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# taz.de -- Nach den US-Wahlen: Immer noch Georgia
> In Georgia entscheidet sich am 5. Januar, wer künftig im US-Senat das
> Sagen hat – und damit auch, was Joe Biden als Präsident durchsetzen
> können wird.
Bild: Ohne Gegner: Jon Osoff vereinsamt ohne David Perdue bei dem TV Duell in A…
Georgia ist stolz auf seine „Southern hospitality“. Dazu gehört auch, dass
unangenehme Dinge – wenn überhaupt – hinter vorgehaltener Hand geflüstert
werden. Doch in diesen Tagen gehen erzkonservative Spitzenpolitiker des
Bundesstaates an die Öffentlichkeit, um den US-Präsidenten zu schelten. In
Pressekonferenzen und bei Interviews werfen sie Donald Trump Verfehlungen
vor, die Republikaner jahrelang ignoriert haben: dass er „das Volk
düpiert“, dass er „Fehlinformationen“ verbreitet und dass er „Fakten u…
Fiktion“ vermischt.
„Die Wähler haben gesprochen. Unser Kandidat hat verloren“, sagt
Vizegouverneur Geoff Duncan am Donnerstagabend. Der Wahlleiter in Atlanta
geht noch weiter. Er macht Trump für die Todesdrohungen verantwortlich, die
Wahlhelfer:innen in Georgia in diesen Tagen erhalten. „Das muss aufhören“,
sagt Gabriel Sterling mit vor Empörung bebender Stimme: „Sonst werden
Menschen verletzt oder getötet.“
Für die Republikaner, die Georgia regieren, geht es um Schadensbegrenzung.
Sie haben die Stimmen der Präsidentschaftswahlen bereits drei Mal
ausgezählt, jedes Mal ist das Ergebnis eindeutig: Joe Biden. Zugleich sind
sie mit einer Welle von Prozessen und politischen Misstrauenserklärungen
von Trump und seinen Getreuen konfrontiert. Und sie fürchten, dass der
Präsident mit der [1][Weigerung, die Niederlage einzugestehen], und mit
seinem Kreuzzug gegen angebliche Wahlmanipulationen noch mehr Schaden
anrichten könnte.
Am 5. Januar finden in Georgia Stichwahlen für die beiden Sitze im US-Senat
statt. In dem Bundesstaat leben nur 3 Prozent der US-Bevölkerung, aber das
Wahlergebnis betrifft das ganze Land. Die Demokraten gehen mit dem
Investigativjournalisten Jon Ossoff und dem Pastor Raphael Warnock ins
Rennen. Sollten sie die Wahl gewinnen, entsteht im US-Senat ein 50-50-Patt.
Da Vizepräsidentin Kamala Harris bei Stimmengleichheit aber mit abstimmen
darf, würde eine solche Konstellation den Demokraten die Mehrheit sichern.
Falls hingegen die republikanischen Amtsinhaber:innen mindestens einen
ihrer zwei Sitze verteidigen, können sie Politik und Personalentscheidungen
[2][des künftigen Präsidenten sabotieren].
## Macht wird umverteilt
Eine republikanische Mehrheit im Senat würde viele Wahlkampfversprechen
Bidens unrealisierbar machen: von der Einwanderungsreform über die
Ausweitung der Krankenversicherung, die Streichung der Studienschulden bis
hin zu einem großzügigen Konjunkturpaket.
Georgia ist seit drei Jahrzehnten fest in republikanischer und überwiegend
weißer Hand. Aber nachdem der Bundesstaat im November mit knapper Mehrheit
Biden gewählt hat, scheint im Januar ein zweiter Erfolg der Demokraten
nicht ausgeschlossen. Es sieht nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus und
danach, dass sich die Strukturen im einst von Plantagenökonomie und
Sklaverei geprägten Süden weiter verändern.
Insbesondere um Atlanta mit seiner boomenden Medien- und Musikindustrie
entsteht längst ein „neuer Süden“. Zu den beiden Gruppen der alten,
segregierten Gesellschaft sind große neue hinzugekommen: Latinos und Asian,
sowie – in Atlanta – die größte LGBT-Community des US-Südens. Auch die
afroamerikanische Bevölkerung wächst wieder. Nachdem Afroamerikaner am Ende
des Bürgerkriegs die Hälfte der Bevölkerung Georgias stellten, waren in der
Great Migration Hunderttausende in die Industriestädte des Nordens gezogen.
Schon bald wird die weiße Bevölkerung Georgias nicht mehr die Mehrheit
stellen. Bürgerrechtsgruppen erwarten den demografischen Wendepunkt in
diesem Jahrzehnt. In den Projektionen der republikanischen Regierung des
Bundesstaates verlieren die Weißen in Georgia ihre Mehrheit im Jahr 2047.
## Antisemitismus und Kalter-Krieg-Rhetorik
Die Verlustängste und Ressentiments vieler Weißer sind für Kelly Loeffler
und David Perdue Wahlkampfmaterial. Die beiden wirken wie
Provinzkarikaturen von Donald Trump. Sie haben Karrieren an der Spitze von
Unternehmen gemacht und ihre öffentlichen Ämter genutzt, um sich persönlich
zu bereichern. Außerdem behandeln sie ihre politischen Gegner:innen im
großmäuligen, rassistischen und persönlich beleidigenden Stil Trumps.
Direkt nach einer Informationssitzung hinter verschlossenen Türen, bei der
US-Senator:innen im Januar lange vor der Öffentlichkeit von den Gefahren
des Coronavirus erfuhren, stießen Loeffler und Perdue ihre Aktien von
Unternehmen ab, denen durch die Pandemie Verluste drohten. Wenig später
investierte Perdue eine Viertelmillion in Unternehmen, die
Sicherheitsausstattungen für die Pandemie herstellen.
Im Wahlkampf bringt die Perdue-Kampagne ein Video in Umlauf, in dem die
Nase seines demokratischen Gegenspielers Jon Ossoff verlängert ist. Erst
nachdem Ossoff selbst das Video als „offensichtliche antisemitische
Verzerrung“ enttarnt, verschwindet es. Bei einem anderen Wahlkampfauftritt
in Georgia lallt Perdue genussvoll den Vornamen der künftigen
Vizepräsidentin Kamala Harris, die er aus jahrelanger Arbeit im Senat
kennt. „Kamalalala – was auch immer“, sagt er unter Applaus seines weißen
Publikums. In einer Debatte beschreibt Ossoff den Kontrast zwischen Perdues
Millionengeschäften mit der Pandemie und seiner Weigerung, die staatliche
Beihilfe für Arbeitslose über den Juli hinaus zu verlängern. Daraufhin
bleibt Perdue der nächsten Debatte fern.
Kelly Loeffler macht Wahlkampf mit Stereotypen aus dem Kalten Krieg. Bei
einer Fernsehdebatte mit ihrem Kontrahenten sagt sie 14 mal die Worte: „der
radikale Linke Raphael Warnock“. Immer wieder weist sie darauf hin, dass
der populäre Pastor der Ebenezer-Gemeinde im Zentrum von Atlanta, in der
einst Martin Luther King predigte, „zu radikal für Georgia“ sei. Dieselben
Worte, mit denen vor zwei Jahren auch die Gouverneurskandidatin der
Demokraten, Stacey Abrams, bedacht wurde.
## Trump-Kritik wäre politischer Selbstmord
Gegenüber Trump, dem Wahlverlierer, versuchen sich Perdue und Loeffler an
einem Drahtseilakt. Sie reden nicht von „gestohlenen Wahlen“. Aber selbst
fünf Wochen nach den Wahlen, nachdem sämtliche Bundesstaaten Ergebnisse
vorgelegt und Dutzende von Richtern die Klageversuche von Trump mangels
Beweisen abgewiesen haben, betonen die zwei Kandidat:innen, dass der
Präsident „jedes Recht auf volle Transparenz“ habe. In der vergangenen
Woche schlossen sie sich einer neuen Klage des texanischen Staatssekretärs
gegen die vier Swing States an, die Trump verloren hat.
Offene Kritik an Trump wäre für sie wohl auch politischer Selbstmord. Ein
Tweet von ihm reicht noch immer, um Karrieren zu beenden. Am vergangenen
Wochenende tritt Trump in Georgia auf, um Perdue und Loeffler zu
unterstützen. Dabei drischt er auf die Republikaner an der Spitze Georgias
ein, nennt sie „dumm“ und „unfähig“.
Noch 2018 hatte er sich für die Wahl von Gouverneur Brian Kemp in Georgia
ins Zeug gelegt. Nachdem der jetzt bestätigt, dass es bei den
Präsidentschaftwahlen korrekt zugegangen ist, sagt Trump, dass er sich für
ihn schäme, und sucht öffentlich einen Nachfolger für ihn.
Die Demokratin Abrams ist, nachdem sie 2018 die Wahl zur Gouverneurin knapp
verfehlt hatte, in Georgia zu einem Machtfaktor geworden, den die
Republikaner fürchten. Seit Jahren arbeitet sie daran, die mehrheitlich
arme schwarze Bevölkerung in die Wählerregister einzutragen. Damit hat sie
dem Bundesstaat Hunderttausende neuer Wähler beschert.
## Es kommt auf die Wahlbeteiligung an
Doch die Republikaner arbeiten dagegen. Sie schließen Wahlbüros in dünn
besiedelten ländlichen Gegenden, bringen Bürgerrechtsgruppen, die Wähler
registrieren, vor Gericht und „säubern“ Wählerlisten: Vor den
Präsidentschaftswahlen im November tilgen sie die Namen von 287.000
Personen aus dem Wählerregister. Angeblich seien diese entweder verstorben,
weggezogen, wegen einer Straftat verurteilt, hatten seit Jahren nicht
gewählt – oder ihr Wahlrecht anders verwirkt.
Nachdem die Bürgerrechtsorganisation ACLU und der Black Voters Matter Fund
herausfinden, dass beinahe 200.000 Personen zu Unrecht aus den Listen
gestrichen worden sind, befasst sich nun ein Gericht damit.
Politisch sind die Fronten in Georgia festgefahren. Trump-Anhänger,
inklusive der von Trump beschimpften Mitglieder der repubikanischen
Regierung von Georgia, werden wahrscheinlich für Perdue und Loeffler
stimmen. Auch die widersprüchlichen Botschaften des noch amtierenden
Präsidenten, die Wahlen seien „manipuliert“ und man solle unbedingt wählen
gehen, werden sie nicht dazu bringen, ihre Stimmen den Demokraten zu geben.
Entscheidend für den Ausgang der Stichwahl wird die Wahlbeteiligung sein.
Mit einem der größten finanziellen Wahlkampfeinsätze der US-Geschichte
kämpfen beide Seiten darum, so viele Wähler:innen wie möglich zur
Stimmabgabe zu bewegen.
13 Dec 2020
## LINKS
[1] /Trump-und-die-US-Republikaner/!5737298
[2] /Wahlen-in-den-USA/!5726488
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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