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# taz.de -- Neues Album von Deradoorian: Wegsprengen, was dich begrenzt
> „Find the Sun“ heißt das neue Album von US-Musikerin Angel Deradoorian.
> Esoterische Texte und die Kraft der Musik bekommen darin Raum.
Bild: Hat ihre Mitte gefunden, ist im Flow: Angel Deradoorian
Die ersten drei Songs auf dem neuen Album von [1][Angel Deradoorian], „Red
Den“, „Corsican Shores“ und „Saturnine Night“, besuchen die Ohren
überraschend. Eher gemächlich nisten sie sich in die Gehörgänge ein, werden
sesshaft und schicken Freakgrüße an den Künstler Captain Beefheart und den
Biologen Terrence McKenna.
Zum Auftakt stochert die 34-jährige US-Künstlerin Angel Deradoorian wie
eine Krähe im Nebel, nickt Blueshäcksler Beefheart freundlich zu, bis sie
sich im Siebenminüter „Saturnine Night“, angetrieben von einem Motorikbeat,
von Traditionen und Vorbildern entfernt und auf Fieldresearch-Modus
umschaltet: McKennas buchgewordene Expedition zu den Magic Mushrooms in
Kolumbien („True Hallucinations“) hat ihr als Inspiration gedient, aber,
gesteht Angel Deradoorian, sie gehe dann doch lieber in Kalifornien zum
Wandern als im Unbewussten nach Anerkennug zu suchen.
Man hört das auch an [2][„Find the Sun“], ihrem tollen tiefenentspannten
Album. Deradoorian hat offensichtlich ihre Balance gefunden, die Musik
leuchtet: „Bei mir geht es um Flow, um Energiefelder“, sagt sie dem
Online-Magazin American Songwriter. „Fast alle der neuen Songs sind in
mittlerem Tempo, im mittleren Energielevel, das spiele ich nicht sofort
aus. Ich lasse die Musik behutsam anfangen mit ‚Red Den‘, wobei mir sein
Intro hilft, erst dann besinne ich mich auf die Power, ziehe die Räume der
Songs bewusst in die Länge und fuhrwerke dann nomadisch in ihnen rum.
Dadurch wird die Musik kopfstärker.“
## Erst verwackelt, dann brilliant
Die Reihenfolge der zehn Songs von „Find the Sun“ hat der Künstlerin
Kopfzerbrechen bereitet, wie gesagt, der Anfang ist verwackelt, später
brilliert sie umso mehr. War ihr Debütalbum [3][„The Expanding Flower
Planet“] (2015) als gelungene Emanzipation von ihrer alten Band, Dirty
Projectors, verstanden worden, ist das Album Nummer zwei, für das sie sich
viel Zeit gelassen hat, nun Deradoorians genuiner Beitrag zur
„Headculture“, der kalifornischen Psychedelia.
Mit „Find the Sun“ fügt sie ihr ein tastendes, intuitives, vielschichtiges
Werk hinzu. Es handelt beileibe nicht vom Dropout. Nein, nicht aussteigen,
einsteigen sollen die HörerInnen, es geht darum, in der Spur zu bleiben und
Deradoorian kommt dem mit überzeugenden musikalischen Argumenten bei.
„Die Sonne leitet mich, sie spendet mir Licht und Zuversicht. Wie der
Albumtitel andeutet, geht es mir letztendlich darum, Stärke zu finden. Das
ist gar nicht so esoterisch, denn diese Suche ist mit großer Konfusion
verbunden. Durch meine Musik sprenge ich das, was mich begrenzt, weg. Ich
meditiere nicht jeden Tag, ich spiele auch nicht die ganze Zeit Musik. Aber
in allem, was ich mache, ist Achtsamkeit. Das ist eine echte
Herausforderung.“
## Aufzählungen, Wortwiederholungen
Wer Aufzählungen und Wortwiederholungen mag, kommt in den Songs des Albums
auf seine Kosten: „The Power of Intensity / The Power of Delight / The
Power of Desire / The Power of Speed“, singt Deradoorian in „The
Illuminator“, ruft das Arsenal der Bewusstseinserweiterungsindustrie
genüsslich ab. Das Schöne dabei ist, die astrologischen Buzzwords und
verschiedenen Eskalationsstufen transzendentaler Meditation werden durch
die konzeptuelle Strenge der Musik woandershin transzendiert. In dem
drumlosen Song „Monk’s Robes“ etwa in bukolische Idylle, in „Devil’s
Market“, wo Deradoorian eigentlich nur „Say no“ deklamiert, geht es sogar
Richtung Coffeehouse-Country à la Dan Hicks.
Viele andere PsychedelikerInnen hadern mit der Einsamkeit, während hingegen
Angel Deradoorian betont, wie sehr ihr dieser Zustand behagt. „I’m taking
my / Time to be alone / focus the Mind / On doing all my Own“ singt sie in
dem Song „Corsican Shoes“.
Psychedelia ist historisch ein stark männlich geprägtes Feld, in dem es
auch darum geht, dass Männer selbst beim Egoverlieren noch die
Aufmerksamkeit der anderen benötigen. Deradoorian zeigt hier ihre weibliche
Sichtweise, klingt selbstloser, fokussierter. „Ja, meine Musik ist zu einem
gewissen Grad aus weiblicher Perspektive geschrieben. Mir sind Beziehungen
zu anderen immens wichtig, und in dem Text von ‚Corsican Shoes‘ weise ich
darauf hin, dass man auch jenseits solcher Konstellationen existiert und
Grenzen ziehen muss. Viele Menschen haben große Angst davor, sie selbst zu
sein, sie wachsen in einem Umfeld auf, in dem nur die Aufmerksamkeit
anderer zählt, um Selbstwertgefühl zu bekommen und akzeptiert zu werden.“
Deradoorian hat die Sonne gefunden und putzt sie nun: „Find the Sun“ ist
durch und durch psychedelisch, ein hell strahlender Ruhepol in der
sturmumtosten düsteren Gegenwart der USA 2020. Bleibt zu hoffen, dass
dieser Wattebausch nicht von der Windhose der Zeitläufe zermalmt wird.
14 Sep 2020
## LINKS
[1] /Pop-und-Transzendentalismus/!5229989
[2] https://deradoorian.bandcamp.com/album/find-the-sun
[3] https://deradoorian.bandcamp.com/album/the-expanding-flower-planet
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Avantgarde
Kalifornien
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