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# taz.de -- Die Wahrheit: Streichelzoo für Weihnachtstiere
> Ratten unter Stress: Vor den trotz allem turbulenten Festtagen drehen
> nicht nur die possierlichen Nager komplett durch.
Bild: Wegen Weihnachten völlig von der Rolle: weiße Laborratte
Die Resultate sind nicht wirklich überraschend und doch in dieser Dimension
ein Schocker: Im Rahmen der Doktorarbeit „Gestörte Hierarchie der Triebe:
Verhaltensauffälligkeiten bei Nagetieren unter artifizieller Addition von
‚Weihnachtsstress‘“ an der Fakultät für Biologie der Universität Wriez…
haben junge Wissenschaftlerinnen den Zusammenhang zwischen Stressresistenz
auf der einen und kognitiver Kompetenz auf der anderen Seite erforscht.
Zu diesem Zweck gestalteten sie für Laborratten eine kleine Stadt, ähnlich
wie man sie für Meerschweinchen in Streichelzoos kennt: mit Häusern,
Straßen und „Geschäften“. In diesen konnten die Ratten verschiedene
Bedürfnisse stillen. So gab es unter anderem Einrichtungen für Käse, mit
Opiaten versetzte Zuckerstückchen, Wasser oder Zuckerwasser. Ab einer
bestimmten Anzahl Ratten, die einen dieser Orte zur gleichen Zeit in
Anspruch nahm, wurden Stromstöße ausgeteilt, die bei zunehmender
Überpopulation stärker, im Extremfall sogar letal wurden.
Zunächst vermochten die intelligenten Nager sich leicht darauf
einzustellen. Sie verteilten sich geschickt auf die verschiedenen Punkte
oder gewöhnten sich daran, ihre Bedürfnisse zu verschiedenen Zeiten zu
stillen und den Andrang so zu kanalisieren. Etwas schwieriger wurde es,
wenn die Biologen die Zahl der Ratten markant erhöhten und obendrein die
Anlage verdunkelten („Der Weihnachtseffekt“ nach E. Linsmeyer:
„Chaostheorie unterm Tannenbaum“; Stuttgart 1971; S. 433 ff.).
## Effekt der Schließung
Der entscheidende Schritt war jedoch folgender, zentraler Bestandteil
besagter Dissertation: In der Rattenpopulation wurde am Sonntag unter der
Hand, gewissermaßen sub rosa, die Information verbreitet, dass die
„Geschäfte“ nur noch bis einschließlich Dienstag offen hätten. In
Verbindung mit dem Weihnachtseffekt führte das unter den Tieren zu nicht
für möglich gehaltenen Stressreaktionen.
Dabei stellte sich heraus, dass der Faktor Intelligenz unter extremem
Adrenalineinfluss stark gedrosselt wird, zugunsten eines gesteigerten
Aggressionstriebs, der vorübergehend zur alles dominierenden
Verhaltensweise wird. Es geht so weit, dass andere, üblicherweise
vorgeordnete Triebe wie Körperpflege, Fortpflanzung, Fressen, ja sogar
Selbstschutz komplett ausgeschaltet werden. So beobachteten die Doktoranden
ein Rattenweibchen dabei, wie es zwei eigentlich stärkere Männchen, die ihm
eine der seltenen Parklücken streitig machten, totbiss. Der begehrte
Parkplatz befand sich nur einen Kilometer von der intern scherzhaft
„Qu’(anon)-Damm“ genannten Straße mit besonders vielen Befriedigungsreiz…
entfernt, und das Weibchen hatte ihn zuerst gesehen.
Nach diesem Sieg robbte sich die schwerverletzte Siegerratte in eine
bereits völlig überfüllte Rattenbuchhandlung und wurde nicht zuletzt in
Folge der eigenen Entkräftung leichtes Opfer der schweren Stromstöße.
## Sackgasse der Evolution
Die, wie bei den kurzlebigen Rodentia nicht unüblich, bereits nach wenigen
Generationen in den Verhaltenscode eingeschriebenen Schutzmechanismen waren
im Nu wie aus der DNA radiert. Das Wissen um die Stromstöße spielte keine
Rolle mehr. Sie rannten einfach überall rein, es war eine Sackgasse der
Evolution. „Dienstag“, „Haben“, „Ende“ spukte es durch die kleinen …
Jeden Abend zogen die Biologen Unmengen steifer Körperchen aus der Anlage,
die oft noch das um den Preis des eigenen Lebens Ergatterte mit beiden
Pfoten umklammert hielten. Die Ethologie frisst ihre Kinder.
Nun aber änderten die Forschenden ein letztes Mal die Versuchsanordnung:
Sie ersetzten die hochintelligenten Ratten durch weniger gewitzte Lemminge,
und schickten diese durch das Labyrinth einer liebevoll gestalteten
Shopping Mall für kleine Nagetiere mit Anlaufstellen für exotische Körner,
Nestbaumaterial und Hamsterräder. Anstelle „bis Dienstag“ dachten die
Lemminge „am Dienstag“ und erhöhten so den Eigenstress ins Unermessliche.
Und wo die Ratten wenigstens noch versucht hatten, sich notdürftig
dünnzumachen, um den Stromschlägen zu entgehen, wussten die Lemminge gleich
gar nicht, wie ihnen geschah. Sie konnten ja noch nicht mal einparken.
Es kam, wie es kommen musste. Die meisten Tiere waren nach einer Woche
mausetot. Erkenntnisse für andere Ordnungen ergeben sich daraus leider nur
sehr eingeschränkt.
22 Dec 2020
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Ratten
Konsum
Weihnachten
Die Wahrheit
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Aufräumen
Schwerpunkt Coronavirus
Julia Klöckner
Netflix
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