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# taz.de -- Die Wahrheit: Wenn der Lappen jammert
> Aus dem alltäglichen Leben eines Spülschwamms: eine Geschichte vom Dasein
> auf der schiefen Ebene der dreckigen Putzwelt.
Bild: Hat Schule gemacht: Schwamm in besserer Umgebung (vor Lockdown)
Ich will den alten Lappen, der im Badezimmer rechts unter dem Waschbecken
hängt, gerade wegwerfen, als ich eine dünne Stimme höre: „Halt! Nicht!
Nicht wegschmeißen, Herr! Ihr macht einen fatalen Fehler!“
Ich halte inne. Es ist der Lappen. Er spricht zu mir.
„So höre meine Geschichte: Einst war ich ein sauberer Spülschwamm,
jüngster Spross einer stolzen Sammelpackung. Kein Sonderangebot aus dem
Baumarkt, sondern von hohem Geblüte aus der Drogerie. Dirk Rossmann
persönlich, so munkelte man ehrfürchtig in den Regalen von den
Kosmetikprodukten bis hin zur Babynahrung, sei mein Vater gewesen. Und wenn
nicht mein Vater, so doch zumindest mein großer Förderer und Fürsprecher,
da er ja immerhin dafür gesorgt hatte, dass ich dort angeboten wurde.
Ich wurde verkauft und kam in einen bescheidenen Haushalt. Weil ich so
sauber, neu und zuverlässig war, fiel mir dort zunächst die
verantwortungsvolle Aufgabe zu, in der Küche das schmutzige Geschirr zu
reinigen. Wo Not am Lappen war, war ich mir dennoch nicht zu fein, auch mal
ein paar Brösel von der Arbeitsfläche zu wischen. Für derlei Verrichtungen
war ich zwar überqualifiziert, doch man hilft, wo man kann – da brach mir
schon kein Zacken aus der Krone.“ Er seufzt.
## Der Schwamm seufzt
„Doch mit der Zeit wurde ich alt“, fährt der Lappen bitter fort. „Ich sah
nicht mehr ganz so gut aus, meine Farben verblassten, ich wurde grau. Erste
kleine Fetzen hingen mir an der Seite herunter, an meinen Rändern begann
die Arbeitsschicht sich vom Körper zu lösen. Vielleicht hätte ich die
Mithilfe an der Arbeitsfläche mit Hinweis auf meine Position doch besser
verweigert. Nun war es zu spät.
Denn ich wurde in einen Eimer mit fremdartigen Putzutensilien versetzt. Ein
mürrischer Schrubber, ein fieser Feudel und ein pampiger Pömpel, die mich
mobbten, wo es nur ging: ‚Nach der Seife bücken‘, ‚Jammerlappen‘,
‚Lumpenpack‘ – das waren noch die freundlichsten Begriffe. Hier sollte ich
nun als Schwämmchen für alles mein Dasein fristen – es kam einer
Degradierung gleich. Und das alles nur, weil ich nicht mehr taufrisch war.“
Seine Stimme stockt. Es dauert ein paar Sekunden, ehe er weitersprechen
kann.
„Die Arbeit war hart und ungewohnt für mich. Zum ersten Mal in meinem Leben
kam ich mit scharfem Essigreiniger in Berührung, ich, der ich doch gewohnt
war, in hautfreundlichem Spülmittel zu baden und das Essgeschirr meines
Herrn zu säubern. Der Reiniger brannte sich richtiggehend ein. Ich litt
Höllenqualen. Nach getaner Arbeit weinte ich oft lange vor mich hin. Ich
fühlte mich unglücklich und allein. Ich vermisste die Spülbürste, ja sogar
den spröden Topfschrubber, mit denen ich gemeinsam den schwierigen Abwasch
bewältigt hatte. Wir waren so ein tolles Team. Wir konnten uns blind
aufeinander verlassen.“
## Der geframte Feudel
„Kurze Zwischenfrage.“ Ich schnipse mit den Fingern, um Einwände
anzumelden: Wenn die wirklich so ein tolles Team sind, warum haben die
andern ihm dann nicht geholfen? Warum spricht er von mir als „der Herr“ in
der dritten Person? Und vielleicht war der als „fies“ geframte Feudel ja
auch einfach nur traurig? Doch vergebens, der Schwamm labert ungebremst
weiter:
„Die Tätigkeit war nicht so anspruchsvoll wie die als Spüllappen, aber
dafür kam ich in dem neuen Job wenigstens ordentlich rum. Ich wischte
Zehennägel vom Schreibtisch, Blut und Sperma von den Schlafzimmerdielen
sowie Weinlachen vom Balkontisch. Dort draußen konnte ich stets etwas
frische Luft und Sonne tanken. Es war am Ende doch nicht alles schlecht.
Schon gar nicht im Vergleich zu dem, was nur einen Monat später folgen
sollte. Da wurde ich nämlich ins Badezimmer abkommandiert. Mein neues Reich
war ein unwirtlicher, immer feuchter Ort, mit schmucklos gekachelten
Wänden, wo in der Küche noch schöne Fotografien und lustige Kalender
hingen. Zunächst glaubte ich an ein Missverständnis. Vielleicht sollte ich
ja nur vorübergehend einspringen als Krankheitsvertretung für irgendeinen
anderen Lappen. Ich wusste damals nicht, dass dies hier meine grauenhafte
Endstation sein sollte. Oder hatte ich es geahnt und wollte es mir bloß
nicht eingestehen?
Hätte ich gewusst, welche Demütigungen noch auf mich warteten, so hätte ich
gewiss schon längst versucht zu fliehen. Zwar bin ich nicht sehr agil, doch
mit meiner Intelligenz hätte ich sicher irgendeinen Weg gefunden: einen
Fluchttunnel gegraben, einen gemeinsamen Aufstand mit dem vollen
Staubsaugerbeutel und dem leeren Allzweckreiniger angezettelt – was weiß
ich.
## Rohe Scheuermilch
Meine Aufgabe war es nun, die Badewanne und das Handwaschbecken zu
reinigen. Und zwar mit roher Scheuermilch, deren unschöne Bekanntschaft ich
hier nun erstmals machte. Innerhalb weniger Wochen ging ich vollkommen
kaputt. Grau und zerfleddert wie ich war, hätte mich meine eigene
Sammelpackung nicht mehr erkannt. Und so kam, was kommen musste: Der Herr
schulte mich in einem nur Sekunden dauernden Workshop zum Klolappen um.
Nun erst war ich wirklich ganz unten angekommen. Als ich die erste Scheiße
meines Lebens sah, schrie ich vor Schreck und Ekel auf: Was war das denn?
Davon hatte bei Rossmann keiner was erzählt! Von einem kleinen Bord hinter
der Keramik blickten mich meine neuen Mitarbeiter hämisch an: der ätzende
Toilettenreiniger, das verlogene Duftspray und die arrogante WC-Ente. Mit
spitzen Fingern führte mich der Herr tief unter den Innenrand der
Toilettenschüssel, wo Entsetzliches auf mich wartete: Spritzer von Kot,
Urinstein und Spuren verdorbener Essensreste. Die kamen mir aus meiner Zeit
in der Küche vage bekannt vor, doch sie grüßten mich nicht zurück. In ihrer
unerfreulichen Lage konnte ich das sogar verstehen.
Ach ja, die Küche. Bei der Erinnerung an die schöne alte Zeit wollte ich
nur noch sterben. Ich stank entsetzlich und fühlte mich erniedrigt und
ausgebeutet. Nach getaner Fron reinigte mich der Herr notdürftig und
klemmte mich rechts unter das Handwaschbecken. Links, wie ich ja nun aus
eigener Erfahrung wusste, steckte mein unglücklicher Nachfolger für Wanne
und Schränkchen. Eines Tages würde er an meiner Stelle sein – so viel
wusste ich nun. Wo käme ich dann hin? Und sollte ich ihn warnen? Ich ließ
es am Ende sein …“
Das waren eindrucksvolle Worte! Der Schwamm tut mir leid. Es ist alles
meine Schuld. Am liebsten würde ich ihn als Wiedergutmachung zum
Geschirrschwamm ehrenhalber ernennen. Auf Lebenszeit. Bei dem Gedanken
daran muss ich nicht nur vor Rührung ein bisschen würgen. Doch bestimmt
würde er merken, dass ich das nur aus schlechtem Gewissen tue. Dabei ist
ihm ehrliche Anerkennung das wichtigste, aber ein oller Scheißlappen kann
nun mal keine Teller säubern. Also würde ich seinen Stolz bloß noch mehr
verletzen, denn das Leistungsprinzip ist uns beiden wichtig. Ich werfe ihn
weg.
9 Feb 2021
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Die Wahrheit
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Schwerpunkt Coronavirus
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