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# taz.de -- Initiative für weniger Tierversuche: Hamburg will Alternativen fö…
> Hamburg bringt eine Bundesratsinitiative ein, damit
> Forschungseinrichtungen nach Alternativen zu Tierversuchen suchen oder in
> einen Fonds einzahlen.
Bild: Eignet sich gut für Versuche und braucht nicht viel Platz: Minischwein
Hamburg taz | An über 150.000 Mäusen, 2.104 Ratten, 69 Meerschweinchen, 16
Frettchen, 49 Schweinen, neun Schafen, 21 Kaninchen und sieben
Krallenfröschen haben allein die Forscher*innen des Universitätsklinikums
Hamburg Eppendorf (UKE) Versuche durchgeführt. Das ergab eine Anfrage der
Grünen Anfang dieses Jahres allein für 2018. Hinzu kommen in Hamburg
weitere Einrichtungen, die Versuchstiere nutzen. Insgesamt war die Zahl
dieser Tiere im Stadtstaat von 2017 auf 2018 sogar um 95.549 Tiere auf
263.256 gestiegen. Diesen Trend will Hamburg aufhalten. Die Landesregierung
bringt deshalb in dieser Woche eine Bundesratsinitiative ein.
„Wir halten die Wissenschaft dazu an, Alternativen zu erforschen“, sagt
Marayke Frantzen, Sprecherin der zuständigen Behörde für Justiz und
Verbraucherschutz. Die Initiative sieht vor, dass Forschungseinrichtungen
dazu verpflichtet werden, entweder selbst Alternativen zum Tierversuch zu
suchen, oder in einen Fonds einzuzahlen, der solche Forschung unterstützt.
Außerdem soll es eine Datenbank geben, in der diese Alternativen für alle
Forscher*innen zugänglich sind.
Es gibt bereits Ansätze für solche Alternativen. Grundlagenforscher*innen
am UKE haben beispielsweise aus einzelnen Zellen menschliches
Herzmuskelgewebe gezüchtet, das zum Beispiel für Medikamententests genutzt
werden kann – anstelle von Versuchstieren. Der Senat möchte solche
Forschung weiter anschieben: „Um es plakativ zu formulieren: Die
Autoindustrie muss auch weg von den Verbrennungsmotoren und braucht dafür
Anreize durch die Politik. So ist das hier auch“, sagt Behördensprecherin
Frantzen.
Doch beim Thema Tierversuche prallen Weltsichten aufeinander. Sowohl
Forscher*innen als auch Tierschützer*innen kritisieren den Vorstoß –
wahlweise als zu stark regulierend oder zu lasch.
## Zellkulturen und Computermodelle
Stefan Treue forscht als Neurobiologe am Deutschen [1][Primatenzentrum in
Göttingen] an Rhesusaffen und ist Sprecher der Initiative „Tierversuche
verstehen“. Die Bundesratsinitiative sei „letztendlich Populismus, weil sie
ihr Ziel, Tierwohl zu verbessern, verfehlt“, sagt er. In der klassischen
akademischen Forschung gehöre es zum Alltag, Alternativmethoden zu nutzen
und zu entwickeln.
Dort werde beispielsweise mit Zellkulturen oder Computermodellen
gearbeitet. „Tierversuche sind nicht die Mehrheit in der Forschung, sondern
die Minderheit“, sagt der Professor.
Anders sei dies bei kommerziellen Laboren, die beispielsweise Impfstoffe
testeten. Diese führten gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche durch, sagt
Treue. Ihnen eine indirekte Steuer aufzudrücken, weil sie nicht nebenher an
Alternativen forschten, sei der falsche Weg. „Selbstverständlich hat der
Staat dafür Geld, wenn er diese Forschung unterstützen möchte.“ Das sei
eine politische Entscheidung.
Ähnlich kritisch sieht er die in der Initiative geforderten häufigeren und
unangemeldeten Kontrollen in den Laboren. Das sei schon heute möglich, den
Behörden fehle es schlicht an Personal. Der Vorschlag löse das Problem also
nicht, sagt Treue.
Friedrich Mülln sieht die Bundesratsinitiative ebenfalls kritisch,
allerdings aus völlig anderen Gründen. Er ist Gründer der
Tierrechtsorganisation Soko Tierschutz, die mit ihren
[2][Undercover-Aufnahmen im Labor LPT] vor den Toren Hamburgs eine Debatte
über Tierversuche in der Stadt ausgelöst hat.
Die Idee, Einrichtungen zur Alternativenforschung zu verpflichten, findet
er zwar gut, doch die Formulierung in der Bundesratsinitiative sei „so
schwammig, dass sie versanden wird“. Es sei nicht klar, wer die
alternativen Projekte kontrollieren und auf ihren Nutzen evaluieren soll.
Und das biete Schlupflöcher: Labore wie LPT könnten „Pseudoprojekte ohne
Nutzen“ durchführen, um Strafzahlungen zu entgehen, glaubt Mülln.
Eine weiterer Vorschlag der Hamburger*innen ist, künftig alle Versuche
genehmigungspflichtig zu machen. Bisher müssen beispielsweise Versuche
innerhalb der Ausbildung von Forscher*innen lediglich gemeldet werden –
solange sie Verfahren verwenden, die bereits erforscht sind. Ein
bürokratisch aufwendigeres Genehmigungsverfahren ist nicht nötig.
Künftig gäbe es diese Möglichkeit nur noch, wenn mehrere gleiche Versuche
durchgeführt würden und der erste das Genehmigungsverfahren durchlaufen
hat. Mülln verspricht sich davon wenig: „Tierversuche werden fast ohne
Ausnahme immer genehmigt.“ Der Effekt werde „gleich Null sein“.
Ähnlich sei das mit den Kontrollen. „Das Problem ist, wer kontrolliert.“
Vielen Mitarbeiter*innen in den regionalen Behörden fehle die nötige
Distanz. Man kenne sich viele Jahre. „Wir fordern eine ganz andere
Überwachungsstrategie.“ Die Kontrolleur*innen müssten künftig überregional
organisiert sein und die Zuständigkeiten rotieren. „Das fordern wir auch
für die Kontrolle von Schlachthöfen“, sagt Mülln.
Der Tierrechts-Aktivist vermutet, der rot-grüne Senat wolle mit seiner
Bundesratsinitiative die Kritiker*innen des LPT-Labors beschwichtigen, das
in Hamburg kürzlich wieder die Genehmigung für Versuche erhalten hat. Der
Vorstoß beinhalte jedoch keine einzige Idee, um die Lebensbedingungen der
Tiere in den Laboren zu verbessern. „Wäre es zu viel verlangt, dass die
Tiere zumindest artgerecht leben und Hunde nicht mehr auf nassen Fliesen
schlafen müssen?“, fragt Mülln.
Julia Radzwill vom Verein Ärzte gegen Tierversuche freut es, „dass dieses
Thema in den Mittelpunkt gerückt wird“. Zwar lehne sie Tierversuche
grundsätzlich ab, doch der Ansatz, Alternativen zu fördern und
Informationen hierüber öffentlich zu machen, sei der richtige. Der Verein
führt auch selbst eine öffentliche Datenbank über tierfreie
Alternativverfahren, [3][die NAT-Datenbank.]
## Reduce, Refine, Replace
Diese zu erstellen wäre eigentlich Aufgabe der Politik gewesen, meint
Radzwill. Zudem fördere der Staat alternative Verfahren zu wenig.
[4][„Weniger als ein Prozent] der Fördergelder werden in 3R-Verfahren
investiert“, sagt Radzwill. 3R steht für Reduce, Refine, Replace, also das
Reduzieren, Verbessern und Ersetzen von Tierversuchen.
Im Gegensatz zu Forscher Treue stellt sie noch immer eine Konzentration auf
Tierversuche fest. „Das hat etwas mit Tradition zu tun und damit, dass man
damit viel Geld verdienen kann.“ Dabei lieferten Tierversuche oftmals keine
genauen Ergebnisse: „Neun von zehn Medikamenten, die im Tier gewirkt haben,
werden nicht auf dem Markt zugelassen.“
Ein Grund dafür sei, dass die Erkenntnisse oft nicht vom Tier auf den
Menschen übertragbar seien. „Tierversuche suggerieren eine falsche
Sicherheit.“ Es sei daher „geradezu fahrlässig, nicht in Alternativen zu
investieren“.
Auch der Hamburger Senat hält mehr Alternativenforschung und Transparenz
für den richtigen Weg. Im Herbst soll am UKE die erste 3R-Professur besetzt
werden. Für grundsätzlich verzichtbar hält Rot-Grün Tierversuche jedoch
nicht. In der Initiative heißt es: „Versuchsansätze, die nicht zu den
gewünschten Ergebnissen führen, werden selten in der Fachpresse
veröffentlicht.“
Das berge die Gefahr, dass solche Versuchsansätze wiederholt würden. „Wir
wissen, Verbesserungen beim Versuchstierschutz sind dringend notwendig“,
sagt Sprecherin Frantzen. Die gemachten Vorschläge trügen dazu „ganz
erheblich“ bei.
7 Sep 2020
## LINKS
[1] /Freiheit-der-Forschung/!5694715&s=primatenzentrum/
[2] /Tierschuetzer-ueber-Tierleid-im-Labor/!5640863&s=maestro+lpt/
[3] https://nat-datenbank.de/
[4] https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/images/pdf/forschungsfoerderung.pdf
## AUTOREN
Andrea Maestro
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