# taz.de -- Ein T-Shirt sorgt für eine Debatte: Plappern mit Jürgen Habermas | |
> Auch ohne Livepräsenz ist rund um die Frankfurter Buchmesse schon einiges | |
> los. Dennoch vermisst man die persönlichen Begegnungen. | |
Bild: Anne Weber hielt eine schöne Dankesrede nach ihrer Auszeichnung mit dem … | |
„Wir sind von Haus aus eine geschwätzig plappernde Spezies“, schreibt | |
[1][Jürgen Habermas] in dem gerade erschienenen Suhrkamp-Sammelband zum | |
Thema „Warum Lesen“. Wenn er es schon sagt! Die kommunikative Vernunft | |
sitzt eben auf einem weiten Feld aus Meinungen und Gegenmeinungen, | |
Verhasplern, Bewusstseinsströmen und Smalltalk auf. | |
Tatsächlich kann man ein bisschen wehmütig werden, wenn man daran denkt, | |
über wie viele Themen man dieses Jahr in Frankfurt auf der Messe hätte | |
plaudern, diskutieren und quatschen können. | |
Das geht von „Und wie verbringst du in diesen Coronazeiten deine Abende“ | |
bis zur wirklich interessanten Frage, warum einem zuletzt so viele | |
Stellenangebote von großen Verlagen mit Keywords wie Management oder | |
Communication im Marketing- und Geschäftsführerbereich auffielen, mehr | |
jedenfalls als neue Stellen im Lektorenbereich. Die kaufmännischen | |
Abteilungen der Verlage scheinen aufzurüsten, und man fragt sich: auf | |
Kosten der inhaltlich arbeitenden Abteilungen? | |
## Snoopy und die Antifaschistische Aktion | |
Auch über das T-Shirt, das Hanna Engelmeier, die Sprecherin der | |
Buchpreisjury (und gelegentliche taz-Autorin), am Montag bei der | |
Preisverleihung unter einem dunklen Blazer trug, hätte man gut reden | |
können. Auf dem Kleidungsstück trägt Snoopy die Fahne der | |
„Antifaschistischen Aktion“, was von vielen Beteiligten, auch den | |
Offiziellen des deutschen Literaturbetriebs (und mir selbstverständlich | |
erst recht), als gutes Statement gegen drohenden und teilweise | |
grassierenden Rechtsradikalismus verstanden wurde. | |
Aber nicht von allen. Ein Springer-Journalist twitterte dagegen an, | |
schreckliche Drunterkommentare in Kauf nehmend; dagegen wurde wiederum eine | |
Solidaritätswelle organisiert. | |
Kommunikativ ist rund um diese virtuell stattfindende Messe also schon | |
einiges los. Aber unter Livebedingungen hätte man das alles natürlich noch | |
viel aufgeregter verhandeln können. Am Mittwoch beim traditionellen | |
Suhrkamp-Empfang dann zum Beispiel auch gern mit dem einen oder anderen | |
Habermas-Zitat – und zugleich auch mit etwas Wehmut, denn der | |
Suhrkamp-Lektor [2][Raimund Fellinger], dem der „Warum Lesen“-Band gewidmet | |
ist und der im April verstarb, wäre nicht mehr dabei gewesen. | |
## Irgendetwas erfährt man immer | |
Doch es geht beim Plappern auf der Buchmesse nicht nur um „kommunikative | |
Vergesellschaftung“ (Habermas), sondern auch um Recherche. Die eine deutet | |
etwas an, der andere verplappert sich, beim gesetzten Essen sitzt man neben | |
der Frau für die Lizenzen, nachts um drei Uhr wird man auf der | |
Rowohlt-Party doch noch unter drei einmal um die Ecke geholt. Irgendetwas | |
erfährt man immer. | |
Was man zum Beispiel gerne herausgekriegt hätte: ob in den internen | |
Diskussionen der Buchpreisjury zuletzt [3][Deniz Ohdes „Streulicht“] und | |
[4][Anne Webers „Annette“] gegeneinander standen. Das wäre nämlich eine | |
Debatte, die außerordentlich fruchtbar erscheinen könnte. Zurückgenommen, | |
ohne Tricks und sorgsam von gesellschaftlichen Erfahrungen erzählen (Ohde) | |
oder die Künstlichkeit literarischer Formenangebote nutzen, um ein langes, | |
kämpferisches Frauenleben mit Andacht, aber ohne Identifikation erzählbar | |
zu machen (Weber) – solche Schreibansätze gegeneinander abzuwägen, darauf | |
wird es für Verlage und Kritiker*innen in den nächsten Monaten ankommen. | |
Dass der Literaturbetrieb mehr Sprecher*innenpositionen integrieren muss | |
– dieser Punkt ist in der Breite angekommen. Nun wird es vermehrt auf das | |
Wie ankommen. Es kann gut sein, dass der nun endgültig um postmigrantische | |
Stimmen und solchen mit nichtbürgerlichen Hintergründen erweiterte | |
Literaturbetrieb jetzt aufs Neue literarischer wird. Die | |
Buchpreis-Entscheidung für Anne Webers „Annette“ ist ja auch eine für das | |
literarische Spiel. | |
Eins noch: Die Dankesrede von Anne Weber bei der Verleihung war sehr schön. | |
Man spürte, wieviel Ernsthaftigkeit im literarischen Spiel liegen kann. | |
13 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Habermas-neue-Philosophiegeschichte/!5640759 | |
[2] /Archiv-Suche/!234943&s=Raimund+Fellinger&SuchRahmen=Print/ | |
[3] /Debuetroman-von-Deniz-Ohde/!5703225 | |
[4] /Ueberzeugender-Buchpreis-fuer-Anne-Weber/!5719554 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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