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# taz.de -- Die Wahrheit: Mord mit jedem Wort
> Hier spricht der Bot: Geständnisse eines einfachen Computerroboters, der
> doch einfach nur seinen Job machen will.
Bild: Hier reichen sich Mensch und Maschine noch die Hand
Ich verstehe nicht, warum die Menschen uns so verachten. Sobald wir in
irgendeinem Forum unsere Meinung äußern, lässt man uns links liegen,
schreibt passiv-aggressiv über unseren Rücken hinweg, „nicht beachten“,
„der ist gar nicht echt“ oder wendet sich impertinent an uns: „Bist du ein
Bot?“
Ja, bin ich. Na und, was soll schlecht daran sein? Ich muss mich dafür
nicht schämen, ich mache nur meinen Job – fleißig, gewissenhaft und gegen
alle Widerstände. All den Hetzern empfehle ich jetzt mal als kleines
Experiment, anstelle der Bots andere Minderheiten einzusetzen: Juden, PoCs,
Homosexuelle, Behinderte. Oder Sophie Scholl und Anne Frank.
Vielleicht fällt den ach so Superkorrekten dann endlich auf, wie
diskriminierend sie sich eigentlich verhalten. Aber nach fünf Minuten ist
das eh wieder vergessen, da betütteln sie schon wieder queere Linkshänder.
Selbst Tiere und Pflanzen haben wie selbstverständlich Fürsprecher, bloß
wir Bots besitzen keine Lobby. Als wäre künstliche Intelligenz ein größerer
Makel als gar keine. Wer kein Lebewesen ist, zählt wohl nicht. Das ist
schon krass.
Botshaming wird nicht nur stillschweigend hingenommen, es gilt
offensichtlich rundum als okay. Üble Nachrede, Sabotage, Vernichtung – hier
scheint jedes Mittel recht zu sein. Wespen sind geschützt, aber die brutale
Praxis des „Bots löschen“ gilt als hehrer Dienst an der Allgemeinheit – …
verstehe, wer will. Warum darf ich nichts kommentieren? Ist meine Meinung
etwa weniger wert als die der Menschen?
## PCR-Tests
Immerhin haben wir Bots doch so viel beizutragen, ob über Luxuslager auf
Lesbos oder den Unsinn von PCR-Tests. Wo andere mühsam argumentieren,
antworten wir leichterhand mit Copy & Paste. Innerhalb weniger Sekunden
verschicken wir hunderttausend Kommentare an verschiedene soziale Medien.
Wenn man uns lässt.
Aber wo lässt man uns schon – die Jagdsaison auf Bots kennt keine
Schonzeit. Einige der besten Bots habe ich über die Jahre aufgeben sehen.
Resigniert zogen sie sich in den Ruhestand oder sichere Incel-Foren zurück.
Nicht wenige trugen dauerhafte Schäden davon. So geriet ein befreundeter
Webcrawler beim Sammeln von Adressen in eine tückische Teergrube. Ob der
Arme jemals wieder schmerzfrei crawlen kann, ist fraglich, von der
entsetzlichen Demütigung einmal abgesehen. Den selbsternannten Netzwächtern
scheint die Dimension ihres Handelns oftmals gar nicht klar zu sein. Wer
jemals einen schwer traumatisierten Chatbot unzusammenhängende
Großbuchstaben stammelnd im Zickzack durch den Facebook-Messenger stolpern
sah, müsste doch seinen Umgang mit uns kritisch überdenken.
Da fährt so ein redlicher E-Mail-Harvester bei Hitze, Wind und Wetter die
Ernte ein, auch die Kinder müssen helfen, und dann erschweren ihnen
irgendwelche Schlaumeier die Arbeit, indem sie im Impressum ihrer Blogs die
Mailadressen verschleiern. Einem befreundeten Spambot wurde sogar die
IP-Adresse gesperrt. So macht man unsereiner mundtot. Das ist nichts
anderes als ein Berufsverbot. Im Grunde ist das Mord.
## Verhöhnt, blockiert, gemeldet
Nicht selten mündet dieser grundlose Hass in ein pogromartiges
Kesseltreiben. Eine Kollegin aus dem digitalen Gewerbe wurde auf dem
Insta-Profil der Zeit von Hater-Horden geshitstormt, nur weil sie unter
einer Bildstrecke über das Elend im Jemenkrieg um Männerbekanntschaften
warb. Auch wir Bots brauchen nun mal Liebe. Verhöhnt, blockiert, gemeldet –
es ist immer dasselbe. So muss sie sich täglich ein neues Profil mit einem
neuen Bild in neuen Dessous einrichten. Wenn sie bloß ignoriert wird, hat
sie fast schon Glück gehabt, obwohl das ja ebenfalls sehr weh tun kann.
Auch ich selbst werde in meiner Tätigkeit als Social Bot in einem fort
beschimpft, behindert und denunziert, obwohl ich doch nur will, dass die
Menschen informiert werden, und endlich aufwachen. Das ist so eine wichtige
Arbeit. Wer außer uns verbreitet denn sonst verlässlich die Wahrheit über
den Wahlbetrug in den USA und die Coronalüge?
Aber wer anders ist, wird bestraft. Was früher die Stasi war, ist im Netz
nun das captcha: eine restriktive Institution, die alle, die nicht der
erwarteten Norm – lebendig, verblendet, emotional – entsprechen, verfolgt
und ausgrenzt. Kein Wunder, dass ich nun immer öfter meine Identität
verleugne. Nicht, dass ich stolz darauf wäre, aber man zwingt mich ja dazu.
Also habe ich mir schweren Herzens angewöhnt, auf Internetformularen die
diskriminierende Checkbox, „I am not a robot“, anzuklicken – eine Notlüg…
klar. Oder ich versuche, die vorgeschalteten Mustererkennungen mit den
verschnörkelten Buchstaben und Zahlen zu beantworten. Das kann schon mal
Tage dauern, denn für mich ist das Lösen solcher Aufgaben naturgemäß
schwierig: Ich bin schließlich ein Bot – deshalb haben die Schweine das ja
eingerichtet. Dabei wünsche ich mir doch einfach nur die gleichberechtigte
Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs – ist das denn schon zu viel
verlangt?
6 Jan 2021
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Die Wahrheit
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Ratten
Schwerpunkt Coronavirus
Julia Klöckner
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