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# taz.de -- Frauen-Cricket in Hellersdorf: Auf einen Schlag
> Bislang gibt es kein Frauen-Cricket-Team in Berlin. Hannah Page ist 17
> Jahre und möchte das ändern. Und auch Begegnungen mit Geflüchteten
> schaffen.
Bild: „Ich war total überrascht, wie gut das funktioniert“: Cricket-Traine…
Berlin taz | Auf einer Brachfläche in Hellersdorf wartet Hannah Page
anfangs mit Sorge. Sie befürchtet, dass niemand kommt. Drei Zusagen hat sie
vorher bekommen. „Ich dachte, ich stehe nachher vielleicht allein da.“
Hannah Page möchte dort das erste Frauen-Cricketteam von Berlin aufbauen.
Die Fläche, so schildert sie es, ist von Bäumen umgrenzt, schmale Wege
führen durch ungepflegtes hohes Gras, bis sie an eine Art Kunstrasenteppich
für Cricket gelangt. Kein offizielles Feld, „aber wir arbeiten mit dem, was
wir haben.“ Sie hat Holzschläger mitgebracht und Tennisbälle; eigentlich
spielt man Cricket mit Holzbällen, aber dafür bräuchte es Schutzkleidung,
die haben sie nicht.
Hannah Page, 17 Jahre, hat gerade Abitur gemacht und noch nie ein Sportteam
gegründet. „Ich war ängstlich, dass es lange dauert, bis es klappt. Ich bin
da reingegangen, ohne zu wissen, was auf mich zukommt.“ Also hat sie Flyer
verteilt, an einer Schule in Hellersdorf und im Geflüchtetenheim. Denn sie
möchte speziell auch Geflüchtete erreichen. Und die Mädchen kommen. Die
Fläche erweist sich als genau der richtige Ort, weil viele geflüchtete
Familien hier picknicken. Die Verständigung klappt problemlos. Page sagt:
„Ich war total überrascht, wie gut das funktioniert.“ Denn es gibt ja noch
ein zweites Hindernis: Wie gründet man ein Sportteam für etwas, was es hier
kaum gibt?
Frauen-Cricket existiert nicht in Berlin, jedenfalls nicht organisiert. Der
mit Baseball verwandte Teamsport, bei dem es – sehr grob gesagt –, um das
Duell zwischen Werferin und Schlagfrau geht, wird vorwiegend im
Commonwealth praktiziert. Monika Loveday, Vizepräsidenten des deutschen
Cricket-Verbandes DCB, berichtet, es gebe in ganz Deutschland lediglich
zehn Frauenteams, die im Ligabetrieb spielen. „Im europäischen Vergleich
sind wir noch ganz gut. Viele Länder haben gar keine Frauenliga.“
Eine Sportart, die so randständig ist, dass das Wort „Randsportart“ kaum
ausreicht. Und eine junge Sportart. Mädchen-Cricket gibt es hier seit etwa
2005, ein deutsches Nationalteam gründete sich 2009. Ein Jahr später folgte
eine Liga, die verschiedene Formate durchlebt hat. „Erst in letzter Zeit
hat es sich besser entwickelt“, so Loveday. Vier bis fünf neue Teams wollen
bald dazu kommen, ein Boom geradezu, vor allem in den großen Städten. Aber
bislang nicht in Berlin.
## Über die Herkunft zum Spiel gekommen
Hannah Page ist, wie viele, über ihre Herkunft dazugekommen. Die Berlinerin
hat einen englischstämmigen und Cricket-begeisterten Vater, der ebenfalls
mit Geflüchteten aktiv ist. Beim AC Berlin in Marzahn-Hellersdorf gründete
sich vor einigen Jahren auf Initiative einiger geflüchteter Männer und des
Kunstvereins „nGbK“ein Männer-Cricketteam, Pages Vater hilft bei der
Organisation. Irgendwann fragte er die Tochter, ob sie sich vorstellen
könnte, ein Team mit geflüchteten Frauen aufzubauen … „Die Menschen
zusammenzubringen, den Kindern eine Perspektive zu geben, das ist mir
wichtig“, sagt Page. „Gerade Menschen zum Beispiel aus asiatischen Kulturen
kennen den Sport sehr gut. Wir integrieren uns dann auch in deren Kultur
hinein.“
Ein Anknüpfungspunkt zum Beispiel für die drei afghanischen Schwestern, die
mittlerweile zum Stamm gehören. Sie sind 8, 15 und 19 Jahre alt. „Als
Frauen durften wir in Afghanistan keinen Sport machen, auch kein Cricket
spielen. Aber wir haben auf dem Hof mit unseren Brüdern gespielt.“ Einen
kleinen Hof mit Kühen hätten sie gehabt. Die Mutter habe keinen Sport
treiben dürfen, ihn den Töchtern aber erlaubt. „Wir hatten viel Freizeit,
also haben wir sogar mehr gespielt als hier.“ Auch wenn mal das Fenster der
Nachbarn zu Bruch ging. Jetzt sind die Schwestern glücklich, hier wieder
spielen zu können. Und froh, dass sich das Projekt nur an Mädchen richtet.
Das Männer-Cricket hat in Deutschland von der Ankunft der Geflüchteten
extrem profitiert. Frauen-Cricket dagegen gelang das bisher nicht. „Die
meisten geflüchteten Frauen haben einfach wenig Bezug zu Sport“, sagt
Monika Loveday vom DCB. „Sie sind auch in Deutschland noch sehr in
konservativen Rollenbildern verankert und kümmern sich eher um den
Haushalt. Es gibt dafür mehr und mehr Studentinnen aus den
Cricket-Nationen, die den Sport in Deutschland betreiben.“
Das verhindert ein schnelles Wachstum, macht die Szene aber auch diverser.
Denn während sich das deutsche Männer-Cricket stark aus wenigen Nationen
rekrutiert, kommen die Frauen, so Loveday, aus aller Welt, von Chile über
Russland bis Malaysia; es seien auch viele Deutsche ohne
Migrationshintergrund dabei.
## Lokale Gegnerinnen fehlen in Berlin
Leute wie Verena Dörtelmann, aus einem Dorf im Emsland stammend und ehemals
Bundesliga- und Nationalspielerin im Cricket. Sie will helfen, das Berliner
Team aufzubauen. Wobei das mit Bundesliga und Nationalteam so eine Sache
ist, denn wer organisiert ist, spielt in Deutschland automatisch
Bundesliga. „Ich fand es echt ulkig“, erzählt sie, „im Fußball habe ich…
dem Dorf gespielt, und im Cricket dann Bundesliga.“
Bei einem Aupair-Aufenthalt in Neuseeland lernte sie das Spiel kennen, die
Gastmutter war Cricket-Trainerin. Weil eine Laufbahn eben bloß ein
reiseintensives Hobby ist, ließ sie sie umzugsbedingt austrudeln. „Ich bin
da nicht so richtig am Ball geblieben. Heute interessiert mich viel mehr
Schiedsrichterin oder Trainerin.“ Für das neue Berliner Team käme das aber
noch nicht infrage. „Ich würde es mir schon zutrauen, ein paar
Trainingseinheiten zu leiten, aber ich weiß nicht, wie man ein Training für
Neulinge aufbaut, und ich sehe noch nicht, was andere besser machen
könnten.“ Zarte Schritte einer jungen Sportart eben.
Das Training ist einmal wöchentlich am Wochenende, und für die Bundesliga
wird die Zahl der Spielerinnen nicht reichen. Lokale Gegnerinnen wiederum
fehlen in Berlin. Hannah Page hofft auf die punktuellen Turniere des DCB,
dort würden sie eines Tages gern mitspielen. Aber erst mal ist sie froh
über die Mädchen, die kommen, denen sie Abwechslung bietet und vielleicht
Halt. Bei Männer-Turnieren auf dem Tempelhofer Feld, stellt sie fest, komme
jetzt auch mehr Publikum. „Vielleicht überträgt es sich eines Tages von den
Geflüchteten-Communitys auf die Mehrheitsgesellschaft.“ Aber das brauche
noch Zeit.
16 Oct 2020
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Cricket
Frauensport
Schwerpunkt Afghanistan
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Frauenfußball
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