| # taz.de -- Koordinatorin über Gorlebener Gebet: „Es muss weitergehen“ | |
| > Christa Kuhl kämpft seit Jahren gegen ein Endlager für Atommüll in | |
| > Gorleben. Und nun? Ein Gespräch über ein Ende, das keines ist. | |
| Bild: Seit den 60ern politisch aktiv: Christa Kuhl | |
| taz: Frau Kuhl, Sie organisieren seit so vielen Jahren jeden Sonntag das | |
| Gorlebener Gebet. Wurden Ihre Gebete also erhört? | |
| Christa Kuhl: Ja, einerseits. Denn es war uns ein großes Anliegen, dass das | |
| Endlager nicht weiter ausgebaut und mit Atommüll gefüllt wird. Weil es eben | |
| nicht geeignet ist, was ja viele wissenschaftliche Gutachten seit jeher | |
| zeigen. Das ist aber nur die eine Seite. Unser Anliegen ist nämlich auch, | |
| dass die Nutzung der Atomenergie insgesamt beendet wird, wo auch immer. | |
| Dieses Anliegen bleibt, es ist noch nicht erfüllt. | |
| Am 4. Oktober gab es das erste Gorlebener Gebet nach der überraschenden | |
| [1][Entscheidung, dass der Salzstock Gorleben aus dem Suchverfahren für ein | |
| Endlager ausgeschieden ist]. Wie war denn da die Stimmung? | |
| Das war großartig. Es gab für den Tag auch den Aufruf der Bürgerinitiative | |
| zu einer Demonstration direkt am Gorlebener Erkundungsbergwerk. Das war | |
| eine Jubelfeier mit mehr als 2.000 Menschen. Etwas abseits davon hatten wir | |
| unsere Andacht – wie immer. Wir waren natürlich auch sehr glücklich, dass | |
| Gorleben als Endlager-Standort herausgefallen ist und damit unser | |
| Widerstand erfolgreich war und unsere Gebete sich erfüllt haben. Aber wir | |
| haben ja nicht zum Heiligen St. Florian gebetet – „Schütz’ mein Haus, z�… | |
| andere an“. | |
| Es geht also weiter? | |
| Ja, es war uns schon am 4. Oktober klar, dass es weitergehen wird und | |
| weitergehen muss mit den [2][Gorleben-Gebeten]. Dass wir uns weiterhin | |
| treffen werden. Denn unser Motto ist ja: Spiritualität und politische | |
| Verantwortung im Widerstand. Das gilt nicht nur für einen Standort, das ist | |
| auf die Bewahrung der Schöpfung insgesamt bezogen. | |
| Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie zur Atomkraftgegnerin wurden? | |
| Mein Mann und ich haben bis vor 17 Jahren in Hameln gelebt. Politisch aktiv | |
| waren wir schon in den 1960er-Jahren und organisierten große | |
| Demonstrationen gegen den Hunger in der Welt. Als in den 1970er-Jahren das | |
| Atomkraftwerk Grohnde bei Hameln gebaut wurde, haben wir den Widerstand in | |
| einem Anti-Atom-Dorf unterstützt. Aber wir haben dort nicht die Nächte mit | |
| verbracht. | |
| Wie haben Sie Ihre Art des Protestes gefunden? | |
| Wir waren 1983 beim Kirchentag in Hannover, da kamen diese lila Tücher auf, | |
| auf denen stand: „Umkehr zum Leben – Die Zeit ist da für ein Nein ohne | |
| jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen.“ Wir standen dann in Hameln mit | |
| unseren lila Tüchern und Plakaten, jeden Freitag für eine halbe Stunde in | |
| einem Schweigekreis vor einer Kirche. Das ging auch über Jahre. Von daher | |
| war es uns sehr vertraut, auch öffentlich Stellung zu beziehen und zu | |
| zeigen, hier ist eine Gefahr für uns, und wir wollen es nicht hinnehmen, | |
| dass die Politik uns so etwas vorsetzt. | |
| Und wie ging es los mit dem Gorlebener Gebet? | |
| Nach der Standortentscheidung für Gorleben vor mehr als 40 Jahren haben | |
| [3][im Wendland] zunächst einzelne Pastoren das hin und wieder in | |
| Gottesdiensten thematisiert. Dann gab es zwei Kreuzwege für die Schöpfung. | |
| Einen 1985 und einen zweiten 1988. | |
| Was passierte da? | |
| 1985 wurde ein großes Holzkreuz vom AKW Krümmel nach Gorleben getragen, | |
| begleitet von heftigen Auseinandersetzungen mit der offiziellen Kirche. Den | |
| beteiligten Pastoren wurde zum Teil Predigtverbot angedroht, wenn das Kreuz | |
| aufgestellt würde. Und dann kam 1988 der große Kreuzweg, der zweite | |
| Kreuzweg für die Schöpfung von Wackersdorf nach Gorleben. Da wurde ein | |
| Kreuz über 1.000 Kilometer getragen von 6.000 Menschen und im Wald bei | |
| Gorleben aufgestellt. Auf dem Platz, auf dem wir uns bis heute treffen. | |
| Damals wurde hier eine Andacht mit einer großen Menschenmenge gefeiert. Das | |
| Kreuz aus Wackersdorf steht da auch noch heute. | |
| Wie ging es dann weiter? | |
| In den Monaten nach dem zweiten Kreuzweg gab es immer mal wieder einzelne | |
| Andachten. An Silvester zum Beispiel, oder auch an Feiertagen. Bis 1989 | |
| einige aktive Leute sagten, wir sollten hier eigentlich kontinuierlich | |
| zusammenkommen zu Andachten und zum Gebet. Zunächst dachten sie eher an | |
| Veranstaltungen alle 14 Tage oder einmal im Monat, aber sehr bald traf man | |
| sich zum Gebet jeden Sonntag. Und das ist nun seit 31 Jahren so, dass wir | |
| jeden Sonntag bei Wind und Wetter zusammenkommen. Es ist niemals | |
| ausgefallen, außer in den ersten Wochen nach Beginn der Coronakrise. | |
| Wie läuft denn so ein Gorlebener Gebet ab? Wird das vorbereitet? | |
| Die Andachten werden von ganz unterschiedlichen Leuten vorbereitet. Das | |
| sind mal Einzelpersonen, mal Gruppen, mal Paare oder Freundeskreise. Es gab | |
| immer einen Koordinator oder eine Koordinatorin, die das organisierte. Ich | |
| mache das seit 2006, seitdem bin ich die Koordinatorin. Wir finden immer | |
| Menschen aus der evangelischen oder katholischen Kirche, die sagen, wir | |
| wollen da gerne zu euch sprechen. Aber auch viele andere. | |
| Das ist also nicht nur eine Veranstaltung für gläubige Christen? | |
| Nein. Einmal sagte einer, er sei Atheist, ich würde auch gern kommen. Und | |
| wir haben ihn eingeladen: „Gerne, komm und erzähl uns von deinen | |
| Aktivitäten, wir wollen von deinem Widerstand lernen.“ Das war ein Mensch, | |
| der das Kreuz von Wackersdorf nach Gorleben über die ganzen 1.000 Kilometer | |
| mitgetragen hat. Also, da ist alles möglich. Buddhisten aus Nepal haben | |
| schon die Andachten geleitet, Muslime auch. | |
| Sie haben gesagt, dass die Amtskirche anfangs scharfe Kritik an dem | |
| Gorlebener Gebet geübt hat. Wie ist das heute? | |
| Das hat sich stark verändert. Als wir das 25-jährige Bestehen der | |
| Gorlebener Gebete gefeiert haben, hat der hannoversche Landesbischof Ralf | |
| Meister sich ganz offiziell entschuldigt für die vorherige kritische und | |
| abwertende Haltung der Landeskirche. Und er hat gesagt, er sei gerne | |
| gekommen, um zu uns zu sprechen und diese offizielle Entschuldigung | |
| persönlich vorzubringen. | |
| Kirchenleute waren ja auch gegen die Castortransporte nach Gorleben aktiv. | |
| Ja, da waren die meisten Pastorinnen und Pastoren im Wendland sehr | |
| engagiert. Sie haben die Kirchen geöffnet für die Demonstranten, haben | |
| Andachten gehalten, sind als Seelsorger und Seelsorgerinnen bei den | |
| Demonstrationen mitgegangen und haben in Konfliktsituationen vermittelt | |
| zwischen der Polizei und den Demonstrierenden. Der jetzige Propst aus | |
| Lüchow hat mir gerade nochmal gesagt, er hoffe doch sehr, dass unsere | |
| Gebete weitergehen. Ein anderer Teilnehmer aus der Kirche meinte, wir | |
| müssten doch weitermachen, das Gorlebener Gebet sei doch ein goldener | |
| Mosaikstein im kirchlichen Leben. | |
| Warum sind Sie 2003 denn ins Wendland gezogen? | |
| Ja, wie kommen alte Leute überhaupt dazu, umzuziehen? Unsere Tochter, unser | |
| Schwiegersohn und drei Enkelkinder lebten hier im Wendland und waren – und | |
| sind – sehr aktiv im Widerstand. Sie schlugen uns vor: „Wenn ihr im | |
| Ruhestand seid, wollt ihr nicht hierher ziehen? Hier brauchen wir euch auch | |
| in einem ganz aktiven Widerstand. Außerdem gibt es hier etwas, das ist doch | |
| bestimmt das Richtige für euch, hier sind Leute, die sind politisch aktiv | |
| und fromm. Die verbinden Spiritualität und politische Verantwortung.“ | |
| Das waren die Menschen vom Gorlebener Gebet? | |
| Ja, wir haben uns das angeschaut und gedacht, hier ist genau das, wonach | |
| wir suchen. Diese Verbindung. Nicht nur politisch. Aber eben auch nicht nur | |
| fromm und im eigenen Saft schmoren. Hauptsache, wir sind selig. Und so kam | |
| es, dass wir ins Wendland gezogen sind. | |
| Das hört sich so an, als wäre das Gorlebener Gebet auch eine Art Familie | |
| für Sie. | |
| Ich denke, es ist so eine Kerngemeinschaft von Menschen, die aufeinander | |
| achten, einander persönlich begleiten und auch sich gegenseitig sehr helfen | |
| und stärken in ihren Anliegen. Jemand von uns sagte mal, das Gorlebener | |
| Gebet bewahrt uns in den Auseinandersetzungen um die Atomkraft vor | |
| Gewaltanwendung und gibt uns die Kraft, auf friedlichen Widerstand zu | |
| vertrauen. Auf friedlichen Widerstand, aber auch auf die Hilfe Gottes. | |
| Wie sieht diese Gemeinschaft aus? | |
| Wir sind überwiegend Menschen, die schon im Ruhestand sind, bis hin zu sehr | |
| alten Menschen. Mein Mann und ich nehmen zum Beispiel jeden Sonntag zwei | |
| über 90-jährige Frauen mit. Die sind dankbar, dass sie noch mit dabei sein | |
| können. Es gibt zwar noch einige, die im Berufsleben sind, aber Nachwuchs | |
| ist nicht wirklich da. | |
| Fühlen und begreifen Sie sich als Bestandteil des wendländischen | |
| Anti-Atom-Widerstandes? | |
| Ja, unbedingt. Wir haben großen Rückhalt in der Bürgerinitiative. Die hat | |
| uns, zum Beispiel, zu unserem 25-jährigen Bestehen ein Spruchband geschenkt | |
| und angebracht mit dem Jesuswort: „Bleibet hier, wachet und betet.“ Also, | |
| die wissen, was unser Anliegen ist und stehen total an unserer Seite. | |
| Natürlich, haben die jungen Leute hier andere Schwerpunkte. Aber alle | |
| achten und wertschätzen das, was bei den Andachten unter den Kreuzen im | |
| Wald geschieht. Und alle helfen uns, wenn immer es nötig ist. | |
| 12 Oct 2020 | |
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