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# taz.de -- Homeoffice in den Niederlanden: Schöne neue Thuiswerk-Welt
> Schon vor der Pandemie war Arbeiten von zu Hause in den Niederlanden
> verbreiteter als anderswo. Das liegt auch an kulturellen Besonderheiten.
Bild: Homeoffice ist nicht für alle Menschen eine Entlastung
Thuiswerken, wie das auf Niederländisch heißt, ist einer der Begriffe, die
die Coronakrise in den Niederlanden geprägt haben. Vermutlich wird es auch
eines der gesellschaftlichen Phänomene werden, die sie überdauern. Zwischen
45 und 56 Prozent der niederländischen Arbeitnehmer gingen laut RTL Nieuws
zu Beginn der Krise ihrer Beschäftigung von zu Hause aus nach. Auch Anfang
Juli, als die Infektionszahlen deutlich zurückgegangen und die meisten
Coronamaßnahmen gelockert wurden, arbeiteten noch immer 35 Prozent öfter
von der eigenen Wohnung aus.
Weitere Statistiken untermauern dieses Bild: Während zu Beginn des
Lockdowns im Frühjahr laut einer Studie 25 Prozent der Befragten davon
ausgingen, auch nach der Pandemie weiter von zu Hause zu arbeiten, waren es
im Juli ganze 45 Prozent. In der gleichen Zeit nahm die Zahl derer, die
diesen Zustand als positiv bewerteten, von 61 auf 71 Prozent zu. [1][Einmal
mehr erscheinen die Niederlande als progressives Vorbild] – ein Land,
dessen Bevölkerung Neuerungen gegenüber aufgeschlossen ist.
Der offensichtliche Hang zum Thuiswerken erklärt sich aus einer
individualistischen Mentalität, die deutlich stärker ist als etwa in den
Nachbarländern Belgien und Deutschland. Gleiches gilt für die
Betriebskultur in vielen Unternehmen, die mehr von Vertrauen und flachen
Hierarchien geprägt ist. Das Arbeiten im Homeoffice als Teil der
Virusbekämpfung weist dabei vor allem eine Tendenz auf, die schon lange
vorher bestand: schon 2018 berichteten niederländische Medien, man sei in
dieser Disziplin „Europameister“.
Knapp 14 Prozent der werktätigen Bevölkerung zwischen 15 und 64 arbeiteten
damals schon von zu Hause aus. Nur Luxemburg und Finnland kamen in die Nähe
dieses Wertes. [2][Deutschland lag im EU-Durchschnitt von 5 Prozent],
Belgien und Frankreich mit 6,6 Prozent leicht darüber.
## Flexibilisierung des Arbeitsmarkts
Diese Zahlen weisen freilich auch auf die arbeitsmarktlichen Schattenseiten
des vermeintlichen Vorzeigelands hin: Die Anzahl der kleinen
Selbstständigen, also Ein-Mann- oder -Frau-Betriebe, liegt mit gut 12
Prozent im Vergleich deutlich höher als in anderen wohlfahrtsstaatlich
geprägten westlichen Mitgliedsländern der EU. Im EU-Durchschnitt sind es 10
Prozent, Deutschland hatte knapp 5,5.
Damit ist der niederländische Trend zum Homeoffice auch ein Aspekt der
Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Die Auflösung fester
Arbeitsverhältnisse verläuft hier, wo man sich sozioökonomisch vielfach am
angelsächsischen Modell orientiert, deutlich schneller als etwa in
Deutschland. Teilzeitarbeit mit begrenzten Verträgen war in den
Niederlanden schon weithin akzeptiert, als auch gestandene Konservative
solcherlei Arbeitsverhältnisse noch misstrauisch beäugten.
Ein Missverständnis ist dabei die während der ersten Coronawelle
verschiedentlich kolportierte Annahme, es gäbe in den Niederlanden ein
Recht auf Homeoffice. Wohl beinhaltet das 2016 in Kraft getretene „Gesetz
über flexibles Arbeiten“ einen Passus zur Anpassung des Arbeitsplatzes.
Dieser besagt, dass Arbeitgeber ein entsprechendes Ersuchen ihrer
Angestellten ernsthaft in Erwägung ziehen und sich mit diesen dazu beraten
müssen. Wird der Antrag abgewiesen, ist dafür eine schriftliche Begründung
nötig. Reagiert der Arbeitgeber nicht, gilt dies als stillschweigende
Zustimmung.
Nicht zuletzt durch die Coronakrise könnte sich dies ändern: im Mai
kündigten die liberale Partei D66 sowie GroenLinks eine Gesetzesinitiative
an, um ein allgemeines Recht auf Arbeiten von zu Hause aus festzulegen.
Auch Sozialdemokraten und Sozialisten begrüßen den Vorschlag, der auch für
weniger Autoverkehr sorgen und gerade zu Pandemiezeiten den Druck auf die
öffentlichen Verkehrsmittel mindern soll.
Trotz alledem gibt es in der schönen neuen Thuiswerken-Welt auch ganz
andere Töne. So veröffentlichte die Tageszeitung Volkskrant unlängst eine
Reportage, in der sich gerade jüngere Arbeitnehmer, die in beengten
Verhältnissen wohnen, sehr negativ über die Homeoffice-Verlängerung
äußerten. Die Arbeitspsychologin Tosca Gort warnt in RTL Nieuws vor
„enormen psychologischen Konsequenzen“ einer Isolation in den eigenen vier
Wänden. Ton Wilthagen, Professor für „Institutionelle und juridische
Aspekte des Arbeitsmarkts“, betont, die Kontakte zu Kollegen seien „nötig,
um Menschen durch den Herbst und den Winter zu helfen“.
5 Oct 2020
## LINKS
[1] /Arbeiten-in-der-Coronapandemie/!5718347&s=Niederlande+Corona/
[2] /Finanzcasino-aufgrund-von-Corona/!5715875
## AUTOREN
Tobias Müller
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