Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Abkommen für Wirtschaftsbeziehungen: Handel ist nicht Handel
> Deutschland hat mit China kein Handelsabkommen – und das Geschäft
> floriert. Für die Briten aber wäre es gefährlich, die EU ohne Vertrag
> verlassen.
Bild: Auf der Seidenstraße
Seit der Steinzeit handeln Menschen miteinander. Die „Globalisierung“ ist
nicht neu, wenn damit gemeint ist, dass es globale Handelsketten gab.
Selbst auf deutschen Äckern lassen sich erstaunliche Funde machen. So wurde
beim Bau der Autobahn A 20 in der Nähe von Anklam ein Silberschatz entdeckt
– mit arabischen Münzen aus dem siebten bis neunten Jahrhundert. Das Geld
war in Nordafrika, in Bagdad und in Persien geprägt worden, und eine Münze
stammte sogar aus Masar-i-Scharif in Afghanistan. Die Slawen an der Ostsee
verfügten also schon im frühen Mittelalter über weitläufige
Handelsbeziehungen, die sie indirekt sogar mit Asien verbanden.
Handel ist selbstverständlich – und immer politisch. Schon die antiken
Römer sahen mit Sorge, dass ihre Silbermünzen nach Ostasien verschwanden,
weil die Europäer damals ein „Leistungsbilanzdefizit“ hatten, wie es modern
heißen würde. Sie gierten nach Gewürzen und Seide, hatten aber keine Waren
zu bieten, die für Inder und Chinesen interessant gewesen wären. Schon
Kaiser Tiberius klagte daher, dass durch die ständigen Importe von
Luxusgütern das römische Geld „zu fremden und feindlichen Völkern“
abfließen würde.
Diese antike Sorge mutet ungemein modern an. Alarmiert beobachten die
Europäer derzeit, wie sich in Ostasien [1][ein neuer Handelspakt formiert,
Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) genannt]. 15 Staaten
haben sich im November zusammengeschlossen: China, Indonesien, Vietnam,
Thailand, die Philippinen, Singapur, Brunei, Malaysia, Laos, Myanmar,
Kambodscha, Japan, Südkorea – sowie Australien und Neuseeland.
Diese RCEP-Staaten vereinen 2,2 Milliarden Menschen, 30 Prozent der
globalen Wirtschaftsleistung und 28 Prozent des Welthandels. Prompt kam in
Europa die Sorge auf, dass dieser riesige Markt künftig für den Westen
verschlossen sein könnte.
Diese Sorgen sind unbegründet. Zunächst einmal ist der RCEP-Vertrag nicht
so neu, wie er erscheint. Zehn der Mitgliedsländer waren längst im Verband
Südostasiatischer Nationen (Asean) organisiert, der wiederum seit 2010 ein
Freihandelsabkommen mit China hatte. Gemeinsam kam man bereits auf 1,8
Milliarden Menschen. Neu ist jetzt nur, dass China auch ein
Freihandelsabkommen mit Japan und Südkorea abschließt – und dass Neuseeland
und Australien dabei sind.
## Lascher Pakt
Der RCEP-Vertrag ist zudem nicht besonders ambitioniert. Dienstleistungen,
Patentschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Arbeitnehmerrechte oder Subventionen
bleiben ausgeklammert. Im Kern geht es nur darum, Zölle zu senken und
einige Handelshemmnisse abzubauen.
Der RCEP-Pakt ist derartig lasch, dass diverse Mitglieder parallel einem
weiteren Vertragswerk angehören, das ehrgeiziger ausfällt. Ursprünglich war
dieses [2][Projekt unter dem Namen Trans-Pacific Partnership (TPP)] bekannt
und sollte Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko,
Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam und die USA umfassen. Doch US-Präsident
Donald Trump stieg 2017 wieder aus, weil er auf die Losung „America first“
setzte. Die restlichen elf Länder blieben jedoch dabei, seit 2018 ist TPP
in Kraft.
Der neue RCEP-Vertrag ist also nur ein Detail in einer komplizierten Welt
von Handelsabkommen. Zudem ist die EU keineswegs untätig im pazifischen
Großraum. Bilaterale Verträge gibt es mit Singapur, Vietnam, Japan und
Südkorea.
Wie diese Liste der EU-Verträge aber auch verrät, fehlt der wichtigste
deutsche Handelspartner: China. Trotzdem floriert das Geschäft. 2019 wurden
Güter im Wert von 206 Milliarden Euro zwischen Deutschland und China
ausgetauscht.
Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass Handel nur mit einem Handelsvertrag
möglich sei. Auch mit den USA hat die EU kein bilaterales Abkommen, denn
das Projekt TTIP ist vorerst gescheitert. Trotzdem expandierten die
deutschen Exporte in die USA seit 2017 um 6 Prozent, als ob es Trumps
„America first“ nie gegeben hätte.
## Brexit-Fans irren sich
Dass Handel auch ohne Handelsvertrag funktionieren kann, freut vor allem
die Brexit-Fans in Großbritannien. Sie glauben, dass sie es riskieren
könnten, die EU ohne ein Abkommen zu verlassen. Premier Johnson nennt dies
gern die „australische Lösung“, denn mit Australien hat die EU auch keinen
Handelsvertrag, ohne dass dies den bilateralen Austausch blockieren würde.
Trotzdem irrt Johnson: Handel ist nicht gleich Handel. [3][Hätten die
Brexit-Fans recht], wäre der EU-Binnenmarkt nie entstanden und alle
Europäer würden allein auf den Freihandel setzen. Doch wie die
Brexit-Verhandlungen jetzt zeigen, hat der Binnenmarkt oberste Priorität
für die EU.
Denn der Binnenmarkt garantiert, dass die Europäer überhaupt
konkurrenzfähige Güter herstellen und auf den Weltmärkten verkaufen können.
Das Phänomen nennt sich „Skaleneffekte“: Die Produktion von Waren wird umso
billiger, je mehr Stück man herstellt. Für 4 Autos lohnt sich kein
Industrieroboter; bei 10.000 Autos machen die Maschinen jedes einzelne Auto
günstiger. Am effizientesten ist es natürlich, wenn die Produkte immer
gleich sein können – was aber voraussetzt, dass die technischen
Vorschriften in möglichst vielen Ländern identisch sind. Diese
Harmonisierung leistet die EU: Im gesamten Binnenmarkt gelten die gleichen
Regeln, ob im Umwelt-, Daten- oder Verbraucherschutz.
Europäischer Binnenmarkt und weltweiter Freihandel gehören zusammen. Sie
sind kein Gegensatz, wie die Briten glauben. Die Asiaten haben dies längst
verstanden. Parallel zu ihren diversen Handelsabkommen arbeiten sie an
Wirtschaftszonen, die die EU kopieren sollen.
Aber Ökonomie interessiert nicht beim Brexit; es geht um nationale Gefühle.
Daher dürften die Briten bald die Klagen von Kaiser Tiberius wiederholen:
Da es an attraktiven Exportgütern fehlt, wird ihr Geld zu „fremden Völkern�…
fließen.
11 Dec 2020
## LINKS
[1] /Weltgroesster-Freihandelspakt-RCEP/!5728514
[2] /Oekonom-Gabriel-Felbermayr-ueber-Freihandelsabkommen/!5725395
[3] /Kein-Durchbruch-bei-Brexit-Verhandlungen/!5736988
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Schwerpunkt TTIP
Boris Johnson
Kolumne Finanzkasino
Europäische Union
China
China-EU-Gipfel
China
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt TTIP
CPTPP
## ARTIKEL ZUM THEMA
Investitionsprogramm der EU: Antwort auf die Seidenstraße
Die EU plant ein Investitionsprogramm für Schwellenländer, um den Einfluss
Chinas zu begrenzen. Schuld an der Entwicklung hat sie selbst.
Abkommen zwischen China und EU: Schwache Zugeständnisse
Ein Investitionsschutzabkommen ist Vorstufe und Voraussetzung für
Freihandel. Die EU hätte beim Abschluss härtere Bedingungen an China
stellen müssen.
Investitionsabkommen zwischen EU und China: Mit Peking ins Geschäft kommen
Nach sieben Jahren zäher Verhandlungen beschließen Brüssel und Peking ein
Investitionsabkommen. Mit den USA droht nun Ärger.
Handelsabkommen zwischen EU und GB: Uhren anhalten als letzter Weg
Die Chance auf eine Einigung zwischen der EU und Großbritannien schwindet.
Einigt man sich nicht bis Jahresende, setzen EU-Notfallmaßnahmen ein.
Brexit-Verhandlungen ohne Ergebnis: Unterhändler drehen Extrarunde
Überraschend verkünden Ursula von der Leyen und Boris Johnson weitere
Gespräche über ein Handelsabkommen.
Kein Durchbruch bei Brexit-Verhandlungen: Boris Johnson reist nach Brüssel
Die Gespräche über einen Handelsvertrag nach dem Brexit bleiben
festgefahren. Am Mittwoch soll der britische Premier Spitzengespräche
führen.
Ökonom Gabriel Felbermayr über Freihandelsabkommen: „Es muss ja nicht TTIP …
Asiens neues Handelsabkommen setzt USA und EU unter Druck, auch Verträge
auszuhandeln, sagt Ökonom Gabriel Felbermayr. Noch wichtiger sei
Kooperation.
Weltgrößter Freihandelspakt RCEP: China breitet sich aus
Peking beschließt einen Pakt mit den großen Wirtschaftsnationen der
Asien-Pazifik-Region. Die Gemeinschaft will bald auch Europa überholen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.