| # taz.de -- Islamistischer Gefährder in Gewahrsam: Pistorius feiert Polizeiges… | |
| > Nach der Verhinderung eines mutmaßlichen islamistischen Anschlags sieht | |
| > Niedersachsens Innenminister die Polizeireform nachträglich bestätigt. | |
| Bild: Protest gegen das niedersächsische Polizeigesetz 2018: Wer ist alles Gef… | |
| Hamburg taz | Das islamistische Attentat von Wien in der Vorwoche war noch | |
| präsent – deutschlandweit, und eben auch in Niedersachsen, als am Freitag | |
| Polizist*innen in Lüneburg einen mutmaßlichen Islamisten wegen „unmittelbar | |
| bevorstehender schwerer Straftaten“ in Gewahrsam nahmen. In ihrer ersten | |
| knappen Mitteilung am Freitagabend sah sich die Lüneburger Polizei | |
| veranlasst, darauf hinzuweisen, dass eine Verbindung zum Wiener Attentäter | |
| „aktuell nicht ersichtlich“ sei. | |
| Dennoch: Die Angst vor islamistischen Attentaten ist derzeit groß. Nur gut, | |
| meint Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), dass es | |
| [1][mittlerweile ein neues Polizeigesetz im Land] gibt, das diese Gefahr | |
| erfolgreich abwehrt. Aber stimmt das? | |
| Noch immer halten sich Polizei und Innenministerium mit weitergehenden | |
| Informationen zurück. Bekannt ist, dass es Freitag zu „abgestimmten | |
| polizeilichen Maßnahmen“ gegen einen 19-jährigen Lüneburger kam. Er wird | |
| der islamistischen Szene zugerechnet. Es habe laut Innenministerium eine | |
| „akute terroristische Anschlagsgefahr“ bestanden. Medienberichten zufolge | |
| soll er Anschläge auf Polizeistationen geplant haben. Auf Grundlage des | |
| Polizeigesetzes wurde er in Polizeigewahrsam genommen. | |
| Im Kreis Stade soll auch die Wohnung der Eltern des mutmaßlichen Islamisten | |
| nach Waffen durchsucht worden sein. Gefunden haben sie offenbar keine. Die | |
| Lüneburger Polizei spricht zumindest lediglich von elektronischen | |
| Datenträgern, die zur Auswertung mitgenommen worden seien. „Weitere | |
| Informationen können wir derzeit nicht geben“, sagt eine Sprecherin der | |
| Polizei am Dienstag. | |
| ## Wie konkret die Gefahr aussah, ist unklar | |
| Ohne weitere Details zu nennen, spricht Pistorius aber bereits von einem | |
| großen Erfolg: „Unsere Sicherheitsmaßnahmen haben gegriffen.“ Schließlich | |
| sei die Terrorgefahr hoch. Und während nach dem Attentat von Wien Pannen | |
| der Behörden bekannt wurden, wodurch der Anschlag möglicherweise hätte | |
| verhindert werden können, scheinen die niedersächsischen Behörden | |
| frühzeitig gehandelt zu haben. Wie konkret die Gefahr aussah jedoch, ist | |
| unklar. | |
| Klar jedoch ist für Pistorius, dass der Einsatzerfolg auch dem im Sommer | |
| letzten Jahres reformierten Polizeigesetz des Landes zu verdanken ist. Auf | |
| dieser Basis habe sich „die akute Gefahrenlage entschärft“. Die Novelle | |
| erlaubt den Behörden, beim Verdacht einer bevorstehenden Gefahr verdächtige | |
| Personen in Gewahrsam zu nehmen. Dafür sind zunächst 14 Tage vorgesehen. | |
| Durch zweimalige Verlängerung kann die Ingewahrsamnahme insgesamt 35 Tage | |
| lang sein. Nun können die Ermittler*innen, so Pistorius, „die Erkenntnisse | |
| verdichten und alle weiteren notwendigen Schritte einleiten“. | |
| Der Opposition im Landtag leuchtet nicht ein, warum ohne das neue | |
| Polizeigesetz mit seinen ausgebauten Befugnissen die Arbeit der Polizei | |
| nicht so gut gelaufen wäre. „Innenminister Pistorius irrt“, sagt Susanne | |
| Menge, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Auch vor der | |
| Reform hätten die Behörden auf dieselbe Weise Verdächtige von einer | |
| bevorstehenden Tat abhalten können. Tatsächlich waren schon zuvor zehn Tage | |
| Ingewahrsamnahme problemlos möglich. | |
| ## Grüne wollen Aufklärung | |
| Bislang wurden seit Inkrafttreten insgesamt neun Personen in | |
| Langzeitgewahrsam genommen. Sieben von ihnen wegen befürchteter häuslicher | |
| Gewalt, bei einer weiteren Person wurde ebenfalls ein bevorstehender | |
| Terrorakt befürchtet. | |
| Im vorliegenden Fall scheint seit Dienstag die verlängerte Ingewahrsamnahme | |
| ohnehin irrelevant zu sein: Der Mann wurde am Vormittag aus der | |
| Gefängniszelle heraus abgeschoben (siehe Kasten). Eine gerichtliche | |
| Aufklärung der offenbar drohenden Gefahr dürfte damit jedoch nicht mehr | |
| möglich sein. | |
| Die Grünen fordern deshalb Aufklärung, ob es sich beim Abgeschobenen | |
| [2][wirklich um einen Gefährder] gehandelt hat. „Was wir nicht brauchen, | |
| ist eine Wiederholung eines Falles in Göttingen“, sagt Menge. Dort sollte | |
| voriges Jahr ein Mann abgeschoben werden, [3][den die Behörden als | |
| islamistischen Gefährder ansahen]. | |
| Das Bundesverwaltungsgericht jedoch sah in ihm keine besondere Gefahr. Er | |
| durfte nicht abgeschoben werden. „Gefährder müssen nachweislich Gefährder | |
| sein“, mahnt Menge. | |
| 10 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| André Zuschlag | |
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