# taz.de -- Coronamaßnahmen in Deutschland: Ruhephase bis Weihnachten | |
> Die Zahl der Neuinfizierten und der Covid-19-Toten ist weiter hoch. Bund | |
> und Länder verlängern Teillockdown. Über Weihnachten gibt es Lockerungen. | |
Bild: Mit Abstand am besten: Angela Merkel und Berlins Regierender Brügermeist… | |
BERLIN taz/dpa/rtr | Die Zahlen sind leider eindeutig. 389 Menschen sind | |
laut Robert-Koch-Institut (RKI) im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben – | |
allein am Mittwoch. Ginge es so weiter wie in den letzten beiden Tagen mit | |
je rund 400 Toten pro Tag, müsste man bis Weihnachten mit etwa 11.000 | |
weiteren Toten rechnen. Die Gesamtzahl der Todesopfer würde sich bis | |
Jahresende fast verdoppeln. | |
Und Besserung ist leider nicht in Sicht. 22.200 registrierte Neuinfizierte | |
meldete das RKI am Donnerstagmorgen, [1][sie liegen in etwa auf dem Niveau | |
der Vorwoche]. Vor allem bei den besonders gefährdeten alten Menschen | |
stiegt die Inzidenz, also die Ansteckungsrate in den letzten Tagen | |
dramatisch. Die Zahl der mit Covid-19-Fällen belegten Intensivbetten in | |
deutschen Kliniken steigt. Nichts deutet also darauf hin, dass die Zahl der | |
Toten in den kommenden Tagen sinken wird. Im Gegenteil. | |
Vor dem Hintergrund solcher Szenarien debattierten die Bundeskanzlerin und | |
die 16 MinisterpräsidentInnen am Mittwoch bis in den späten Abend über die | |
Coronamaßnahmen der kommenden Wochen. Am Ende einigten sich Bund und Länder | |
darauf, dass die strengen Beschränkungen für persönliche Kontakte im Kampf | |
gegen die Pandemie noch einmal für mehrere Wochen verschärft werden. Über | |
Weihnachten sollen sie leicht gelockert werden. Und schon jetzt scheint | |
klar: Auch im Januar müssen die Beschränkungen fortgeführt werden. | |
Merkel forderte eine weitere „große Kraftanstrengung“, um die weiterhin | |
hohen Corona-Infektionszahlen wieder unter Kontrolle zu bringen. „Es kommt | |
weiter auf jeden und jede Einzelne an“, sagte die Kanzlerin. Der im | |
November begonnene Teillockdown mit Schließungen zahlreicher Einrichtungen | |
habe den starken Anstieg der Neuinfektionen zwar gebrochen, diese seien | |
aber weiterhin auf einem hohen Plateau. Die Kanzlerin will die Maßnahmen am | |
Donnerstagmorgen bei einer Regierungserklärung im Bundestag nochmals | |
erläutern. | |
Die Kontaktbeschränkungen müssten ab dem 1. Dezember noch einmal verschärft | |
werden – mit einer Begrenzung von Treffen auf maximal fünf Menschen aus | |
zwei Haushalten. Dies werde nach menschlichem Ermessen bis Anfang Januar | |
gelten müssen. Weihnachten solle aber gefeiert werden können, im engsten | |
Familien- und Freundeskreise. Ab dem 23. Dezember und höchstens bis zum 1. | |
Januar sollen zehn Personen im Familien- und Freundeskreis zusammenkommen | |
können, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt. Doch davor stehen weitere | |
Einschränkungen an. | |
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller appellierte an das | |
Verantwortungsbewusstsein der Menschen. „Dinge zu ermöglichen heißt ja | |
nicht, dass alles genutzt werden muss, was möglich ist“, sagte der | |
SPD-Politiker. Noch sei das Ende der Pandemie nicht gekommen. „Wir sind in | |
einer Situation, wo es wirklich auch in vielen Bereichen um Leben und Tod | |
geht.“ Merkel sagte, man sei sehr davon abhängig, dass die Bürger auch | |
weiterhin „vernünftig und solidarisch“ seien. „Es ist überhaupt kein Si… | |
der Entwarnung zu geben, sondern im Gegenteil.“ | |
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) rief ebenfalls zu | |
Zurückhaltung an den Festtagen und Silvester auf. „Jeder kann helfen, | |
wirklich jeder“, sagte er. Vor Weihnachten wollen Bund und Länder die Lage | |
erneut bewerten. | |
Zunächst soll gelten: | |
TEILLOCKDOWN: Kneipen, Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen | |
sollen bis mindestens 20. Dezember geschlossen bleiben. Der Groß- und | |
Einzelhandel bleibt geöffnet, allerdings mit Maskenpflicht nun auch vor | |
Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen. In Geschäften mit einer | |
Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern soll sich höchstens eine Person | |
je 10 Quadratmeter Verkaufsfläche aufhalten. Bei Geschäften, die größer | |
sind, darf auf die zusätzliche Fläche dann höchstens eine Person pro 20 | |
Quadratmeter Verkaufsfläche kommen. | |
KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN: Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und | |
Bekannten sind auf den eigenen und einen weiteren Haushalt und in jedem | |
Fall auf fünf Personen zu beschränken, Kinder bis 14 ausgenommen. | |
Schleswig-Holstein hält an seinen eigenen Regeln fest. | |
MUND-NASEN-SCHUTZ: In geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind, | |
hat jeder eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Das gilt auch für | |
öffentliche Verkehrsmittel und belebte öffentliche Orte – welche das sind, | |
legen die lokalen Behörden fest. | |
FEUERWERK: Silvesterfeuerwerk auf belebten Plätzen und Straßen wird | |
untersagt. Grundsätzlich wird „empfohlen“, zum Jahreswechsel auf Feuerwerk | |
zu verzichten. Sachsen appelliert an die eigenen Bürger, beim | |
Silvesterfeuerwerk besonders auf Mindestabstände zu achten. | |
BETRIEBSFERIEN: Arbeitgeber werden „dringend gebeten“ zu prüfen, ob | |
Betriebsstätten durch Betriebsferien oder großzügige Homeoffice-Lösungen | |
vom 23. Dezember bis 1. Januar schließen können. | |
SCHULEN UND KITAS: Kinderbetreuung und Schulen sollen offen bleiben. | |
Vereinbart wurde eine Maskenpflicht im Unterricht ab der 7. Klasse, | |
abhängig von den regionalen Coronazahlen. Als unscharfe Grenze werden hier | |
im Papier „deutlich mehr“ als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner | |
genannt. Positiv getestete Schüler und ihre Mitschüler sollen sofort in | |
eine fünftägige Quarantäne. Wer dann negativ getestet wird, darf die | |
Quarantäne beenden. | |
SCHUTZ VON RISIKOGRUPPEN UND SCHNELLTESTS: Der Schutz von Risikogruppen | |
soll verbessert werden. Für Pflegebedürftige in Einrichtungen soll es ab | |
dem 1. Dezember mindestens 30 Schnelltests pro Monat geben. | |
BAHNVERKEHR: Um den Reiseverkehr sicherer zu machen, soll die | |
„Sitzplatzkapazität“ deutlich erhöht werden, um noch mehr Abstand zwischen | |
den Reisenden zu ermöglichen. Die Reservierbarkeit der Sitzplätze soll | |
parallel dazu beschränkt werden. Die „Maskenkontrollen“ sollen weiter | |
verstärkt werden, so dass täglich mehr Fernzüge kontrolliert werden. | |
FINANZHILFEN: Die Novemberhilfen für vom Teillockdown betroffene Firmen und | |
Einrichtungen sollen im Dezember fortgeführt werden. Der Bund plant | |
Finanzhilfen im Umfang von voraussichtlich 17 Milliarden Euro, wie die dpa | |
erfuhr. | |
## Gemischte Reaktionen | |
Städtetagspräsident Burkhard Jung zeigte Verständnis für die Maßnahmen. �… | |
schmerzt, dass der Teillockdown fortgesetzt werden muss. Jetzt die Kontakte | |
noch weiter zu reduzieren, verlangt uns viel ab“, sagte er den Zeitungen | |
der Funke Mediengruppe. „Aber die Coronalage lässt derzeit nichts anderes | |
zu. Je stärker wir jetzt die Regeln einhalten, desto besser kommen wir | |
hoffentlich durch den Winter.“ Er hoffe auf Lockerungen, wenn Impfstoffe | |
verfügbar seien. | |
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte den Funke-Zeitungen, die | |
Lockerungen für Weihnachten und Silvester seien riskant. Er hoffe, dass | |
daraus kein „Kickstarter für die Pandemie“ entstehe. „Aber die Befürcht… | |
ist, dass schärfere Regeln für diese Zeit von der Bevölkerung auch nicht | |
akzeptiert würden.“ Er räumte ein: „De facto haben wir keine Möglichkeit, | |
die Einhaltung der Vorschriften wirksam zu kontrollieren. Daher müssen wir | |
an die Bevölkerung appellieren – und schauen, ob es funktioniert oder | |
nicht.“ | |
Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, | |
unterstützte den Appell zum Verzicht auf das Silvesterfeuerwerk. Die | |
Kliniken seien in der Pandemie ohnehin schon sehr belastet. „Die Ärztinnen | |
und Ärzte in den Notaufnahmen werden es allen danken, die keine Raketen | |
zünden und erst recht auf Chinaböller verzichten. An Silvester müssen jedes | |
Mal schwerste Verletzungen an Händen und Augen behandelt werden, auch | |
Knalltraumata sind häufige Folgen“, sagte sie den Funke-Zeitungen. Hinzu | |
komme die Belastung von Umwelt und Gesundheit durch Feinstaub. „Das alles | |
sollten wir uns diesmal bitte sparen.“ In den Zeitungen des | |
Redaktionsnetzwerks Deutschlands verlangte Johna, Bund und Länder müssten | |
endlich dafür sorgen, dass ausreichend Schnelltests für Klinikpersonal zur | |
Verfügung stünden. | |
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft (GEW), Marlis | |
Tepe, nannte die Beschlüsse für den Schulbereich „enttäuschend und | |
riskant“. Sie sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, sie hätte sich | |
stärkere Entscheidungen für den Wechselunterricht gewünscht, also die | |
Aufteilung von Klassen in Schülergruppen, die dann abwechselnd zu Hause und | |
in der Schule unterrichtet werden. | |
## Scharfe Kritik vom Weltärzteverband | |
Der Vorsitzende des Weltärztebundes kritisiert die von Bund und Ländern | |
beschlossenen Lockerungen der Corona-Maßnahmen an den Weihnachtstagen. | |
„Medizinisch-epidemiologisch ist es Wahnsinn, an Weihnachten wieder | |
aufzumachen“, sagte Verbandschef Frank Ulrich Montgomery am Donnerstag im | |
SWR Radio. „Das Virus kennt kein Weihnachten und kein Ramadan. Das sucht | |
sich seine Opfer täglich da, wo es sie findet.“ Er verstehe allerdings, | |
dass die Menschen an Weihnachten Kontakte brauchten. Hier müsse eine | |
„saubere Balance“ gefunden werden. | |
Montgomery geht davon aus, dass die Infektions- und Todes-Zahlen nach den | |
Feiertagen wieder steigen werden. „Zwei bis drei Wochen nach Weihnachten | |
werden die Todeszahlen hochgehen. Weihnachten wird damit zu einem Fest mit | |
einem Todesrisiko für manche Menschen“, sagte der Weltärztepräsident. | |
Allerdings könne man das Risiko in Kauf nehmen, wenn sich die Bevölkerung | |
danach von selbst an die Distanzregeln halte. | |
26 Nov 2020 | |
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Gereon Asmuth | |
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