| # taz.de -- Aktivist über seine Paddeltour: „Umweltschutz cooler machen“ | |
| > Auf einem Stand-up-Paddleboard ist Michael Walther von Basel nach Kiel | |
| > gepaddelt. Mit Wassersport will er für Umwelt- und Klimaschutz werben. | |
| Bild: Zero emissions: Michael Walther will durch Segeln und Standup Paddling au… | |
| taz: Herr Walther, wie schlimm war Ihr Muskelkater, nachdem Sie drei Wochen | |
| von Basel nach Kiel gepaddelt sind? | |
| Michael Walther: Der Muskelkater ist nach ein paar Tagen auf dem | |
| Stand-up-Paddleboard... | |
| ... kurz: SUP... | |
| ... schon weg. Wahrscheinlich resigniert der Körper einfach irgendwann. Die | |
| Tour hat aber deutliche körperliche Spuren hinterlassen. Ich habe zehn Kilo | |
| abgenommen. Ich habe täglich bis zu 6.000 Kalorien verbraucht, da kommt man | |
| mit dem Essen nicht hinterher. Muskelkater war also ein geringes Problem, | |
| ich hatte eher andere Schwierigkeiten. | |
| Zum Beispiel? | |
| So eine Ausdauertour bringt mentale Herausforderungen. Auf dem Mittelkanal | |
| hatte ich das Problem, dass meine Innenhand sehr geschmerzt hat. Das | |
| passiert, wenn man die Hände so enorm belastet. Sie werden taub. Ich bin | |
| von meinem Körper gewohnt, dass ich von oben Energie nachschmeiße und dann | |
| relativ lange weitermachen kann. Ich habe selten Krämpfe, deswegen war ich | |
| mir nicht sicher, ob ich mich da reinsteigere und es eher eine Sache der | |
| Motivation war. Ich habe da immer wieder reingefühlt und mir einen echten | |
| Kopf gemacht. Nach einigen Kilometern habe ich mich dann bewusst dazu | |
| entschieden, einfach erst mal nicht mehr drüber nachzudenken und | |
| abzuwarten. Es wurde dann nicht schlimmer, sondern relativ schnell | |
| deutlich, dass es eher eine Kopfsache war. | |
| Belastet Sie die Isolation? | |
| Ich fühle mich bei meinen Touren gar nicht isoliert, weil ich ganz gut mit | |
| mir selbst zurechtkomme. Ich freue mich, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, | |
| aber viele verstehen nicht, dass so eine Tour auch Stress bedeutet. Wenn | |
| ich an Land komme, will ich schnellstmöglich mein Zelt aufbauen, was essen | |
| und schlafen, um mich so gut es geht zu regenerieren. Am nächsten Morgen | |
| will ich dann auch wieder so früh wie möglich auf dem Brett stehen. Ich | |
| komme halt nicht vorwärts, wenn ich Nachrichten schreibe. Während der drei | |
| Wochen habe ich gerade dreimal mit meiner Frau telefoniert. | |
| Was sollte man mitnehmen, wenn man einmal quer durch Deutschland paddelt? | |
| Für die Tour habe ich ein normales, aufblasbares SUP genutzt, allerdings | |
| ein echtes Tourenboard mit viel Volumen für das Gepäck. Dazu kamen ein | |
| Paddel und ein Ersatzpaddel, ein Bootswagen, auf den ich alles laden | |
| konnte, wenn ich eine Schleuse passieren musste und eine Isomatte, einen | |
| Schlafsack und ein kleines Zelt. Sonst noch einen Campingkocher und | |
| Konserven, eine Solarzelle für meinen Livetracker und mein Smartphone. Das | |
| war’s. Am Ende hatte ich fast 45 Kilo dabei. Ich habe allein sieben Liter | |
| Wasser täglich mitgehabt. | |
| Sie waren im August unterwegs, mitten in der Hitzewelle. | |
| Ja, es waren zum Teil über 38 Grad. Als Norddeutscher und mit der | |
| körperlichen Anstrengung hatte ich da echt zu kämpfen. | |
| Was hat Ihnen den Antrieb gegeben? | |
| Zum einen bin ich Wassersportler, habe Bock auf Herausforderungen und bin | |
| gerne in der Natur. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Motivation. Ich | |
| möchte Wassersport mit Umweltschutz kombinieren und zeigen, wie | |
| schützenswert unsere Natur ist. | |
| Wen wollen Sie damit erreichen? | |
| Zum einen die Menschen direkt am Ufer, mit denen ich ins Gespräch komme. | |
| Aber es hilft natürlich auch sehr, wenn die Medien berichten und ich damit | |
| Leute erreiche, die sich sonst nicht so sehr mit dem Thema befassen. | |
| Deshalb gehe ich auch gerne an Schulen und spreche mit Kindern und | |
| Jugendlichen. Dabei hilft es sehr, dass ich weiß, wovon ich spreche. Ich | |
| stehe dann nicht mit erhobenem Zeigefinger vorne und doziere, sondern | |
| erzähle einfach eine coole Geschichte meiner Paddeltour von Basel nach Kiel | |
| und nebenbei schwingt mit, wie schön unsere Natur ist und wie wichtig es | |
| sein sollte, sie zu schützen. Mir ist es wichtig, Umwelt- und Klimaschutz | |
| cooler zu machen. | |
| Und wie macht man das? | |
| Das klingt vielleicht erst mal oberflächlich. Aber ich bin der Meinung, | |
| dass Umweltschutz kein Nischenthema bleiben darf. Dank Greta Thunberg | |
| setzen sich inzwischen mehr Menschen damit auseinander, aber es sind immer | |
| noch zu wenige. Mit meiner Tour biete ich den Leuten einen Anknüpfungs- und | |
| Diskussionspunkt. Einige finden solche Aktionen sinnlos, andere | |
| spektakulär. So oder so regt es die Menschen an. Hinzu kommt, dass sicher | |
| nicht jeder Bock auf 1.300 Kilometer mit einem Stand-up-Paddle hat. Es ist | |
| aber eine Sache, die viele theoretisch machen könnten – genau wie beim | |
| Klimaschutz. Es ist eine Frage des Wollens und nicht des Könnens. | |
| Wer muss denn wollen? | |
| Ich bin an dem Kohlekraftwerk Datteln 4 vorbeigepaddelt. Es ist hübsch | |
| designt, damit es modern und sauber aussieht. Es zu betreiben ist aber das | |
| Beknackteste, was man machen kann. Da frage ich mich echt, wie Leute solche | |
| Entscheidungen treffen können. Seien es Politiker oder Lobbyisten – wie | |
| können die nachts ruhig schlafen? Natürlich muss jeder bei sich selbst | |
| anfangen und ich bin sicher auch nicht perfekt, weder im Klimaschutz noch | |
| in anderen Aspekten. Aber es ärgert mich, wenn die Leute mir während meiner | |
| Aktionen auf die Schulter klopfen, sich dann aber einen neuen SUV bestellen | |
| oder das Fleisch auf den Grill hauen. Da kriege ich die Krise. Dann sollen | |
| sie einfach ehrlich sein und sagen, dass sie einfach so weitermachen wollen | |
| wie bisher. Es ist einfach viel verlogenes Wischiwaschi dabei. | |
| Haben sich die Reaktionen auf Ihre Touren über die Jahre verändert? | |
| Einigen Menschen ist, glaube ich, klarer geworden, was auf uns zukommt. Das | |
| gilt aber oft auch nur für die Blase um einen herum. Wenn man aus dieser | |
| heraustritt, wird einem schnell klar, dass der Klimawandel bei vielen | |
| Menschen noch gar nicht angekommen ist. Aber sogar bei denen, die sich | |
| darüber Gedanken machen, fehlt es häufig an ersten, eigenen Schritten. | |
| Dabei braucht es diese von jedem Einzelnen. Trotzdem glaube ich, dass es | |
| ohne gesetzliche Vorgaben nicht funktioniert. Wenn ich mir die Motivation | |
| innerhalb der Gesellschaft anschaue, etwas zu verändern, dann geht es nicht | |
| anders. Das habe ich auf der Tour wieder gemerkt. | |
| Gab es einen bestimmten Moment, an den Sie sich erinnern? | |
| Im Grunde waren es die Vielzahl von Situationen, in denen ich immer wieder | |
| gemerkt habe, wie wenig sich die Menschen mit der Klimakrise | |
| auseinandersetzen. Wenn ich in meinen Facebook-Account reinschaue, dann | |
| geht es viel um Umweltschutz und Menschenrechte. Ich denke dann, dass sich | |
| doch was bewegt. Aber das ist halt meine eigene Blase. In der realen Welt | |
| trifft man auf viele Menschen, die kein Interesse daran haben oder sogar | |
| dagegen wettern. Auch auf dem Wasser erkennt man die Ignoranz. Auf dem | |
| Rhein schwimmt so viel Dreck. Von Plastik über Autobatterien und | |
| Tierkadavern ist alles dabei. | |
| Frustriert Sie das nicht? | |
| Doch. Ich mache die Dinge, weil ich einen starken Gerechtigkeitssinn habe. | |
| Es geht mir genauso gegen den Strich, dass wir Geflüchtete im Mittelmeer | |
| ersaufen lassen. Aber das Umweltthema geht mir auch so nahe, weil ich das | |
| Gefühl habe, dass wir einfach Arschlöcher sind, die der kommenden | |
| Generationen die Chance verbauen, ein schönes Leben zu haben. Ich bin aber | |
| noch nicht soweit, dass ich aufgebe. Stattdessen werde ich immer deutlicher | |
| und radikaler in meinen Aussagen, weil die Leute es auf die softe Art nicht | |
| verstehen. | |
| Ihre zweite Leidenschaft ist der Wassersport. Wie kam das? | |
| Ich fühle mich auf dem Wasser zu Hause. Ich bin auf Norderney aufgewachsen | |
| und hatte somit immer die Nähe zur Natur. Mit sechs Jahren saß ich das | |
| erste Mal im Segelboot. Dazu kam es eigentlich nur, weil mein älterer | |
| Bruder gesegelt ist und ich damals immer dasselbe machen wollte wie er. | |
| Letztendlich sind wir 18 Jahre gemeinsam Regatten gesegelt. Ich habe mein | |
| Segeln immer weiter professionalisiert und auch an internationalen | |
| Wettkämpfen teilgenommen. | |
| Sie haben sich nach der Schule aber erst mal dafür entschieden, Jura zu | |
| studieren. | |
| Ja, die Wahl auf Jura fiel vermutlich auch wegen meines | |
| Gerechtigkeitssinns. Aber auf dem Weg zum zweiten Examen habe ich die | |
| Motivation verloren, weil es viel um das Prozessuale ging und ich mir nicht | |
| vorstellen konnte, als Jurist zu arbeiten. Neben der professionellen | |
| Segelei habe ich mich dann in den Bereich Kommunikation und Marketing | |
| hineingearbeitet. So kommt es, dass ich jetzt bei einer | |
| Kommunikationsagentur arbeite und Wassersportunternehmen im Bereich | |
| Strategie und Nachhaltigkeit berate. | |
| Wie sind Sie vom Segeln zum Stand-up-Paddling gekommen? | |
| Das Paddeln eignete sich gut, um nach dem aktiven Segelsport körperlich fit | |
| zu bleiben, als Ausgleich zum Bürojob. Ich mag es, dass ich mich richtig | |
| verausgaben, aber auch einfach auf dem Wasser rumeiern kann. | |
| Sie gründeten 2008 das Projekt „Zero Emissions“. | |
| Ich habe es als Segelprojekt mit einem Freund gegründet, um auf die | |
| Klimakrise hinzuweisen. Wir sind im Dezember mit einem Trimaran um die | |
| Ostsee gesegelt und haben von allen Anrainerstaaten einen Segler | |
| mitgenommen, um in den Dialog zu treten und über Klimaschutz zu sprechen. | |
| 2015 habe ich festgestellt, dass sich das Paddeln auch gut dafür eignet, | |
| weil es näher an den Leuten dran ist. Viele können die Dimensionen beim | |
| Segeln nicht gut einschätzen. Wenn ich ein so abstraktes Thema wie den | |
| Klimawandel auf die Agenda bringen will, sollte ich mir vielleicht ein | |
| einfacheres Mittel suchen, um es nachvollziehbarer zu machen. 2018 bin ich | |
| an der Küste Grönlands mit meinem SUP gepaddelt, weil ich dort mit den | |
| Menschen ins Gespräch kommen und mir ein eigenes Gespür verschaffen wollte, | |
| wie sich der Klimawandel konkret auswirkt. Bei der Reise ist unser mehrfach | |
| ausgezeichneter Kurzfilm „The Great Route“ entstanden. | |
| Wie haben Sie die Natur und Menschen in Grönland erlebt? | |
| Es war beeindruckend. Mit einem Besuch kann man natürlich nicht sehen, wie | |
| die Gletscher sich verändern. Aber ich konnte mit den Menschen vor Ort | |
| sprechen, die dafür kämpfen, dass ihre Lebensgrundlage erhalten bleibt. | |
| Wenn man da oben ist, merkt man wirklich, dass man zu Gast in der Natur | |
| ist. Die Stille und Abgeschiedenheit sind einmalig. | |
| Haben Sie die nächste Tour schon geplant? | |
| Ich plane, im nächsten Jahr an die Ostküste Grönlands zu segeln und die | |
| Wissenschaft mit Proben oder Messungen zu unterstützen. Wir sind aktuell in | |
| engen Gesprächen mit mehreren Instituten. Eine lange Tour mit dem SUP werde | |
| ich erst mal nicht mehr machen. Es war definitiv härter, als ich gedacht | |
| hatte, und ging über meine Grenzen hinaus. Wenn mir das von Anfang an klar | |
| gewesen wäre, hätte ich es vielleicht nicht gemacht. Zum Glück wusste ich | |
| es nicht besser! | |
| 19 Oct 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Zaheer | |
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