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# taz.de -- AfD-Politiker im Stadtrat in Gera: Niemand will’s gewesen sein
> In Gera wird AfD-Politiker Reinhard Etzrodt Stadtratsvorsitzender. Mit
> den Stimmen anderer Parteien. Von wem sie stammen, ist unklar.
Bild: Der AfD-Politiker Reinhardt Etzrodt posiert nach der Wahl zum Stadtratsvo…
Die Wahl des AfD-Kommunalpolitikers Reinhard Etzrodt zum Vorsitzenden des
Stadtrates in Gera sorgt über Thüringen hinaus für Aufsehen. Der
pensionierte Arzt erhielt am Donnerstagabend 23 von 40 Stimmen und damit
elf mehr, als die AfD als stärkste Fraktion Sitze hat. Woher diese
Leihstimmen kamen, blieb bei der schriftlichen und geheimen Blockwahl des
Vorsitzenden und seiner drei Stellvertreter unklar. Diese gehören der
Linken als zweitstärkster Fraktion, der CDU und der Liberalen Allianz an.
Bereits seit 15 Monaten wird um die Besetzung des Postens gerungen. Laut
Geraer Hauptsatzung steht das Vorschlagsrecht für den Vorsitz bei den
Stadtratsberatungen der stärksten Fraktion zu. Das ist seit den
[1][Thüringer Kommunalwahlen vom Mai 2019] die AfD. Das
Landesverwaltungsamt hatte zwar zur konstituierenden Stadtratssitzung im
Juni 2019 Bedenken geäußert, diese aber später zurückgezogen. Für eine
Satzungsänderung gab es keine Mehrheit. Sitzungen wurden bislang vom
parteilosen Oberbürgermeister Julian Vonarb geleitet.
Die AfD blieb hartnäckig bei ihrem Kandidaten. Etzrodt sprach nach seiner
Wahl voller Stolz von einem „Novum, dass in einer größeren Stadt der
Vorsitzende des Gemeinderates ein AfD-Mitglied ist“. Christoph Heubner,
Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, warnte hingegen vor einem
„verheerenden Signal“ für die Menschen in Gera und für die Außenwirkung
der Stadt. Etzrodts Wahl müsse „den Überlebenden von Auschwitz wie Hohn in
den Ohren klingen“.
## Wer hat ihn gewählt?
Zugleich entbrannte am Freitag ein heftiger Parteienstreit über die Frage,
wer den AfD-Kandidaten bei der geheimen Wahl unterstützt hat. 16 der 42
Stadträte gehören acht Parteien und Wählervereinigungen an.
Linken-Fraktionschef Andreas Schubert hatte für seine acht Stadträte zuvor
schon ausgeschlossen, dass jemand Etzrodt wählen könnte. Die
Linken-Landesvorsitzende und Bewerberin um den Bundesvorsitz [2][Susanne
Hennig-Wellsow verdächtigte auf Twitter] die mit sechs Stadträten
drittstärkste CDU, „immer wieder Handlanger einer extrem rechten Partei zu
sein“.
Auch der scheidende SPD-Landesvorsitzende und Wirtschaftsminister Wolfgang
Tiefensee erinnerte daran, dass CDU und AfD zuvor schon im Stadtrat
zusammengearbeitet haben. Die Ostthüringer SPD-Bundestagsabgeordnete
Elisabeth Kaiser zog eine Parallele zur später revidierten
Ministerpräsidentenwahl vom 5. Februar, als überraschend der
[3][FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Kemmerich von AfD und CDU gemeinsam
gewählt] wurde.
Der erst vor einer Woche gewählte neue CDU-Landesvorsitzende Christian
Hirte wies solche Anschuldigungen zurück. Man habe sich in der
Unionsfraktion des Geraer Stadtrates „klar darauf verständigt, den
AfD-Kandidaten nicht zu wählen“. Auch Landtagsfraktionsvorsitzender Mario
Voigt sprach von einer „klaren Haltung der Stadtratsfraktion“.
Die ehemals prosperierende DDR-Bezirkshauptstadt Gera gilt als
wirtschaftlich schwierig, verschuldet und von Abwanderung betroffen. Die
Probleme treiben der AfD Wähler zu. Bei den [4][Oberbürgermeister-wahlen
2018] unterlag [5][AfD-Kandidat Dieter Laudenbach] erst in der Stichwahl
dem gegenwärtigen Amtsinhaber. Enormen medialen Einfluss übt die
Gratis-Wochenzeitung „Neues Gera“ aus, die dem AfD-Stadt- und Fraktionschef
Harald Frank gehört. Mit geschickt getarnter Pseudo-Pluralität sickert so
AfD-Gedankengut ein.
Eine Besonderheit stellt die von Ärzten dominierte AfD-Stadtratsfraktion
dar. Ärzte, die in ihren Praxen offen Wahlwerbung betrieben und ihre
Autorität nutzten. Auch der neue Stadtratsvorsitzende Reinhard Etzrodt
genießt als Arzt in der Stadt einen guten Ruf, gilt als freundlich und
umgänglich. Olga Lange vom Vorstand des Interkulturellen Vereins Gera
glaubt deshalb nicht, dass seine Wahl in Gera ein ähnliches Echo wie
außerhalb der Stadt auslöst. „Außer bei den politisch Interessierten wird
das in der Bevölkerung kaum wahrgenommen“, schätzt sie ein. In der
Landeshauptstadt Erfurt hingegen scheiterte am gleichen Donnerstagabend der
AfD-Kandidat Marek Erfurth erneut bei der Wahl eines dritten
Stellvertreters des Stadtratsvorsitzenden.
25 Sep 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Thueringen/!t5008288
[2] https://twitter.com/SusanneHennig/status/1309182946973306881
[3] /Ruecktritt-Ministerpraesident-Kemmerich/!5662522
[4] /Stichwahl-im-thueringischen-Gera/!5502248
[5] /Oberbuergermeisterwahl-in-Gera/!5502159
## AUTOREN
Michael Bartsch
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