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# taz.de -- Musik zum Schutz der Meere: Walgesang unter Plastikmüllinseln
> Nach einem Jahr schaffen es Björk und die Dirty Projectors, ihre
> Aufnahmen offiziell rauszubringen. Was die Musiker binnen einer Woche
> produziert haben, überrascht.
Bild: Beeindruckend: Dirty Projectors vereint Experimentelles mit Eingängigkei…
"Dreh den Scheiß auf!" David Longstreth, Mainman der Dirty Projectors, hat
den passenden Ratschlag parat. Endlich veröffentlicht seine Band die
gemeinsame Aufnahmen mit der isländischen Sängerin Björk offiziell. Schon
seit letztem Jahr geisterten sie als mumpfige Versionen durchs Internet.
Die richtige Wirkung entfaltet die Musik indes auf der Stereoanlage, den
Volumeregler voll auf Anschlag.
"Mount Wittenberg Orca" ist ein Songzyklus in sieben Teilen. Darin fächert
sich die ganze Pracht von mehrstimmigem Gesang auf. Note gegen Note blitzen
Singstimmen auf, vor, hinter und neben Backgroundchören. Die
Backgroundchöre verhalten sich zu herkömmlichen Backgroundchören wie
Dampfstrahler zu Wurzelbürsten.
Zwischen gezischelten "Äh, äh, ähs" und wellenförmigen "uh-huhu-wiuwius"
schwelgt "Mount Wittenberg Orca" in vokalem Pingpong. Stimmen tauchen auch
als Cutup-Fetzen auf, wie man sie seit "Oh Superman" von Laurie Anderson
nicht mehr gehört hat.
Was Melodien und Harmonien anbelangt, sind die Song-Arrangements äußerst
komplex, aber sie tragen ihre Komplexität nicht wie einen Orden vor sich
her, sie weisen nur auf die mannigfaltigen Möglichkeiten menschlichen
Gesangs hin.
## Vorbild italienische Oper
Ein Song wie "On and Ever Onward" mit seiner Liebesbotschaft könnte sogar
Steine zum Erweichen bringen, weil er Liebesideale einfach in Euphorie
transzendiert. Angesichts der Tatsache, dass die Songs live in einem
kleinen New Yorker Studio aufgenommen wurden, nach einwöchiger Probenzeit,
darf man ruhig mal staunen. Darüber, wie selbstverständlich die Dirty
Projectors Eingängigkeit und Experiment unter einen Hut bringen.
Wie sie die Gesangsmelodien mit schnittmusterartigen
Instrumentalbegleitungen unterlegen, mit tupferartigen Basstönen oder einem
kniefieseligen Gitarrensolo wie am Ende von "When the World Comes to an
End". Nicht nur Longstreth und Björk teilen sich Solostimmen, auch die drei
Dirty-Projectors Musikerinnen Amber Coffman, Haley Dekle und Angel
Deradoorian übernehmen Leadparts. Ehrfurcht gibt es bei den Dirty
Projectors nicht, immer ist der Spirit der ganzen Gruppe der entscheidende
Faktor.
Italienische Opern des 15. Jahrhunderts standen Pate für die Kompositionen.
Denkt man an die elementare Kraft von Arioso-Gesängen oder an Stimmen mit
Secco-Begleitung, dann hat man die Folie für diese wundersame Musik, die
auch der Gesang von Walen sein könnte, wenn sie nach einem Luftloch
irgendwo in der riesigen pazifischen Plastikmüllinsel suchen.
## Björk spielt die Walmutter
Tatsächlich sind die Texte nach einer wahren Begebenheit modelliert. Amber
Coffman hatte bei einer Wanderung an der nordkalifornischen Pazifikküste
eine Killerwal-Familie gesichtet. David Longstreth findet sich in der Rolle
von Coffman wieder, ein Mensch überwältigt von der Natur.
Die Sängerinnen der Dirty Projectors werden zu Walbabys, während Björk den
Part der Walmutter singt. Eine Zeile wie "Come into my home / Murder my
family", klingt aber auch von Björk gesungen nach "Moby Dick" und nicht
nach Esoterik. Und die Musik schneidet in jeden Anflug von pastoralem
Kitsch Schneisen. In einem Interview hat David Longstreth erzählt, er
schätze an Björk den Willen zur Dekonstruktion von klassischen Melodien.
Mit "Mount Wittenberg Orca" ist den Dirty Projectors genau das gelungen.
Einkünfte aus dem Album werden an die Organisation National Geographic
Society zum Schutz der Meere gespendet.
28 Oct 2011
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Avantgarde
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