Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt: Die 86-Cent-Bombe
> In Sachsen-Anhalt rebelliert die CDU-Fraktion mit der AfD gegen die
> Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Das belastet die Kenia-Koalition.
Bild: Hat er seine Fraktion noch im Griff? Ministerpräsident Reiner Haseloff i…
Am Mittwochabend vergangener Woche hat die CDU in Sachsen-Anhalt die Bombe
scharf gestellt. „Wir werden die Erhöhung der Rundfunkgebühr ablehnen“,
erklärte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt.
Das Thema ist nur scheinbar nebensächlich. Von dem Ja der Unionsfraktion in
Magdeburg hängt einiges ab. [1][ARD, ZDF und Deutschlandradio hoffen auf
die Erhöhung der Rundfunkgebühr um 86 Cent pro Monat.] Die Explosion der
scharf gestellten CDU-Bombe könnte am 15. oder 16. Dezember im Magdeburger
Landtag stattfinden. Wenn die CDU-Fraktion bei ihrem Nein zum
Rundfunkstaatsvertrag bleibt, wird sie zusammen mit der AfD gegen ihre
Regierungspartner SPD und Grüne stimmen.
[2][Es wäre nicht das erste Mal, dass CDU und AfD in Magdeburg gemeinsame
Sache machen.] So fiel bei der Wahl zur Parlamentarischen
Kontrollkommission eine Grüne durch, ein AfD-Abgeordneter wurde aber
gewählt. [3][CDU und AfD arbeiteten auch bei der Einsetzung einer
Linksextremismus-Kommission zusammen.] Und zwei junge CDU-Spitzenpolitiker
warben 2019 offen für die Möglichkeit, mit der AfD zu regieren.
Vom Ende der Koalition wollen SPD und Grüne nicht reden – noch nicht. Im
Juni 2021 wird in Sachsen-Anhalt gewählt und an einer kollabierenden
Regierung haben weder Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) noch SPD und
Grüne ein Interesse. Eigentlich.
Jetzt tickt aber die Uhr. Und SPD und Grüne suchen nach einem Weg, um die
Bombe irgendwie zu entschärfen.
## Koalitionsvertrag, Seite 136
Markus Kurze, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion und
medienpolitischer Sprecher, versteht die Aufregung nicht. Die CDU halte
sich bloß an den Koalitionsvertrag. Dort steht, im letzten Kapitel auf
Seite 136: „Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
halten wir am Ziel der Beitragsstabilität fest.“
Für Kurze bedeutet das: Keinen Cent mehr für ARD und ZDF. Die CDU in
Sachsen-Anhalt sei im Übrigen lange vor der AfD der Auffassung gewesen,
dass die Rundfunkanstalten nicht mehr Geld bekommen sollen. „Das hat nichts
mit der AfD, aber viel mit unserer Glaubwürdigkeit gegenüber den Bürgern zu
tun“, sagt Kurze. Wenn Grüne und SPD im Dezember für eine Erhöhung
votieren, so Kurze, „halten sie sich nicht an den Koalitionsvertrag“. Die
CDU in Sachsen-Anhalt war immer auf Distanz zu Gebührenerhöhungen. Als
Haseloff den Staatsvertrag als letzter Ministerpräsident unterschrieb, gab
es eine Protokollnotiz, dass es dafür im Landtag keine Mehrheit gibt.
Hat die CDU-Fraktion also inhaltlich recht – auch wenn es wenig weitsichtig
ist, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen und nebenbei womöglich die
Regierung in die Luft zu jagen? Katja Pähle, SPD-Fraktionschefin in
Magdeburg, nennt das Verhalten der CDU „verwunderlich“. Die 86 Cent
Erhöhung hat eine unabhängige Kommission, die KEF, festgelegt. Damit ist
die KEF, betont Pähle, „deutlich unter den Forderungen des
öffentlich-rechtliche Rundfunks geblieben“. Will sagen: Eine so geringe
Erhöhung falle eher unter Beitragsstabilität.
Und selbst wenn man das, wie die CDU, anders sehe, sagt Pähle, solle man
zur Kenntnis nehmen, dass „ein Koalitionsvertrag nur Ziele bestimmt“. Im
Koalitionsvertrag stehe ja auch, dass „es 103 Prozent Unterrichtsversorgung
geben soll. Doch davon ist der CDU-Bildungsminister weit entfernt.“
## Eine Frage der politischen Haltung
Auch Cornelia Lüddemann, Fraktionschefin der Grünen in Magdeburg,
widerspricht der CDU-Deutung. Beitragsstabilität könne durchaus eine
„moderate Anpassung“ an Tarifangleichungen und Inflation bedeuten. Das
Argument hat etwas für sich. Die letzte Erhöhung des Rundfunkbeitrages
liegt schon eine Weile zurück – elf Jahre.
Für Grüne und SPD ist der Rundfunkbeitrag zudem nicht das Hauptspielfeld.
„Es geht hier um die Frage der politischen Haltung gegenüber Rechten und
Nazis“, sagt Lüddemann. Und: „Es wäre ein absolutes No-go, wenn die CDU b…
ihrer Haltung bleibt und Demokraten mit Faschisten abstimmen.“
Die SPD ist in der Wortwahl etwas zurückhaltender, in der Sache
argumentieren die Sozialdemokraten genau so wie die Grünen. Katja Pähle
sieht die CDU-Fraktion auf einem gefährlichen Weg. „Dass die CDU
ausgerechnet beim öffentlichen Rundfunk mit der AfD stimmt, ist schwer
nachvollziehbar. Damit unterstützt die CDU, selbst wenn sie andere
Argumente hat, die AfD, die die Öffentlichen-Rechtlichen auflösen will,
weil die ja angeblich Fake News verbreiten.“
[4][Eva von Angern, Vizechefin der oppositionellen Linksfraktion, hält
Haseloff für den Einzigen, der das Desaster noch stoppen kann.] Doch der
habe bislang nur „sehr laut geschwiegen“. Er werde „zum Steigbügelhalter
der AfD“, wenn er nicht endlich aktiv werde. Von Angern fordert, dass der
Ministerpräsident die Vertrauensfrage stellen müsse. Ob er in seiner
Fraktion noch eine Mehrheit hat, sei fraglich: „Er hat seinen Laden nicht
im Griff.“
Was nun? Die SPD hat Reiner Haseloff am 1. Dezember in ihre Fraktion
eingeladen und will ihm klarmachen, wie gefährlich die Lage ist. Denn, auch
da sind sich SPD, Grüne und Linksfraktion einig: Dass es überhaupt so weit
kommen konnte, geht auf das Konto des Ministerpräsidenten. „Haseloff hat
das Thema nicht ernst genug genommen“, kritisiert SPD-Frau Pähle.
## Vorbild Sachsen
In Dresden sei die Sache anders gelaufen. Auch dort polemisiert eine starke
AfD gegen Systemmedien und Zwangsgebühren, auch dort regiert eine wacklige
Kenia-Koalition. Doch, so das Lob der SPD, der sächsische Ministerpräsident
Michael Kretschmer habe sich klar für den Rundfunkstaatsvertrag
ausgesprochen und das Feuer ausgetreten. Haseloff nicht.
Am 2. Dezember trifft sich der Medienausschuss des Landtags zu einer
Sondersitzung. Dort kann eine Vorentscheidung fallen. Neue Argumente sind
allerdings nicht zu erwarten. SPD und Grüne versuchen schon seit Monaten
die CDU-Fraktion vergeblich von ihrem Nein abzubringen.
So gibt es im Landtag Mitte Dezember mehrere Möglichkeiten. Eigentlich
müssten sich, wenn es keine Einigung gibt, die drei Regierungsfraktionen
enthalten. Das bedeutet: Der Landtag lehnt den Staatsvertrag mit den
AfD-Stimmen ab. „Dass die AfD über die Existenz des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks entscheidet, ist für mich undenkbar“, sagt Pähle. Deshalb
scheidet das wohl aus.
Möglichkeit zwei: Es gibt einen Kompromiss. Die SPD versucht bereits,
schwankenden CDUlern Brücken zu bauen. Man könne für ein Ja einen
Entschließungsantrag mit kritischen Tönen zum öffentlich-rechtliche
Rundfunk aufsetzen. Das Ziel: SPD, Grüne, Linkspartei und mindestens 12
Abgeordnete der 31-köpfigen CDU-Fraktion stimmen für den Staatsvertrag.
Damit wäre das Schlimmste verhindert. Für die CDU wäre das, sechs Monate
vor der Wahl, aber ungünstig. Sie hätte sich von der AfD spalten lassen.
Die dritte Möglichkeit: Haseloff, ein erklärter Gegner der AfD, bringt
seine Fraktion noch auf Linie. Das wird nicht leicht. SPD-Fraktionschefin
Pähle fürchtet: „Der Ministerpräsident dringt in seiner Fraktion nicht
durch.“ Denn eine ganze Reihe von CDU-Abgeordneten haben keine Chance,
wiedergewählt zu werden, sie sind deshalb in ihrem Abstimmungsverhalten
wenig berechenbar.
Die vierte Möglichkeit: Die Bombe explodiert. Die CDU-Fraktion stimmt mit
der AfD gegen den Staatsvertrag. ARD, ZDF und Deutschlandradio müssten vor
das Bundesverfassungsgericht ziehen. Ihre Klage dort hätte zwar gute
Erfolgsaussichten – denn ob das Ja der Landesparlamente nötig ist, damit
der Staatsvertrag in Kraft treten kann, ist strittig. Allerdings würde das
Urteil eine Weile dauern.
Für die Kenia-Koalition in Magdeburg wäre ein Nein zum Staatsvertrag wohl
das Ende und, so die Linke Eva von Angern, „ein Triumph für die AfD“. Dass
SPD und Grüne mit einer CDU-Fraktion weiterregieren, die mit der AfD gegen
den eigenen Ministerpräsidenten stimmt, ist schwer vorstellbar. Und die
Union hätte, zum zweiten Mal nach dem Kemmerich-Debakel in Thüringen,
gezeigt, dass auf sie kein Verlass in Sachen Abgrenzung zur AfD ist. Das
wäre – mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 – ein Totalschaden.
In Berlin ist noch nicht recht angekommen, was sich da zusammenbraut.
SPD-Politiker wie Carsten Schneider und Lars Klingbeil schlagen zwar Alarm:
Die Bundes-CDU müsse sich schleunigst um die Fraktion dort kümmern.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte das aber als Déjà-vu
empfinden. [5][Als sie im Februar versuchte, CDUler in Thüringen davon
abzuhalten, mit der AfD zu stimmen, scheiterte sie auf ganzer Linie.] Und
kündigte ihren Rücktritt als CDU-Chefin an. „Es ist alles im Fluss“, sagt
SPD-Fraktionschefin Pähle in Magdeburg. Ihre Prognose: „Die Entscheidung
fällt am Tag der Abstimmung im Parlament.“
27 Nov 2020
## LINKS
[1] /Debatte-um-Rundfunkbeitrag/!5684838
[2] /CDU-und-AfD-in-Sachsen-Anhalt/!5676892
[3] /Kolumne-German-Angst/!5507668
[4] /Linken-Politikerin-ueber-Rundfunkbeitrag-in-Sachsen-Anhalt/!5731930
[5] /Reaktionen-auf-Rueckzug-der-CDU-Chefin/!5659640
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Sarah Ulrich
## TAGS
Sachsen-Anhalt
Rundfunkgebühren
CDU
Reiner Haseloff
Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
Rundfunkbeitrag
Schwerpunkt AfD
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sachsen-Anhalts CDU in der Krise: Kein zur Ruhe kommen
Der Streit um den Rundfunkbeitrag eskaliert in Magdeburg weiter. Der
entlassene CDU-Innenminister Stahlknecht tritt nun auch vom Parteivorsitz
zurück.
Erhöhung der Rundfunkbeiträge: Nur Sachsen-Anhalt schert aus
Sollte der Landtag in Magdeburg den neuen Staatsvertrag blockieren, bleibt
der Fernseher zwar nicht schwarz. Doch für die AfD wäre es ein Etappensieg.
Linken-Politikerin über Rundfunkbeitrag in Sachsen-Anhalt: „Niederlage für …
Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt will mit der AfD die neuen
Rundfunkgebühren ablehnen. Die Linke Eva von Angern fürchtet einen „Triumph
der AfD“.
Erhöhung der Rundfunkgebühren: Vertrauen für 86 Cent
Die Erhöhung der Rundfunkgebühren um 86 Cent ist eine gute und preiswerte
Investition in Qualitätsmedien – und in den gesellschaftlichen
Zusammenhalt.
CDU und AfD in Sachsen-Anhalt: Land mit braunem Schatten
In Sachsen-Anhalt wird 2021 gewählt. Einige CDU-Politiker tasten sich an
eine Zusammenarbeit mit der AfD heran. Wiederholt sich das Drama von
Erfurt?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.