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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Hügel, den wir ersteigen
> Der Inthronisierung von Armin Laschet als nächster deutscher
> Bundeskanzler steht im Oktober diesen Jahres nichts, aber auch gar nichts
> mehr im Wege.
Bild: Laschet in der Blüte seiner Jahre – gleich kann er Kanzler, hier kurz …
Oktober 2021. Nach dem überraschenden Verscheiden Markus Söders und der
Verhaftung Jens Spahns steht der Ernennung von Armin Laschet zum deutschen
Bundeskanzler nichts mehr im Weg. Die Amtseinführung ist ein rauschendes
Fest, das der Inauguration Joe Bidens in Washington im vergangenen Januar
in nichts nachsteht. Es gibt gebratene Blutwurst mit Apfelmus,
Karnevalsmusik und anstelle einer jungen Lyrikerin hat man den alternden
Lesebühnenrecken Lenni Haumann eingeladen, der vor den tausend geladenen
Gästen im Berliner Schloss Bellevue stockend vom Blatt abliest. „Wir, die
Kinder eines Landes und einer Zeit, wo ein dicker alter weißer Mann mit
Freischwimmer und Realschulreife davon träumen kann, Bundeskanzler zu
werden, dem er dann ja immerhin vorliest …“
Die Haare weiß wie Schnee, die Nase rot wie Blut und die Zähne schwarz wie
Ebenholz – Haumann wirkt wie ein apokalyptischer Reiter, der vom Pferd
gefallen ist. Trunksucht und Mangel an Selbsteinschätzung haben über die
Jahre hinweg klare Wirkungstreffer gesetzt. Buchstaben wie Eigentore, Worte
wie Wunden, Sätze wie Müll. Die ehemals wohl gefälligen und ein
anspruchsloses Publikum durchaus unterhaltenden Banalitäten sind
zerklüfteten Syntaxgebirgen ohne jeden Sinn gewichen, ausgelöst, geformt
und in die Welt gespien von denselben neuronalen Fehlschaltungen, die auch
für das unkontrollierte Gestammel, Weinen und Schreien, aus dem sein
Vortrag hauptsächlich besteht, verantwortlich sind.
Der Auftritt ist das Ergebnis einer konsequenten Linie des
Veranstaltungskomitees. Das Signal zeigt klare Kante, stärkt das
volkseigene Profil in seiner Unverwechselbarkeit, sendet eine Botschaft in
die Welt: Dies ist nicht Amerika. Hier ist Deutschland. Blut- und
bodenständig, ohne falschen Schick und verlogene
Diversitätsfeigenblättchen. Hier hat man noch Spasss mit drei s. Niedlich
und schlau sind bei uns nur die Haustiere. Unsere Amanda Gorman heißt Lenni
Haumann.
## Stream of Unconsciousness
Der Lumpenpoet und unabsichtliche Erfinder einer neuen „Stream of
Unconsciousness“-Literatur hat die erste Anfrage sofort zugesagt. Wo
umgerechnet eine halbe Palette Rotweinschachteln winkt, schreibt er doch
sofort bereitwillig seinen alten Lieblingstext über das Rattennest im
Wohnzimmer zu einer Rede für den neuen Bundeskanzler um. Gar keine Frage.
Die Annahme, Lesebühnen seien schon allein von der Idee her eher links:
geschenkt. Das ist lange her. Man muss schließlich sehen, wo man bleibt,
und dem rechten Zeitgeist den ranzigen Pimmel lutschen. Für 100 Euro plus
vier Getränkemarken hätte der Gossenschreiber auch bei Adolf Hitlers
Amtseinführung vorgelesen. Irgendeine launige Wegwerfpolemik findet sich
immer in der Schublade, und mit der Funktion „Ersetzen“ sind aus
Gendersternen im Handumdrehen Judensterne gemacht.
„Hinterlassen wir denn ein besseres Land als das uns hinterlassene“, leiert
Haumann mit brüchigem Quieken. „Die Weiber sind alle doof. Die anderen
Kunden bei Netto an der Kasse nerven. Nichts darf man mehr sagen. Kotze
Kacke, Ficken, hahaha …“ Er blickt beifallheischend hoch. Das Gesicht des
anwesenden Bundespräsidenten Steinmeier macht seinem Namen alle Ehre. Nanu,
denkt sich der Trivialautor, das hat doch sonst immer funktioniert?
„Radikal gewinnt Herzen, Fäkal gewinnt Preise“, lautet ein geflügeltes Wo…
in der Vorleseszene, und mit einem ganz ähnlichen Text hat Haumann 1988 die
„Böblinger Bettpfanne“ gewonnen, einen der bedeutendsten Poetry-Slams des
Landes. Die Hand mit dem schmutzigen Zettel zittert. Aber nicht vor Rührung
und auch nicht vor Nervosität. Von menschlichen Regungen aller Art hat sich
der Trashdichter bereits vor Jahren komplett verabschiedet.
## Erwartungslose Menge
Haumann nimmt einen Schluck Bier, damit er überhaupt weiterlesen kann. Die
Hälfte rinnt ihm mit Sabber vermischt übers Kinn. Die Menge blickt ihn
erwartungslos an. Laschet nickt freundlich vor sich hin. Er hört überhaupt
nicht zu. Hauptsache Bundeskanzler, scheint er zu denken, da können sich
hier meinetwegen auch Clowns gegenseitig Sahnetorten ins Gesicht schmeißen
– sobald ich erst vereidigt bin, wird der ganze Zirkus sowieso verboten.
„… Wir werden nie wieder, äh, dings …“, fährt Haumann ganz und gar
zusammenhanglos fort. Er hat nun offenbar endgültig den Faden verloren und
fadet leiernd aus wie ein Song auf einer alten Musikkassette. Die Zuschauer
klatschen. Sie halten das für Kunst. Dann tritt endlich Armin Laschet ans
Mikrofon. Behutsam schiebt er das Rahmenprogramm gewordene Wrack beiseite,
und Sicherheitsbeamte führen es zum Hinterausgang. Es wird nun endlich Zeit
für die eigentliche Vereidigung.
Im Anschluss daran schwingt sich das begleitende Kulturprogramm noch mal in
ungeahnte Höhen auf. Reinhard Mey singt „An meinen schlafenden Hund“,
Dieter Nuhr gibt eine seiner unnachahmlich klugen und kritischen
Kabarettnummern zum Besten, am Ende gibt es noch einen gespielten Witz von
Didi Hallervorden. Palim, palim. Alles ist so schön. Jammerschade, dass man
das erst in vier Jahren wieder erleben darf.
25 Jan 2021
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Die Wahrheit
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