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# taz.de -- AfD-Bundesparteitag in Kalkar: Meuthen kann bleiben
> Die AfD hat sich ein Sozialkonzept gegeben. Doch das lässt die meisten
> Delegierten kalt. Emotional gestritten wird über Parteichef Jörg Meuthen.
Bild: „Im Großen und Ganzen“ an die Hygieneauflagen gehalten: AfD-Delegier…
BERLIN taz | Es ist kurz nach 12 am Sonntagmittag, als Jörg Meuthen noch
einmal ans Redepult tritt. Für den AfD-Chef steht viel auf dem Spiel. Im
Saal im Wunderland Kalkar am Niederrhein, wo seit Samstagvormittag der
AfD-Bundesparteitag unter strengen Hygienemaßnahmen tagt, debattieren die
Delegierten einen Antrag, der es in sich hat: Gefordert wird, dass der
Parteitag „das spalterische Gebaren“ von Meuthen missbilligt. Kommt dieser
Antrag durch, dürfte es eng werden für den Parteichef.
Im Saal entlädt sich eine Spannung, die sich seit Monaten aufgebaut hat.
Seit Meuthen gemeinsam mit der Vize Beatrix von Storch den Bundesvorstand
der Partei erst dazu drängte, den rechtsextremen „Flügel“ um Björn Höcke
und Andreas Kalbitz zur Auflösung zu zwingen. Und dann die Annullierung der
Parteimitgliedschaft von Kalbitz durchsetzte.
„Sie haben den integrativen Kurs verlassen“, kritisiert Thorsten Weiß, der
im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. „Herr Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist
vorbei“, ruft Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen. Und
Hans-Thomas Tillschneider, Mitglied im Landtag in Sachsen-Anhalt, brüllt:
„Wenn das Führung ist, dann sind Sie ein Führer ins Nichts.“
Meuthen kennt all diese Leute genau. Es sind „Flügel“-Männer, die seit
Langem gegen ihn mobilmachen und jetzt ihre Chance wittern. Denn Meuthen
hatte am Samstag zum Auftakt des Parteitags [1][den Delegierten die Leviten
gelesen] – und damit für Aufregung gesorgt. Die Zeit, in der man von einem
Wahlerfolg zum nächsten eile, sei vorbei, sagte er. Es könne noch alles
kaputtgehen. Und schuld daran seien die Provokateure in den eigenen Reihen
– darunter die [2][Abgeordneten, die in der vergangenen Woche Gäste in den
Bundestag gebracht hatten], die Abgeordnete bedrängten.
„Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer
derber, immer enthemmter auftreten“, rief Meuthen in den Saal. Er
kritisierte das Gerede von einer „Coronadiktatur“, Vergleiche mit dem
Ermächtigungsgesetz von 1933 und [3][fehlende Distanz zur sogenannten
„Querdenker“-Bewegung]. „Das kann und darf so keinesfalls weitergehen“,
sagte der Parteichef, sprach von „rumkrakeelen“ und „rumprollen“, von
„Kindergarten“ und „Politkasperle“ und forderte stattdessen Disziplin. …
Applaus im Saal war verhalten, doch auch Buhrufe gab es kaum. Fast so, als
wäre der Parteitag in einer Schockstarre.
## Gauland fehlt am zweiten Kongresstag
Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland schaute hinter seiner Maske mit
dem Hundemuster, das er sonst auf der Krawatte trägt, alles andere als
amüsiert. [4][Hat er doch selbst von „Coronadiktatur“ gesprochen.] Meuthens
Angriff gilt also auch ihm. Später wird Gauland im TV-Interview sagen,
Meuthens Rede sei „spalterisch“ und „zu viel Verbeugung vor dem
Verfassungsschutz“ gewesen. Die Behörde prüft derzeit, ob die Gesamtpartei
als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird.
Mit seiner Rede hat Meuthen den Anlass dafür gegeben, was am
Sonntagvormittag passiert. Zwar liegt der Antrag gegen ihn schon seit
Wochen vor. Aber ohne Meuthens Rede am Vortag wäre er chancenlos. Auch weil
er von Dubravko Mandic stammt, einem Totalrechtsaußen aus
Baden-Württemberg, der unter anderem keinen so richtigen Unterschied
zwischen NPD und AfD sehen will und am Samstag auf dem Parteitag den
Ausschluss der Presse forderte, weil diese von dort unschöne Bilder liefern
könnte. Doch nach Meuthens Rede ist ein guter Teil der Delegierten
aufgebracht.
Alexander Gauland beteiligt sich an der sonntäglichen Debatte allerdings
nicht mehr: Er musste sich wegen gesundheitlicher Probleme in ärztliche
Behandlung begeben und konnte somit nicht am zweiten Tag des
Bundesparteitags teilnehmen. Ko-Fraktionschefin Alice Weidel richtete auf
Bitte Gaulands „herzliche Grüße aus dem Krankenhaus“ aus. „Es geht ihm …
er ist wohlauf“, sagte Weidel.
## Knappe Mehrheitsverhältnisse
Am Sonntag um kurz nach 12, als Meuthen also noch einmal kurz reden kann,
macht der Parteichef einen klugen Move. Er rudert ein bisschen zurück,
betont also, dass es auch ehrlich besorgte Leute unter den „Querdenkern“
gebe und dass er durch Disziplin neue Einheit in der AfD schaffen wolle.
Und er geht gleichzeitig zum Angriff über. Er sei dafür gewählt, auch
fehlerhafte Entwicklungen in der Partei zu benennen, sagt Meuthen. „Wem das
nicht gefällt, der möge einen Abwahlantrag stellen.“
Die für solch einen Antrag notwendige Zweidrittelmehrheit ist an diesem
Wochenende allerdings nicht in Sicht. Denn eigentlich, das zeigen viele
Abstimmungen über die beiden Tage, ist das Verhältnis der beiden Lager fast
halbe-halbe, mit leichter Tendenz zugunsten der Meuthianer. Diesen gelingt
es am Ende im vierten Anlauf, eine Abstimmung über den Mandic-Antrag doch
noch zu verhindern.
Auch bei den [5][Nachwahlen für drei Posten im Bundesvorstand] setzten sich
jeweils knapp jene durch, die parteiintern als gemäßigt gelten. Damit hat
sich in dem Spitzengremium die Mehrheit weiter zugunsten der Gruppe um
Meuthen und von Storch verschoben. Eine der Neuen: die hessische
Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die zur Nachfolgerin von Kalbitz gewählt
wurde. Der „Flügel“-nahe Maximilian Krah, der im Europaparlament sitzt und
unter anderem von Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla unterstützt wurde,
unterlag.
## „Im Großen und Ganzen“ an die Hygieneauflagen gehalten
Jenseits der Debatte über Meuthen geht es auf dem Parteitag eher
geschäftsmäßig zu. Recht diszipliniert halten sich die etwa 550
Delegierten, die mit Abstand an Einzeltischen sitzen, an die
Hygieneauflagen. Die meisten tragen Masken, knapp ein Zehntel soll Atteste
vorgelegt haben, dass dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.
[6][Die Stadt Kalkar hatte angekündigt], den Parteitag notfalls auch zu
beenden, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden sollten. Später teilte
sie mit, dies sei aber „im Großen und Ganzen“ der Fall. Die Eskalation, die
manche auch in der Partei in Sachen Maskenpflicht befürchtet hatten, blieb
aus.
Am Samstag haben die Delegierten mit großer Mehrheit einen Leitantrag zur
Sozialpolitik verabschiedet, der im Kern ein Rentenkonzept vorsieht. Das
sollte eigentlich der Schwerpunkt des Parteitags sein. In Erinnerung aber
wird dieser als unvollendeter Aufstand gegen Meuthen bleiben.
Bei der Debatte hatten sich übrigens Meuthen-Unterstützer recht schnell an
die Saalmikrofone gestellt, damit sie vor dem Ende der Redeliste noch
berücksichtigt werden würden. Die „Flügel“-Leute waren eindeutig langsam…
Wäre Kalbitz, der Ex-AfDler und Ex-„Flügel“-Strippenzieher, dabei gewesen,
wäre das wohl nicht passiert.
Hinweis der Redaktion: Die Berichterstatterin der taz hat wegen der
Coronalage den Parteitag der AfD nicht vor Ort, sondern vor dem
TV-Bildschirm und im Livestream verfolgt.
29 Nov 2020
## LINKS
[1] /AfD-Parteitag-in-Kalkar/!5731995
[2] /Coronaleugner-im-Bundestag/!5729871
[3] /Debatte-ueber-Coronaprovokateure/!5727689
[4] /Missachtete-Abstandsregeln/!5725407
[5] /AfD-Bundesparteitag-in-Kalkar/!5732001
[6] /AfD-Parteitag-in-Kalkar/!5731995
## AUTOREN
Sabine am Orde
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