Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Michael-Mann-Retrospektive in Berlin: Spiel mit den Konventionen
> Der US-amerikanische Regisseur Michael Mann war ein Sonderfall in
> Hollywood. Das Kino Arsenal widmet dem Autorenfilmer nun eine Werkschau.
Bild: Subtile Neuerfindung des Gangsterfilms: Michael Manns „Heat“
Ein Mann geht zielstrebig durch die Flure eines Krankenhauses in Los
Angeles und klaut einen Krankenwagen. Ein anderer Mann kauft in einem
Baustoffhandel eine Kiste Sprengstoff. Vorbereitungen für den Überfall auf
einen Geldtransporter am hellichten Tag in Los Angeles. Weniger als drei
Minuten haben die Männer, um den Transporter auszurauben und abzuhauen,
bevor die Polizei anrückt, keine Zeit für Filigranes. Ein Abschlepptruck
rammt den Geldtransporter, eine Sprengladung öffnet den Weg ans Geld.
Die Überfälle, die Neil McCauley mit seinem kleinen Team durchzieht, sind
gut geplant, lukrativ und nach Möglichkeit unblutig. Doch der Überfall auf
den Geldtransporter ist der erste, bei dem ein neuer Mann mit dabei ist.
Prompt liegen, kurz bevor die Bande flieht, die drei Wachmänner aus dem
Transporter tot am Boden.
Michael Manns „Heat“ zeigt die Jagd auf McCauley und seine Komplizen. Das
Verhalten der Verbrecher und des Ermittlers sind dabei spiegelbildlich:
beide gehen gleichermaßen systematisch vor, beide haben Probleme, ihre
Tätigkeit mit ihrem Privatleben unter einen Hut zu bekommen. In seiner
Präzision, seiner subtilen Neuerfindung des Gangsterfilms ist „Heat“ ein
Meilenstein des Hollywoodkinos der 1990er Jahre. Am Freitag eröffnet er
eine [1][Werkschau der Filme Michael Manns] im Berliner Kino Arsenal.
Michael Mann ist ein Sonderfall in Hollywood, gleichzeitig einer der
erfolgreichsten Genreregisseure vor allem im Bereich des Gangsterfilms und
zugleich mit vielen Ähnlichkeiten zu einem Autorenfilmer, der seine Filme
schreibt, inszeniert und produziert.
Schon Manns Anfänge sind ungewöhnlich: während die meisten
US-Regisseur_innen in den USA Film studiert haben, ging Mann nach einem
Studium der englischen Literatur von 1965 bis 1967 nach London, um dort
Film zu studieren.
Genau zu dieser Zeit trieb der Niedergang der britischen Filmindustrie
erfahrene Filmschaffende an die Londoner Filmschule, um dort zu lehren: „Je
schlechter die britische Filmindustrie war, desto besser war die
Filmschule.“ So erinnert sich Mann im Rückblick an diese Zeit.
Noch in einer anderen Hinsicht, schien Mann die Entscheidung gut. Statt von
Anfang an auf Verwertbarkeit in der Filmindustrie getrimmt zu werden,
befand Mann später, angehende Filmemacher sollten wie er die Freiheit haben
„Zweieinhalbminüter zu drehen, voller symbolischer Aussagen über die Natur
der Wirklichkeit, die einem zehn Jahre später peinlich sind.“
Das Fernsehen sollte Mann den Übergang nach Hollywood ermöglichen,
zumindest mittelfristig. Zurück in den USA begann Mann Drehbücher für eine
ganze Reihe von Serien zu schreiben, führt aber nur bei einer einzelnen
Folge „Police Woman“ Regie bis er Ende der 1970er Jahre mit dem TV-Film
„The Jericho Mile“ endlich die Chance bekommt, selbst einen abendfüllenden
Film zu inszenieren.
Larry Murphy sitzt für die Tötung seines gewalttätigen Vaters lebenslang im
Gefängnis. Dort versucht er sich aus den Rivalitäten unter den Gefangenen
herauszuhalten und läuft stattdessen im Hof seine Runden. Als die
Gefängnisleitung mitbekommt, wie schnell Murphy läuft, versucht sie, ihm
eine Qualifikation für die für die Olympischen Spiele zu ermöglichen. Mann
drehte seinen Film im Gefängnis mit zahlreichen Gefangenen als Komparsen.
Die 1980er Jahre verhelfen Mann sowohl im Film wie in den Fernseharbeiten
zum endgültigen Durchbruch: 1981 dreht er den Neo-Noir „Thief“, in dem er
präzise die Arbeit eines Juwelendiebs zeigt. 1983 folgt der
Mystik-Horror-Kriegsfilm „The Keep“, in dem eine unheimliche Macht die
deutsche Besatzung einer rumänischen Festung im Zweiten Weltkrieg ermordet.
Ab 1984 ist Mann ausführender Produzent der Fernsehserie „Miami Vice“, zwei
Jahre später dreht er die erste Verfilmung eines Romans um die Figur
Hannibal Lecter. „Manhunter“ zeigt die Arbeit eines FBI-Profilers bei der
Suche nach Lecter.
Manns Filme sind nicht selten gleichzeitig von einer Oberflächenästhetik
geprägt und ausgeprägt düster, präzise recherchiert mit einer komplexen
Geschichte und doch wirken die Filme dank der Drehbuchkunst und der
Inszenierung Manns ausgesprochen losgelöst.
Die Filme Manns haben über die Jahre eine große Wirkung unter
Regiekolleg_innen entfaltet. Manns „Variationen von Konventionen“ (Steven
Rybin) haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich das Genrekino
Hollywoods über viele Dekaden immer wieder erneuern konnte.
10 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/calendar/2020/september/21…
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
taz Plan
Retrospektive
Filmreihe
Hollywood
taz Plan
taz Plan
Stummfilm
taz Plan
Film
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spanische Filme in Berlin: Blinde Flecken im Selbstbild
Im Zeughauskino läuft eine Filmreihe über den großen spanischen Produzenten
Elías Querejeta, dessen Wirken in der späten Franco-Zeit begann.
Die Kinotipps für Berlin: Nicht vorhersehbare Volten
Vom Agatha-Christie-Update über einen Klassiker des ungarischen Films und
die Geschichte eines Mafiaaussteigers bis zu einem Biopic-Musical.
Filmempfehlungen für Berlin: Grauen im Freien
Nach langem Genehmigungsverfahren zeigt das Kino Krokodil Wilhelm Murnaus
„Nosferatu“ nun Open Air. Die Termine der Woche.
Filmfestival in Berlin: Improvisierte Umstände
Beim Festival Alfilm gibt es einen Monat lang interessante arabische Filme
zu sehen. Ein Themenschwerpunkt ist weiblicher Widerstand.
Kinofilm „Der See der wilden Gänse“: Panorama der Kleinkriminalität
Film Noir trifft Martial Arts: In dem neuen Film von Diao Yinan „Der See
der wilden Gänse“ bekämpfen sich Motorraddiebe und die Polizei.
Regisseur Michael Mann: Stilsicher rund ums Kriminelle
Der US-Regisseur Michael Mann wird die Jury des Filmfestivals von Venedig
leiten. Bekannt geworden ist er mit Serien und Filmen über das Verbrechen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.