# taz.de -- Mobbing im Cricket: Verwurzelter Rassismus | |
> Ein Cricketspieler machte Rassismuserfahrungen im Club öffentlich. | |
> Sponsoren reagieren, Ex-Mitspieler wiegeln ab. | |
Bild: Kampf gegen Rassismus und Unterstützung für Azeem Rafiq | |
Seit 2017 versuchte der in Pakistan geborene britsche Cricketspieler und | |
ehemalige englische U-19-Kapitän Azeem Rafiq, 30, auf seine wiederholten | |
Erfahrungen mit Rassismus [1][im Yorkshire County Cricket Club (YCCC)] | |
hinzuweisen. Der YCCC ist einer der ältesten Cricketvereine Englands. | |
Die Vorfälle im Verein der nordenglischen Stadt Leeds zwischen 2008 und | |
2018 hätten ihn an Suizid denken lassen. Doch vier Jahre später, Rafiqs | |
Beschwerden lagen seit 2018 auch formell vor, hat der Sportverein die | |
Vergehen immer noch nicht im ganzen Umfang zugegeben. Nicht mal, nachdem | |
die Untersuchung einer Rechtskanzlei im Auftrag des Vereins 7 der 43 von | |
Rafiq genannten Vorfälle bestätigen konnte. | |
Die Kanzlei folgerte, dass Rafiq Opfer rassistischer Drangsalierung und | |
Mobbings“ gewesen sei, wies jedoch gleichzeitig den Vorwurf des | |
institutionellen Rassismus im Verein zurück. Strafmaßnahmen gegen von Rafiq | |
genannte Übeltäter:innen fehlten. Die bestätigten Delikte sind unter | |
anderem: rassistische Sprache durch Mitspieler und einen ehemaligen Coach, | |
Belustigung über den Islam, Ignoranz von Vereinsregeln, als Rafiq sich | |
wegen seiner Erfahrungen an den Klub gewandt hatte, fehlende Halal-Speisen | |
bei Spielen und die ausbleibende Reaktion auf Rassismusmeldungen. | |
Der Gesamtbericht der Untersuchung wurde zunächst weder an Rafiqs | |
Rechtsvertretung noch an den walisischen und englischen | |
Cricket-Sportverband (ECB) ausgehändigt. Bisher fehlen Rafiqs | |
Rechtsvertretung detaillierte Einzelheiten, wie die Kanzlei zu dem Urteil | |
gekommen ist. Diese behauptet, dass einige der 26 Zeug:innen und andere | |
Menschen nichts hätten sagen wollen. Weitere Vergehen könnten wegen | |
unzulänglichen Zeugenaussagen nicht bestätigt werden. | |
## „Unangemessenes Verhalten“ | |
Yorkshire CCC reagierte auf den Bericht lediglich mit der entschuldigenden | |
Festellung, dass Rafiq „das Opfer unangemessenen Verhaltens“ gewesen sei. | |
Den Begriff Rassismus aus dem Bericht der Kanzlei wiederholte der Verein | |
nicht. Wollte der Verein etwa den Anschein erwecken, als gäbe es bei ihm, | |
wie dessen Präsident Hutton behauptet hatte, keinen Rassismus? Nicht nur | |
Rafiq und seine Rechtsvertretung haben da eine andere Ansicht. | |
Inzwischen hat der Verein eine potenzielle Ermittlung der britischen | |
Menschenrechts- und Gleichberechtigungsstelle am Hals und muss „ernste | |
Fragen“ des walisischen und englischen Cricketverbands (ECB) beantworten. | |
Er muss sich einem unabhängigen parlamentarischen U-Ausschuss vor | |
Abgeordneten in Westminster stellen, verlor nahezu alle Sponsoren, darunter | |
auch Nike, und darf keine lukrativen internationalen Spiele mehr austragen. | |
## Rücktritt des Vereinspräsidenten | |
Am Freitag ist nun auch Vereinspräsident Roger Hutton gemeinsam mit zwei | |
anderen Vorstandsmitgliedern zurückgetreten. Geschäftsführer Mark Arthur | |
und Cricket-Direktor Martyn Moxon wollen bleiben, obwohl es von den beiden | |
bisher angeblich keine entschuldigenden und bedauernden Worte zu hören gab. | |
Der Cricketsportverband ECB setzte in der Zwischenzeit eine Untersuchung | |
über Diskriminierung im britischen Cricket in Gang. Man will nun mehr von | |
Rafiqs Erfahrungen hören und möchte im nächsten Sommer Empfehlungen | |
herausgeben. | |
Zwei der Personen, die Rafiq in seinem Bericht erwähnt, stellten sich | |
inzwischen freiwillig der Öffentlichkeit. Der ehemalige Cricketspieler Gary | |
Balance bezeichnete seine rassistische Wortwahl in seiner Entschuldigung | |
als lediglich „Umgangssprache zwischen zwei freundschaftlich | |
zueinanderstehenden Teammitgliedern“. Ein anderer, Michael Vaughan, | |
behauptete, „noch nie einen Spieler nach seiner Rasse beurteilt zu haben“. | |
## Rassismus schon länger gegenwärtig | |
Auf Twitter [2][kann sich jedoch jede:r über seine politische Meinung | |
informieren]. Pro-Trump, sarkastisch gegenüber ausländischen Teams, | |
außerdem befürwortet er die „Befragung aller Muslim:innen, ob sie | |
Terrorist:innen seien“. Eine BBC-Fernsehsendung will ihn nun nicht mehr | |
im Programm haben. | |
Im Verein war schon vor dem Zeitraum, den Rafiq nennt, Rassismus | |
gegenwärtig. Eine exklusive Quelle der taz, ein in Leeds aufgewachsener | |
Mann, inzwischen Mitte 40, dessen Eltern aus Pakistan stammen, schildert, | |
wie ihm der ehemalige England- und Yorkshire-Kapitän Ray Illingworth in den | |
1990er Jahren unmissverständlich klargemacht habe, dass, „solange er | |
[Illingworth, d. Red.] lebe, kein P*** je für den Club spielen werde“. | |
## „Es setzte uns schwer zu“ | |
„Das P*** Wort fiel oft, und gleichaltrige weiße Engländer beeilten sich, | |
uns – es gab noch drei andere Spieler mit ähnlicher Abstammung – als P**** | |
zu beschreiben. Wir versuchten, den Rassismus mit freundlichem | |
Gesichtsausdruck zu schlucken. In Wirklichkeit setzte es uns schwer zu und | |
hatte einen starken Einfluss auf mich und meine politischen Ansichten.“ | |
Vor einem Jahr bestätigte ein weiterer Spieler, Rana Naved-ul-Hasan, | |
„systematischen Spott“ in seiner Zeit beim Verein. Ein weiterer Spieler | |
meldete sich in der letzten Woche zu Wort. Teammitglieder hätten ihm auf | |
den Kopf gepinkelt. Blutschmiere, Überbleibsel eines Geschlechtsverkehrs | |
mit einer Frau während ihrer Periode, hätten Teamkollegen mit einem | |
muslimischen Gebetsteppich aufgewischt. Versprechen des Vereins, alldem | |
nachzugehen, wurden versäumt, behauptete er. | |
## Neuer indischstämmiger Schirmherr | |
Auf Twitter schrieb Rafiq am Ende der letzten Woche, es ginge ihm nicht um | |
seinen Fall oder die Worte bestimmter Individuen, sondern um | |
institutionellen Rassismus und erbärmliche Fehler verschiedener Leitfiguren | |
des Clubs und im Cricket. „Ich liebe den Sport und mein Verein braucht | |
dringend Reformen.“ | |
Der neue in Nairobi geborene und indischstämmige Schirmherr des Vereins, | |
Lord Kamlesh Kumar Patel, 61, seines Zeichens Königlicher Ordensträger und | |
Mitglied des britischen Oberhauses, House of Lords, will nun für diese | |
Reformen sorgen. Während er von seinen eigenen Erfahrungen mit Rassismus in | |
England sprach, gestand er, der Verein habe „viel Arbeit vor sich, um aus | |
seinen Fehlern in der Vergangenheit zu lernen“. | |
8 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://yorkshireccc.com/ | |
[2] https://twitter.com/MichaelVaughan | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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