinbarung über 170 Millionen Dosen getroffen. Mit der Firma
Johnson & Johnson gibt es zumindest eine Absichtserklärung über 500
Millionen Dosen eines weiteren Impfstoffs. Allerdings: Noch sind die
Impfstoffe dieser Hersteller nicht zugelassen. Das heißt, [2][ob sie am
Ende überhaupt verwendet werden können], bleibt unklar.
Über den zum Teil zugelassenen Impfstoff von Biontech/Pfizer hat Covax
keine Vereinbarungen getroffen. Und auch die logistische Verteilung der
Biontech-Impfstoffe dürfte in ärmeren Ländern schwierig werden. Die Mittel
müssen gekühlt transportiert und gelagert werden. Nicht überall kann eine
lückenlose Kühlkette sichergestellt werden und nicht alle Orte, an denen
Impfungen benötigt werden, sind an die Verkehrsinfrastruktur angebunden.
Solange die Verteilung der Impfstoffe in den Ländern nicht gewährleistet
werden kann, nützt der beste Impfstoff nichts.
Auch im Wettrennen um das Aufkaufen der Impfstoffe sieht es für den
Globalen Süden schlecht aus: Viele reiche Länder unterstützen Covax zwar,
haben sich aber große Mengen verschiedener Impfstoffe allein für sich
selbst gesichert. Auch die EU hat sich bei sechs Herstellern exklusive
Bezugsrechte und Zusagen für potenziell zwei Milliarden Impfdosen
gesichert. Und das, obwohl die EU nur knappe 448 Millionen Einwohner*innen
hat.
## Für Herdenimmunität reicht es nicht
Covax hat deshalb die „Principles for Dose-Sharing“ veröffentlicht. Die
regeln nun, wie Länder, die sich über bilaterale Vereinbarungen zusätzliche
Impfdosen gesichert haben, diese gerecht an Länder abgeben können, die
nicht genügend Dosen haben. Voraussetzung: Die Impfstoffe müssen wirksam
und sicher sein.
Durch die neuen Entwicklungen könnten allen ärmeren Ländern, die Teil der
Initiative sind, in der ersten Hälfte von 2021 mindestens 1,3 Milliarden
Impfdosen zur Verfügung stehen. Die ersten Impfungen sollen sogar schon bis
März 2021 durchgeführt werden. Bis zum Ende des Jahres sollen dann bis zu
20 Prozent der Menschen in allen Ländern, die Teil der Initiative sind,
geimpft sein. Das reiche, um die akute Phase der Pandemie zu beenden, heißt
es in einer Pressemitteilung von Covax.
Um eine Herdenimmunität herzustellen, reichen die Bemühungen allerdings
nicht. Laut John Nkengasong, Direktor der Afrika-Zentren für Seuchenschutz
und Prävention mit Sitz in Äthiopien, müsste Afrika dafür innerhalb der
nächsten zwei Jahre mindestens 60 Prozent der Bevölkerung impfen.
Nkengasong hofft deshalb, dass die Produktion der Impfstoffe auch lokal in
den Ländern Afrikas stattfinden kann. Um mehr Geld für die Anschaffung und
Verteilung von Impfstoffen zu bekommen, arbeite Afrika auch mit der
Afreximbank und der Weltbank zusammen.
Für das Jahr 2021 braucht die Initiative Covax weitere 6,8 Milliarden
Dollar für die Forschungsförderung, den Kauf von Dosen und die Verteilung.
In seiner Rede vor dem Bundestag forderte António Guterres weitere
Anstrengungen, um Ungleichheiten durch die Pandemie nicht zu verstärken.
21 Dec 2020
## LINKS
[1] https://www.patents-kill.org/deutsch/
[2] /Der-Corona-Impfstoff-von-Biontech/!5733717
## AUTOREN
Lena Wrba
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Dilek Kalayci
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