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# taz.de -- Einschränkung von Grundrechten: Frohes Fest schon mal
> Jetzt schon über Weihnachten reden? Wie im Brennglas zeigt diese
> Diskussion die Hilflosigkeit der politischen Führungsspitze angesichts
> Corona.
Bild: Alle Jahre wieder: Schaufenster in Hannover, Archivbild
Fröhliche Weihnachten! Verfrüht? Nein. Die Geschäfte sollen wir stürmen,
jetzt schon, ganz schnell und viele, viele Geschenke kaufen, denn der
Einzelhandel leidet. Die Aufforderung ist ein mutiger Schritt in die
richtige Richtung, greift aber zu kurz. Wenn schon, denn schon. Es ließen
sich doch gewiss bereits einige Osterüberraschungen finden. Es kommt nur
auf den Willen an.
Wie im Brennglas zeigt sich beim Thema Weihnachten die Hilflosigkeit der
politischen Führungsspitze im Umgang mit Corona – und wie wenig Vertrauen
sie in die Bevölkerung setzt. Nachdem sie die alte Streitfrage klar
entschieden hat, ob das christliche Fest nicht allzu sehr kommerzialisiert
wurde – ganz im Gegenteil! Kauft, Leute, kauft! –, drückt sie zugleich auf
die Tränendrüse. Wenn wir jetzt alle brav sind, dann dürfen wir das Fest
der Liebe mit der ganzen Familie feiern, auch mit der Risikogruppe der
Alten. Wem da nicht die Augen feucht werden, hat kein Herz.
## Weltuntergang sieht anders aus
Ich habe keines, sondern halte diese inhaltsleere Fixierung auf Weihnachten
für sentimentales Gewäsch. Die meisten alten Menschen, die ich kenne, sind
sehr viel realistischer, als die Regierung es ihnen offenbar zutraut. Ja,
es wäre schade, wenn sie die Feiertage allein verbringen müssten, aber ein
Weltuntergang sieht anders aus.
In der Tat besteht ein großer Unterschied zwischen der Situation eines
Menschen, der einsam zu Hause sitzt, weil niemand ihn um sich haben möchte,
und jemandem, der oder die nicht so dringend Besuch haben oder eine Reise
antreten möchte, weil gerade eine Seuche grassiert. Übrigens bin ich
dankbar, dass meine 89-jährige Mutter sich der Aufforderung zum Konsum
widersetzt und jetzt nicht ihre vornehmste Lebensaufgabe darin sieht, das
Leid des Einzelhandels zu lindern. Dabei bekomme ich gerne Geschenke.
Nun drehen immer mal wieder Leute durch, wenn es um Weihnachten geht, das
Recht darauf sollte auch einer Regierung nicht verwehrt werden. Wenn es
denn dabei bliebe. Und sich nicht täglich der Eindruck verstärkte, dass
Symbolpolitik an die Stelle zielgerichteten Handelns tritt.
Warum genau darf jetzt niemand in einem Hotel übernachten? Was ja ohnehin
unter den gegenwärtigen Umständen kaum jemand aus Spaß an der Freud tut,
weil nämlich die Hygienepläne sowohl Spaß als auch Freude verderben. Als
„Hotspots“ sind Hotels bisher nicht bekannt geworden. Das Wort „Signal“
fällt dann gerne. Das reicht nicht, schon gar nicht, wenn Existenzen auf
dem Spiel stehen. Ein „Signal“ wird Kleinkindern gegeben. Die Bevölkerung
besteht aber nicht aus Kleinkindern. Sondern – mehrheitlich – aus
Erwachsenen. Die auch – mehrheitlich – nicht blöd sind.
Deshalb akzeptieren diese seit Monaten die Einschränkung von
[1][Grundrechten], deshalb lassen sie der Regierung auch Fehler durchgehen.
Aber sobald Vertrauen als Freibrief für Unfug missbraucht wird, schwindet
die Bereitschaft zur Kooperation. Wenn es dahin kommt, dann ist das im
Hinblick auf Corona gefährlicher als jede illegale Party.
Wenn beispielsweise ein Grundrecht wie das der Unverletzlichkeit der
Wohnung verhandelbar wird, dann möchte ich dafür eine eindeutige
Rechtsgrundlage bekommen und die Parlamente daran beteiligt sehen. Aber
nicht hören, mit verdachtsunabhängigen Kontrollen seien Ordnungsämter
sowieso überfordert – tolles Argument! –, und außerdem solle die
Nachbarschaft die Augen offen halten, wer unartig sei. Nein. Bitte nicht.
Blockwarte hatten wir schon, das hat sich nicht bewährt. Corona kann viel
bewirken. Auch die Zerstörung des demokratischen Systems? Hoffentlich
nicht. Frohes Fest allerseits.
31 Oct 2020
## LINKS
[1] /Historiker-ueber-Demokratie-und-Corona/!5677423/
## AUTOREN
Bettina Gaus
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