# taz.de -- Friedenspreis für Amartya Sen: Theoretiker der Armut | |
> Amartya Sen forscht seit Jahrzehnten über wirtschaftliche Ungleichheit. | |
> Der Deutsche Buchhandel ehrt den indischen Philosophen mit dem | |
> Friedenspreis. | |
Bild: Amartya Sen erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2020 | |
BERLIN taz | Der indische Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph Amartya | |
Sen erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sen | |
setze sich als Vordenker seit Jahrzehnten mit Fragen der globalen | |
Gerechtigkeit auseinander, erklärte der Stiftungsrat des Börsenvereins am | |
Mittwoch in Frankfurt am Main. Seine Arbeiten zur Bekämpfung sozialer | |
Ungleichheit in Bezug auf Bildung und Gesundheit seien heute relevant „wie | |
nie zuvor“. | |
Der heute immer noch an der amerikanischen [1][Harvard-Universität] | |
lehrende 86-jährige Sen habe früh Konzepte vorgelegt, „die bis heute hohe | |
Maßstäbe für die Ermöglichung, Gewährleistung und Bewertung gleicher | |
Chancen und menschenwürdiger Lebensbedingungen setzen“. Sein Werk sei ein | |
Aufruf, „eine Kultur politischer Entscheidungen zu fördern, die von der | |
Verantwortung für andere getragen ist und niemandem das Recht auf | |
Mitsprache und Selbstbestimmung verwehrt“. | |
Zu Sens wichtigsten Forderungen gehöre, gesellschaftlichen Wohlstand nicht | |
allein am Wirtschaftswachstum zu messen, sondern auch an den | |
Entwicklungsmöglichkeiten für die Schwächsten. Sen hebe Solidarität und | |
Verhandlungsbereitschaft als essenzielle demokratische Tugenden hervor. | |
Sen, den Spötter als „Mutter Teresa der Wirtschaftswissenschaft“ | |
bezeichnen, ist ein Kritiker der klassischen Marktideologie. Diese | |
verdränge, dass der Marktindividualismus zu untauglichen Ergebnissen für | |
die Gesamtwirtschaft führen könne. | |
## Verwirklichungschancen sind entscheidend | |
Sen sieht Armut deshalb eben nicht nur als ökonomisches Problem, sondern | |
als Mangel an Verwirklichungschancen des Menschen. Deshalb betont er stets | |
die Rolle von Bildung. Aber auch ein funktionierendes Gesundheitswesen, | |
Rechtsstaat und freie Meinungsäußerung seien für die wirtschaftliche | |
Entwicklung nötig. Die Freiheit des Einzelnen sei eben auch ein soziales | |
Gebot. | |
Damit wendet er sich gegen zwei gängige politische Strömungen. Gegen | |
diejenigen, die den Kapitalismus als Reich der Freiheit feiern, ohne nach | |
deren sozialen Voraussetzungen zu fragen. Und gegen diejenigen, die dem | |
sozialen Unrecht allein mit staatlichen Eingriffen und materiellen | |
Transfers zu Leibe rücken wollen. | |
Sen weist aber auch diejenigen zurück, die politische Konflikte allein auf | |
die kulturelle Identität reduzieren wie der Politologe Samuel Hunntington | |
mit seiner These vom „Kampf der Kulturen“ oder auch islamistische | |
Fundamentalisten mit ihrem „heiligen Krieg“. Laut Sen habe niemand nur eine | |
Identität. | |
## Lehren aus Bengalens Hungersnot | |
Sen wurde 1933 im indischen Bengalen geboren. Er wuchs in einem | |
Professorenhaushalt während Indiens Unabhängigkeitsbewegung und der damals | |
schweren bengalischen Hungersnot in den 40er Jahren auf. Damals starben bis | |
zu 4 Millionen Menschen. Beides prägte ihn. | |
1998 erhielt er den [2][Nobelpreis für Wirtschaft] für seine grundlegenden | |
theoretischen Beiträge zur Wohlfahrtsökonomie in Entwicklungsländern. | |
Die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 18. Oktober zum Abschluss | |
der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen. (mit afp) | |
17 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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