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# taz.de -- AfD-Parteitag in Kalkar: Aufruhr im Wunderland
> Parteichef Jörg Meuthen kritisiert auf dem Parteitag fehlende Distanz zu
> den „Querdenkern“. Ein Leitantrag zum Rentenkonzept wird verabschiedet.
Bild: Wird von Fraktionschef Gauland als „spalterisch“ bezeichnet: AfD-Bund…
Berlin taz | Er unterstütze den Leitantrag, mit dem sich die AfD endlich
ein Rentenkonzept geben will, sagt Meuthen knapp. Auch sei er für das
„bedingte Grundeinkommen“, das bei der AfD offiziell „Staatsbürgergeld“
heißt und von dem nur Deutsche profitieren sollen. Dann aber setzt der
AfD-Chef zu einer kalkulierten Wutrede an die eigene Partei ein.
Die Zeit, an dem man von einem Wahlerfolg zum nächsten eile, sei vorbei, so
Meuthen. Vielmehr könne jetzt noch alles kaputtgehen. Und Schuld daran
seien, sagt Meuthen, die Provokateure in den eigenen Reihen – darunter die
Abgeordneten, die in der vergangenen Woche Störer in den Bundestag gebracht
hatten.
„Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, in dem wir immer aggressiver, immer
derber, immer enthemmter auftreten“, ruft Meuthen in den Saal. Er
kritisiert das Gerede [1][von einer „Corona-Diktatur]“, Vergleiche mit dem
Ermächtigungsgesetz von 1933 [2][und fehlende Distanz zur sogenannten
„Querdenker“-Bewegung]. „Das kann und darf so keinesfalls weitergehen“,
sagt Meuthen. Was er nicht sagt: Dass er mit einem Teil der Scharfmacher um
Björn Höcke und Co. jahrelang paktiert hatte. Für seine Rede erhält Meuthen
mäßigen Applaus, aber auch nur wenige Pfui- und Buhrufe.
Fraktionschef Alexander Gauland, der als Ehrenvorsitzender auf der Bühne
sitzt, schaut hinter seiner Maske mit dem Hundemuster, das er sonst auf der
Krawatte trägt, alles andere als amüsiert. Hat er doch selbst in
Zusammenhang mit dem Coronavirus von einer Diktatur gesprochen.
## „Zu viel Verbeugung vor dem Verfassungsschutz“
Später wird er im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix sagen, Meuthens
Rede sei „spalterisch“ und „undifferenziert“ gewesen und „zu viel
Verbeugung vor dem Verfassungsschutz“. Die Behörde prüft derzeit, ob die
Gesamtpartei als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird. Damit steht
die tiefe Spaltung, mit der die AfD derzeit zu kämpfen hat, plötzlich auf
der Tagesordnung des Parteitages.
Dazu haben sich am Samstagvormittag trotz der Coronaeinschränkungen gut 500
Delegierte im „Wunderland“ im nordrhein-westfälischen Kalkar
zusammengefunden – jener Ort, an dem einst das Atomkraftwerk „Schneller
Brüter“ gebaut wurde, das nie in Betrieb gegangen ist. Die Abgeordneten,
[3][die sich an ein strenges Hygienekonzept halten müssen], sitzen mit
Abstand an einzelnen Tischen. Nach jeweils 50 Minuten müssen alle Türen der
Halle für zehn Minuten zum Lüften geöffnet werden. Die Stadt Kalkar hatte
angekündigt, [4][den Parteitag notfalls auch zu beenden], wenn die Auflagen
nicht eingehalten werden sollten.
Da sich nicht alle Delegierten an die Maskenpflicht halten, was auch im
Fernsehen live zu sehen ist, fordert der Dabravko Mandic, Delegierter aus
Freiburg und Parteirechtsaußen, die Medien auszuschließen: „Wir müssen
nicht noch die Bilder dafür liefern, dass es nicht ganz so klappt.“ Der
Antrag wird mit großer Mehrheit abgelehnt.
Meuthens Co-Parteichef Tino Chrupalla hatte bei seiner Begrüßung am Morgen
an die Delegierten appelliert, das Hygienekonzept einzuhalten. „Tragt Eure
Masken am Sitzplatz. Haltet Abstand“, sagte er und kritisierte die
„Notstandspolitik von Bund und Ländern“ in der Corona-Krise. Am Nachmittag
sagte Andreas Stechling, der Ordnungsamtsleiter der Stadt, die
Hygiene-Auflagen seien bislang „im Großen und Ganzen“ befolgt worden. Die
von Vielen befürchtete Eskalation blieb aus.
## Staatliche Fürsorge mit völkischer Färbung
Ab mittags diskutierten die Delegierten den Leitantrag zur Sozialpolitik,
der im Kern ein Rentenkonzept vorsieht. Es ist ein Kompromiss, der nach
zähen Debatten formuliert wurde. Während die eher Wirtschaftsliberalen um
Meuthen weniger Staat wollen und die gesetzliche Rente am liebsten
abschaffen würden, setzten „Flügel“-Vertreter um Björn Höcke und den
Thüringer Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl gerade auf mehr staatliche
Fürsorge, völkisch gefärbt.
Der Leitantrag besteht nun aus einem Sammelsurium von Maßnahmen, das auch
nicht verständlicher wird, als es der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende
der Programmkommission Albrecht Glaser den Delegierten präsentiert. Von den
42 Änderungsanträgen, die es zu dem Antrag gibt, werden am Nachmittag einer
nach dem anderen abgeräumt – darunter auch jener zur Erprobung eines
Staatbürgergeldes, für das sich Meuthen am Morgen ausgesprochen hatte.
Nur wenige Änderungen kommen durch. Eine davon: die Forderung,
Ungerechtigkeiten bei den Ostrenten zu beseitigen. Am späten Nachmittag
stimmt der Parteitag mit fast 89 Prozent für den Leitantrag. Die Nachwahlen
für den Bundesvorstand, bei denen auch ein Stimmungsbild über die
Machtverhältnisse in der Partei erwartet wird, werden im Laufe des Abends
erwartet.
28 Nov 2020
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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