Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tierversuche in der Forschung: Die Tierschützer haben das Sagen
> Der Tierschutz bekommt bei der Genehmigung von Forschungsvorhaben mehr
> Gewicht. Aber Tierversuche bleiben ein Streitthema im Berliner Senat.
Bild: Im Dienst der Forschung? Eine Husky-Ratte
Berlin taz | Bei der Genehmigung von Tierversuchen haben in Berlin künftig
TierschützerInnen mehr zu sagen. In der kommenden Woche soll die
Tierversuchskommission, die in die Genehmigung von Forschungsvorhaben
eingebunden ist, neu besetzt werden. Dann werden erstmals nicht mehr
WissenschaftlerInnen, sondern TierschützerInnen die meisten Mitglieder
stellen. Allzu einvernehmlich scheint dieser Richtungswandel aber nicht zu
sein.
Wie erst vor wenigen Tagen bekannt wurde, haben mehrere wissenschaftliche
Institutionen Ende Oktober einen Brandbrief an den Regierenden
Bürgermeister versandt. Darin werfen der Präsident des
Robert-Koch-Instituts, der Dekan der Charité, der Präsident der Freien
Universität und der wissenschaftliche Vorstand des Max-Delbrück-Centrums
für Molekulare Medizin dem Senat vor, biomedizinische Forschungsvorhaben zu
blockieren und ausgerechnet in der Coronapandemie den Wissenschaftsstandort
Berlin zu gefährden. Laut Zeitungsberichten liegen 20 Forschungsvorhaben
brach, darunter auch eines zur Covid-19-Erforschung.
Alle Forschungsvorhaben, die Tierversuche beinhalten, müssen vom Landesamt
für Gesundheit und Soziales (Lageso) genehmigt werden. Dafür erstellt die
Tierversuchskommission eine Stellungnahme. Die Fachaufsicht für die
Berufung der Tierversuchskommission liegt bei der Senatsverwaltung für
Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, und damit bei Senator
Dirk Behrendt (Grüne). Die Sitzung Mitte September, in der die Kommission
neu besetzt werden sollte, sei ausgefallen und bis heute nicht nachgeholt
worden. Dass es RKI, Charité und Co. nicht nur um Termine geht, wird am
Ende des Briefs deutlich: Man gehe davon aus, dass in der
Tierversuchskommission „die wissenschaftliche Fachseite in angemessener
Weise vertreten ist“.
Rückendeckung erhielten die ForscherInnen von der Wissenschaftsverwaltung,
die direkt dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) untersteht.
Dessen Staatssekretär Steffen Krach (SPD) verlor am Montag im
Wissenschaftsausschuss deutliche Worte. „Wenn wir jetzt durch öffentliche
Äußerungen von Tierschutzbeauftragten oder durch Verwaltungshandeln daran
gehindert werden, weiter Tierversuche zu machen, oder auch nur Tierversuche
verschoben werden, dann bremst das hier den Wissenschafts- und
Gesundheitsstandort aus“, so Krach. „Das werden wir als
Wissenschaftsverwaltung nicht akzeptieren.“ Die von Behrendts Verwaltung
kürzlich neu eingesetzte Tierschutzbeauftragte des Landes, Kathrin
Herrmann, hatte sich zuvor explizit [1][gegen sämtliche Tierversuche]
ausgesprochen.
Auch die Koalition hat sich in ihren Regierungsrichtlinien verpflichtet,
führend in der Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen zu werden, und
investiert dafür nach Angaben der Wissenschaftsverwaltung bereits Millionen
Euro. Aber Berlin sei ein biomedizinisches Zentrum, und „das geht alles
nicht ohne Tierversuche, heute nicht, morgen nicht und noch für eine sehr
lange Zeit nicht“, so Staatssekretär Krach. Er habe es satt, dass die
Wissenschaft ständig dafür kritisiert werde. „Das Thema ist keine
Spielwiese für ideologisches Wunschdenken.“
Auf Nachfrage schießt nun Senator Behrendt zurück. Er habe die Neubesetzung
der Kommission nicht blockiert, sondern das Lageso längst angemahnt, die
überfällige Sitzung nachzuholen. „Ich kann mich des Eindrucks nicht
erwehren, dass Einzelne die Situation nutzen wollen, um hinter die
Vereinbarungen in der Koalition zugunsten von mehr Tierschutz in der
Forschung insgesamt zurückzufallen“, so Behrendt.
Jedenfalls soll die konstituierende Sitzung nun in der kommenden Woche, am
26. November, stattfinden. Dann befinden nicht mehr wie bisher vier
WissenschaftlerInnen, zwei TierschützerInnen und einE EthikerIn über die
Zulässigkeit von Tierversuchen. Künftig soll es – auch aufgrund der hohen
Anzahl von Forschungsanträgen – zwei Kommissionen mit je vier
TierschützerInnen, zwei WissenschaftlerInnen, eineR BiostatistikerIn und
eineR EthikerIn geben.
Eine Kommission werde sofort die Arbeit aufnehmen und dringende Anträge
bearbeiten, heißt es aus Behrendts Verwaltung.
17 Nov 2020
## LINKS
[1] /Berlins-neue-Tierschutzbeauftragte/!5723843
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Tierversuche
Forschungspolitik
Dirk Behrendt
Minen
Tierschutz
Michael Müller
Kolumne Bewegung
Tierschutz
Tierversuche
Studiengang Medizin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Minenratte Magawa geht in Rente: Eine heldenhafte Ratte
Sie arbeitete fünf Jahre lang als Landminen-Spürtier in Kambodscha. Kein
Nager war so erfolgreich wie sie. Nun geht die Ratte Magawa in Rente.
Komplett-Verzicht von Tierversuchen?: Tierversuchsfreie Stadt als Ziel
Die Tierversuchskommission des Landes Berlin wird neu besetzt. Das sorgt
für teils erhitzte Diskussionen in Politik und Gesellschaft.
Streit im Berliner Senat: Müller interveniert beim Tierschutz
Müller schreitet ein: Der Regierungschef will Spitzenforschung,
Coronabekämpfung und Jobs nicht durch Komplett-Verzicht auf Tierversuche
gefährden.
Tierrechte im Parlament vertreten: Nachhaltig will gelernt sein
Umwelt- und Tierschutz sind gleichermaßen wichtig. Doch politisch vertreten
werden sie zu selten. Hier einige Tipps, wie Sie sich engagieren können.
Berlins neue Tierschutzbeauftragte: Gegen alle Tierversuche
Kathrin Herrmann ist Berlins neue Tierschutzbeauftragte. Sie will
Tierversuche abschaffen und sie durch alternative Forschungsmethoden
ersetzen.
Initiative für weniger Tierversuche: Hamburg will Alternativen fördern
Hamburg bringt eine Bundesratsinitiative ein, damit Forschungseinrichtungen
nach Alternativen zu Tierversuchen suchen oder in einen Fonds einzahlen.
Streit um Ethik in der Forschung: Studieren ohne Tieropfer
Hamburgs SPD und Grüne wollen Tierversuche aus der Lehre verbannen,
zugleich baut die Uniklinik ein teures neues Tierversuchshaus. Die Linke
will das Geld sperren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.