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# taz.de -- Oppositioneller in Aserbaidschan: Kurz vor dem Koma
> Der Politiker Tofig Yagublu ist seit über zwei Wochen im Hungerstreik. Er
> protestiert gegen seine Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen
> Vandalismus.
Bild: Musavat Tofig Yagublu bei einem Interview vor seiner Inhaftierung
Berlin taz | Er ist offenbar zum Äußersten entschlossen: Der
aserbaidschanische Oppositionspolitiker Tofig Yagublu hat am Mittwoch damit
gedroht, nun auch kein Trinkwasser mehr zu sich zu nehmen, sollte der
Schuldspruch gegen ihn nicht aufgehoben werden. Am 3. September war der
59-Jährige von einem Gericht in der Hauptstadt Baku wegen Vandalismus zu
vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Seitdem ist er im
Hungerstreik.
Sein Arzt, Adil Geybulla, bezeichnete Yagublus Gesundheitszustand gegenüber
der unabhängigen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Turan als kritisch.
Bereits in diesem Stadium könne der Patient das Bewusstsein verlieren und
danach ins Koma fallen.
Das Nachrichtenportal [1][eurasianet.org] zitiert die Tochter Nigar Hazim,
die in dieser Woche mit ihrem Vater telefoniert hatte. „Ich sterbe, meine
Knochen schmerzen so sehr, ich weiß nicht, wie viel Leben noch in mir ist“,
habe er gesagt und noch seine [2][Unterstützung für das belarussische Volk]
ausgedrückt, das für Demokratie kämpfe.
Yagublu, der der ältesten aserbaidschanischen Oppositionspartei Musavat
angehört, hat bereits mehrere Strafen verbüßt. Im Februar 2013 wurde er
wegen der Teilnahme an Demonstrationen der Opposition zu fünf Jahren
Freiheitsentzug verurteilt. Ein Jahr später befand ihn ein Gericht der
Anstiftung zur Massengewalt schuldig. Das Urteil lautete erneut auf fünf
Jahre Haft. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International führte ihn
fortan als politischen Gefangenen.
## Dissident*innen in Quarantäne isoliert
2015 erging ein Urteil des [3][Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR)], wonach Yagublus Recht auf Freiheit und Sicherheit der Europäischen
Konvention für Menschenrechte verletzt worden sei. 2016 wurde er durch
einen Erlass des autoritären Präsidenten Ilham Alijew begnadigt. 2019 saß
er 30 Tage in Arrest, da er angeblich Anweisungen der Polizei während einer
Protestaktion nicht Folge geleistet hatte.
Die Ereignisse, die dem jüngsten Urteilsspruch voran gingen, trugen sich am
22. März dieses Jahres in Baku zu – nur wenige Tage nach einer Ankündigung
von Präsident Alijew, Dissident*innen seien fest zu setzen und, wenn nötig,
während der Corona-bedingten Quarantäne zu isolieren. In den darauf
folgenden Tagen wurde einige Oppositionelle, die Alijew als „[4][fünfte
Kolonne]“ bezeichnet hatte, festgenommen.
Laut Anklage soll Yagublu nach einem von ihm selbst verschuldeten
Autounfall, den Fahrer des anderen Wagens und dessen Partnerin mit einem
Schraubenzieher angegriffen und verletzt haben. Yagublu, der die Anklage
für politisch motiviert hält, präsentiert eine andere Version der
Geschehnisse. Demnach sei er in seinem parkenden Auto gerammt und dann
selbst attackiert worden.
Doch seine Einlassungen blieben, wie meistens in der Südkaukasusrepublik,
vor Gericht unberücksichtigt. Dort ist die Justiz lediglich ein
Erfüllungsgehilfe der Exekutive. Derzeit sitzen rund 30 Personen aus
politischen Gründen in Haft. Am Mittwoch dieser Woche verstieg sich der
Vize-Regierungsschef Ali Achmadow sogar zu der Aussage, radikale Teile der
Opposition missbrauchten den Hungerstreik von Yagublu, um aus ihrem eigenen
politischen Koma heraus zu kommen.
## Rund 30 Festnahmen
Damit spielte er auf eine Kundgebung zur Unterstützung Yagublus in der
vergangenen Woche in Baku an, bei der Demonstrant*innen dessen Freilassung
gefordert hatten. Die Polizei löste den Protest gewaltsam auf, rund 30
Personen wurden festgenommen. Solidaritätsaktionen für Yagublu fanden auch
in Toronto, Istanbul und Berlin statt. Vor dem Berliner Reichstag forderten
Protestierende, Sanktionen gegen Präsident Ilham Alijew und andere
hochrangige Vertreter*innen des Regimes zu verhängen.
Auch einige Abgeordnete des Parlaments, die Pro-Alijew-Parteien zugerechnet
werden, meldeten sich zu Wort. „Es hätte niemals bis zu diesem Punkt kommen
dürfen“, sagte Sabir Rustamkhanli von der Partei für zivilgesellschaftliche
Solidarität. „Ich glaube, dass die öffentliche Meinung berücksichtigt und
Yagublu frei gelassen wird.“
In der vergangenen Woche wandte sich auch eine Gruppe aserbaidschanischer
Menschenrechtler*innen an die Präsidialverwaltung und andere hohe Organe
mit der Bitte, sich sofort mit dem Fall Yagublu zu befassen. Ob und wann
die Adressaten dem Ersuch nachkommen, ist unklar. Fest jedoch steht: Viel
Zeit bleibt nicht mehr.
18 Sep 2020
## LINKS
[1] https://eurasianet.org/leading-azerbaijani-opposition-figure-enters-second-…
[2] /Proteste-in-Belarus/!5709586
[3] /Opposition-in-Aserbaidschan/!5683623
[4] /Corona-in-Aserbaidschan/!5670971
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Aserbaidschan
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Opposition
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