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# taz.de -- Die Wahrheit: Hipster im Schlamm
> Ein paar kleine, gar nicht barbarische Anmerkungen zur neuen
> Netflix-Serie „Barbaren“ – mit Leitkultur und Migrationshintergrund.
Bild: Fremde kommen ins Land, und dann auch noch Italiener!
Wer Angst hat, der folgende Bericht könnte Spoiler enthalten, sei beruhigt:
Wir haben das alle eh schon hundertmal gesehen, ob auf Wikipedia (Stichwort
„Varusschlacht“), in „Der Untergang“, in Dokumentationen über die Pogr…
von Rostock-Lichtenhagen oder, wie eben jetzt auf Netflix: die „Barbaren“.
Der Plot der neuen Serie, die der Streamingdienst kurz vor dem deutschen
Schicksalstag 9. November freigeschaltet hat, ist denkbar simpel: Ausländer
sind ins Land gekommen, mit eigenen Bräuchen, Göttern und Speisen. Die
Meeresfrüchtepizza der Tschuschen knofelt ungewohnt durch den teutschen
Wald des Jahres 9 nach Christi Geburt, es riecht nach Unterdrückung.
Die Neuankömmlinge sind selbstbewusst und besser angezogen als die
heimischen Cherusker, auch muss irgendjemand ihnen kurz vor Drehbeginn die
Haare geschnitten haben. Sie nehmen keinerlei Rücksicht auf die Leitkultur
(Wildschweineficken, Weitpissen und sonstige Barbareien). Kurzum, sie
stören.
Es gibt ein „Thing“ genanntes Plenum (nur für Männer!). Nach dem
vergeblichen Versuch, des Nachts den Fremden die Unterkünfte anzuzünden,
erschlägt man sie im Wald von hinten. Dabei hilft ihnen ein Typ mit
Migrationshintergrund. Alles in allem eine urdeutsche Geschichte.
## Männerwelt mit Massaker
Es ist eine rechte Männerwelt. Toxische Torftrottel brüllen rum, saufen Met
und hauen sich und anderen aufs Maul. Nicht untypisch für archaische
Gesellschaften labern sie zwar in einem fort von Ehre, haben aber offenbar
kein Problem damit, ihre nichtsahnenden Gäste beim Sleepover kaltblütig im
Schlaf zu massakrieren. Oder, frei nach Kant: „Das Leben des Einzelnen
endet dort, wo die Ehre des Anderen beginnt.“
Eine Ausnahme inmitten des tobenden Testosteron-GAUs bildet Thusnelda. Die
Tochter des verschlagenen Ehrgeizlings Intrigwin Wolfskot, in dessen Hütte
es meist nach frischem Röhmputsch riecht, darf sogar mit den Jungs zusammen
Römer ärgern. Stets blitzt aus ihrem Kittel neckisch der Brustansatz
hervor, aber wer weiß, das hat man vielleicht damals so getragen.
Der Verfasser dieser Zeilen will auch keinen auf prüde machen, er hat
überhaupt nichts gegen nackte Frauen, einige seiner besten Freunde sind
nackte Frauen. Trotzdem macht es fast wütend, wie einem hier das
Alibi-Axthaserl als Speerspitze (sic!) des eisenzeitlichen Feminismus
verkauft wird, obwohl diese Lara-Croft-Scheiße im Wildschweingewand doch
allzu offensichtlich nur als kundenbindendes Augenzuckerl für streamende
alte Säcke mit Germanenfetisch dient: Nazis, Jäger, Geschichtslehrer …
Ob Sprache, Requisiten oder atmosphärische Details dem Jahr 2014 oder dem
achten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entnommen wurden, ist den
Machern völlig wumpe. Alt ist alt. Überhaupt scheint es nur eine einzige
Folie für sämtliche Keulenfilme zu geben, eine Mischung aus „Asterix“,
„Game of Thrones“ und Whiskywerbung für jene Sorte Männer, die über ihre
Gefühle sprechen können und trotzdem schon mal in Turnsachen an der
frischen Luft waren.
Letzteren Männertypus gab es offenbar schon bei den Germanen. Die
männlichen Hauptfiguren wirken, als wären sie selbst zu Besuch: Mit
modischem Dutt und Vollbart streifen Gernot Gleitwolf, Thorwarth Torfkopp
und wie sie alle heißen auf der Suche nach einem Späti, der nach 23 Uhr
noch Met verkauft, durch den Wald. Allen voran legt DJ Ötzi aka Folkwin
Wolfsspeer in seinem nonbinären Vintage-Felljäckchen vom Flohmarkt nahe,
dass die Gegend szenetechnisch schon vor zweitausend Jahren gut im Kommen
war, man hat es vor lauter Bäumen nur noch nicht gesehen.
Aber warum sind alle bloß so schmutzig, fragt man sich, weil man ja auch
nie jemanden arbeiten sieht. Doch im nächsten Moment wälzen sie sich schon
wieder raufend im Schlamm. Erwachsene Leute. Manche tun sich sogar richtig
weh dabei. Hygieneregeln? Fehlanzeige.
Wenn der Hipster-Häuptling vor den Kulissen seines Schlumpfhausens aus
schlampig zusammengenagelten Bretterbuden der römischen Delegation im
völlig versifften Shirt entgegentritt, schämt man sich einmal mehr für die
Deutschen. Also für die Germanen. Also für die Cherusker. Hätte der sich
nicht wenigstens kurz mal frisch machen können? Es ist so megapeinlich. Das
sind doch unsere Vorfahren, das fällt doch alles wieder auf uns zurück, und
dann werden wir in dem malerischen Pastaschuppen in der Toskana wieder
nicht bedient.
Neben besagten hippen jungen Kriegern gibt es bei den Germanen
selbstverständlich auch noch jede Menge Volk fürs Grobe. Dumm, stark und
brutal wecken sie im halbakademischen Streamer diese
Moritz-von-Uslar-mäßige „Aber es sind gute Jungs“-Faszination des
Sesselpupers für den rauen, doch ehrlichen Proletarier, angereichert mit
schlappschwänziger Neidfurcht vor dem körperlich Überlegenen. Dabei können
wir eh nicht auseinanderhalten, wo es sich um schlichte Gerüstbauer oder
rechte Schläger handelt.
## Volkskontakt im Fernsehsessel
Oder eben um Barbaren – doch wo ist da schon der Unterschied? Wir haben
völlig den Kontakt zum einfachen Volk verloren. Hier auf Netflix finden wir
ihn endlich wieder, im sicheren Fernsehsessel schließt sich der Kreis auch
zur eigenen Vergangenheit: der uralten Angst des Strebers mit der Brille,
in der großen Pause von den Barbarenjungen auf dem Schulhof verkloppt zu
werden. Die Zwei in Latein hilft ihm hier nicht weiter – im Gegenteil.
Nicht nur deretwegen müssten wir uns eigentlich eher mit den Römern
identifizieren, glatt rasiert sowie erstaunlich sauber – so einem würde man
doch jederzeit ein gebrauchtes Pferd abkaufen. Sie sind der (noch) lebende
Beweis, dass es möglich ist, sich durch Germanien zu bewegen, ohne sich
dabei komplett einzusauen.
Aber leider ist man dann doch mal wieder heimlich für die Deutschen, guilty
pleasure des eigentlich doch linken Antipatrioten, bekannt aus EM, WM und
WW II. Hinzu kommt, dass die Italiener schauspielern, mauern und Zeit
schinden, sobald sie erst in Führung liegen. Und den Germanen nehmen sie
die Kinder und die Ziegen weg. Das ist doch alles nicht sportlich, oder?
Das müssen wir doch nicht gut finden, für die müssen wir doch nicht sein?
Nach der großen Rauferei am Ende wird der Barde an eine Eiche gefesselt und
es gibt Wildschweinbraten. Mahlzeit. Als weitaus gelungenere Genreparodie
sei an dieser Stelle die Serie „Norsemen“ empfohlen, ebenfalls auf Netflix.
Vielschichtiger gestaltet sind hier übrigens die Frauenrollen, egal ob
Heimchen oder Kriegerin. Aber das ist ja auch Norwegen und nicht
Deutschland.
16 Nov 2020
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Netflix
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