# taz.de -- Grünen-Politiker über Iranpolitik: „Das muss alles auf den Tisc… | |
> Nach der Hinrichtung eines Regimekritikers fordert Omid Nouripour von der | |
> Bundesregierung klare Worte. Sie soll Irans Außenminister notfalls | |
> ausladen. | |
Bild: Engagiert für Menschenrechte: der Grüne Omid Nouripour | |
taz: Herr Nouripour, vergangene Woche ist die internationale | |
Solidaritätskampagne für Navid Afkari, getragen von Sportler*innen und | |
Verbänden, so richtig angelaufen. Trotzdem [1][richtete der Iran den | |
regimekritischen Ringer am Samstag hin] – früher als erwartet. Hat Sie die | |
Nachricht überrascht? | |
Omid Nouripour: Entsetzt, aber nicht überrascht, denn die Willkür hat | |
System. Drei Wochen vorher gab es drei Todesurteile, die nach | |
internationalem Protest ausgesetzt wurden. Von draußen ist nicht zu | |
durchschauen, wie es dazu kam. Wir reden hier von Millimeterentscheidungen, | |
so dass man die Aufmerksamkeit einfach aufrechterhalten muss – ohne Gewähr, | |
dass man Erfolg hat. | |
Hat die Bundesregierung dazu im Fall Afkari genug beigetragen? | |
Ich hätte mir eine frühere und vor allem lautere Stimme gewünscht. Es gab | |
internationale Appelle aller Art, vom Ringerverband über die Fifa bis zum | |
IOC. Auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs haben sich geäußert. Man | |
kann darüber räsonieren, ob es hilfreich war, dass sich auch Donald Trump | |
eingeschaltet hat. Das Räsonieren hilft nur nichts, weil das die | |
Verantwortung derjenigen relativiert, die Afkari hingerichtet haben. Aber | |
klar hätte die Bundesregierung mehr tun können und müssen. | |
Was denn? | |
Es gab ein sehr, sehr spätes Statement der Menschenrechtsbeauftragten. Für | |
dieses Statement bin ich dankbar, aber mehr gab es aus der Regierung | |
offiziell nicht. Das Grundproblem ist allerdings nicht die Geschwindigkeit | |
im Einzelfall, sondern die Grundlogik: Wir wollen das Atomabkommen retten – | |
was ich teile –, und deshalb müssen wir jetzt an anderer Stelle leiser | |
sein. Das ist falsch. Es hilft beim Atomabkommen keine Sekunde, die | |
Menschenrechtsfrage nicht zu thematisieren. | |
[2][Das Abkommen wackelt enorm.] Beim Versuch, es zu retten, könnte zu viel | |
Druck doch tatsächlich schaden. | |
Was heißt zu viel Druck? Die Amerikaner fahren mit ihren Sanktionen die | |
Strategie des Maximum Pressure. Mehr Druck ökonomischer Art geht nicht. | |
Dieser Druck wird im Iran weitgehend weitergegeben an die eigene | |
Bevölkerung. Der Zivilgesellschaft wird zunehmend die Luft zum Atmen | |
genommen. Allein schon, weil wir nicht diese Strategie fahren und im Iran | |
eine ganz andere Glaubwürdigkeit haben als die Amerikaner, wäre es nicht | |
nur sinnvoll, sondern dringend geboten, dass wir die Menschenrechtsfrage | |
deutlich artikulieren. | |
Iranischen Medien zufolge reist diese Woche Außenminister Sarif nach | |
Berlin. Nach der Hinrichtung Afkaris gibt es Forderungen, ihn auszuladen. | |
Was halten Sie davon? | |
Ich halte grundsätzlich wenig davon, die diplomatischen Drähte, die gerade | |
für Krisenzeiten da sind, zu kappen. Normalerweise bin ich dafür, dass die | |
Leute kommen und das Richtige zu hören bekommen. Aber mir fehlt das | |
Vertrauen dafür, dass die Bundesregierung die richtigen Themen anspricht. | |
Bevor die Leisetreterei weitergeht, bin ich dafür, dass Sarif nicht kommt. | |
Was sollte Heiko Maas seinem Amtskollegen sagen? | |
Das wir nicht auf der amerikanischen Seite des Maximum Pressure stehen, | |
aber auch nicht einfach zuschauen können, wie die Hinrichtungen | |
weitergehen. Im November 2019 sind mehr als 1.500 Menschen auf den Straßen | |
erschossen worden, weil sie gegen die Benzinpreise protestiert haben. Es | |
gibt eine Reihe von Todesurteilen. Die Zahl der politischen Gefangenen ist | |
erheblich. Das muss alles auf den Tisch. Wenn wir nur über das Atomabkommen | |
reden, wird sich an der anderen Baustelle nichts ändern. | |
Wird sich durch eine klare Ansage allein etwas ändern? | |
Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass es Fälle gab, wo internationale | |
Proteste den Unterschied ausgemacht haben. Deswegen muss man es versuchen, | |
wenn man danach noch in den Spiegel schauen will. Der einzige Schutz für | |
die Leute in den Foltergefängnissen ist oft unsere Aufmerksamkeit. Wenn wir | |
ihnen diese nicht schenken, dann haben sie nichts mehr. | |
13 Sep 2020 | |
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[1] /Vollstreckung-von-Todesurteil-in-Iran/!5713807/ | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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