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# taz.de -- Polizeigewalt bei Demo in Ingelheim: Blut und Panik im Tunnel
> Bei einer Demo in Ingelheim scheint die Polizei hundert Menschen in
> Lebensgefahr gebracht zu haben. Zeug:innen berichten von massiver Gewalt.
Bild: Menschen im Polizeigedrängel. Das Symbolfoto zeigt aber nicht die umstri…
Köln taz | Als Amelie F. spontan entschied, mit Freundinnen zu einer
Kundgebung gegen Rechtsextreme zu fahren, ahnte sie nicht, dass sie später
sagen würde: „Ich habe um mein Leben gefürchtet.“ Die 27-Jährige promovi…
in Soziologie und hatte bereits beruflich mit der Polizei Mainz
zusammengearbeitet, mit positiven Erfahrungen. Jetzt sei ihr Bild ein
anderes.
Am Samstag, den 15. August, hielt die Partei Die Rechte, bekannt unter
anderem für Holocaustleugnung, in Ingelheim bei Mainz eine Kundgebung ab.
Es kamen etwa 20 Menschen. Nun häufen sich Berichte über [1][Polizeigewalt]
bei angemeldeten Gegenkundgebungen. Die Polizei Mainz hat [2][Aufklärung
angekündigt] und eine Arbeitsgruppe unter Leitung des
Polizeivizepräsidenten eingerichtet. Antworten würden einige Zeit in
Anspruch nehmen, so ein Sprecher auf Anfrage der taz.
Neben Amelie F. war auch Richard G., 38, als IG-Metall-Respektvertreter vor
Ort. Mit Artemis C., 27, der den Protest dokumentierte, und dem Aktivisten
Spike M., 40, der Minderjährige dabeihatte – weil es letztes Jahr so
friedlich gewesen sei in Ingelheim, wurden ebenfalls [3][Gespräche
geführt]. Alle Namen sind auf Wunsch der Betroffenen geändert.
Direkt nach Ankunft am Bahnhof Ingelheim wurden etwa 100 Bürger:innen von
der Polizei in einen engen Tunnel getrieben. Videos zeigen den Einsatz von
Schlagstöcken und Pfefferspray an beiden Ausgängen. Menschen schreien nach
Luft. Auch Polizist:innen sind auf [4][Videos im Tunnel] zu erkennen. Sie
schreien und schlagen mit ihren Schlagstöcken gegen die niedrige Decke.
Sämtliche Zeug:innen sagen, sie wüssten nicht, warum die Polizei sie in
den Tunnel drückte. Es sei nichts vorgefallen.
## Panikattacken, Platzwunden und Zusammenbrüche
„Es wurde nur skandiert, ‚Antifascisti‘ oder so was“, sagt Amelie F. �…
war klar, wir zeigen: Wir sind hier gegen die Nazis. Aber dann gab es
Gedränge. Von hinten und von vorn.“ Zeug:innen berichten von Panikattacken,
Platzwunden und Zusammenbrüchen im Tunnel.
Artemis C. sagt: „Die Polizei hat von beiden Seiten gedrückt, sodass Leute
Atemnot bekamen.“ Andere Zeug:innen schildern dasselbe. „Ich bin an Polizei
gedrückt worden, die im Tunnel stand“, sagt Spike M. „Die waren auch
vollkommen außer sich – ich hab auch keine Luft bekommen. Alle Leute, mit
denen ich geredet habe – es war der absolute Horror.“
Irgendwann habe die [5][Polizei] einen Ausgang geöffnet: den, der wegführte
von der Stadt. Die Bürger:innen im Tunnel seien von der Polizei dann zu
einer Gegenkundgebung getrieben worden: einer laufenden Kundgebung, die für
75 Menschen geplant war. „Als wir ankamen, war mit etwa 50 Fahrzeugen und
Gittern ein Zaun um die Kundgebung gebaut und dann wurden wir
reingedrängt“, sagt Amelie F. „Man kam nicht raus, es war wie eine Mauer.
Alle wurden reingepfercht, ohne Grund.“
Zeug:innen sagen, die Polizei habe die Menschen in Gewahrsam trotz Hitze
nicht mit Wasser versorgt. Frauen hätten in Begleitung männlicher
Polizisten ohne Sichtschutz urinieren müssen. „Als Vertrauensmann der
Daimler AG ist mir da, also, ich hab mich wirklich beherrschen müssen“,
sagt Richard G. „Ich bin für die IG Metall angereist, um die Respekt-Aktion
aus Frankfurt zu unterstützen. Aber die waren wirklich eskalierend, die
Polizisten.“
## Zeugen: Polizei trat Person im Rollstuhl um
Zweimal habe die Polizei die Kundgebung enger gezogen, bis Abstand
unmöglich wurde. Jedes Mal seien Bürger:innen verletzt worden.
Kommunikation habe nicht stattgefunden, die Polizei habe sich Schneisen
freigeknüppelt und sei auch über am Boden liegende Verletzte gestürmt.
Zeug:innen schildern mehrfache Schläge auf Bewusstlose und Fixierte, und
das Umtreten einer Person im Rollstuhl. Richard G. sagt, er sei wegen einer
Verletzung zwei Tage arbeitsunfähig geschrieben.
In Rheinland-Pfalz gilt Kennzeichnungspflicht. Aber mehrere Bürger:innen
schildern, dass Dienstnummern abgenommen oder verdeckt worden seien.
Am Ende des Tages war [6][laut Sanitäter:innen von etwa 250 Menschen knapp
die Hälfte verletzt]. Das Rote Kreuz war mit mehreren Krankenwagen vor Ort.
„Viele sind da traumatisiert rausgegangen“, sagt Spike M. Gegen 17.30 Uhr,
nach Stunden, habe die Polizei begonnen, Menschen ohne
Personalienkontrolle gehen zu lassen. Ohne Angabe von Gründen.
„Wenn man sich vorstellt, dass 100 Meter entfernt Nazis marschieren, und
wir werden als Feinde behandelt, weil wir gegen sie protestieren“, sagt
Amelie F. Sie kenne die Berichte von rechtsextremen Tendenzen in der
Polizei. „Wo man sich vorstellen möchte: Das sind nur ein paar Zellen. Aber
am Samstag hatte ich den Eindruck, es hat System.“ Bei ihr sei großes
Misstrauen gegenüber der Polizei entstanden. „Auf allen Ebenen. Vom
Polizeipräsidenten über Dozenten an Polizeischulen, über Schutzpolizisten
und Polizisten, die mir in der Bahn entgegenkommen.“
Die Polizei Mainz [7][ruft Betroffene auf], zur Aufklärung beizutragen. Wie
viele dem nachkommen, ist offen: Die Betroffenen, die mit der taz sprachen,
nannten als Grund für die gewünschte Anonymisierung Furcht vor der Polizei
Mainz.
18 Aug 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Polizeigewalt-und-Rassismus/!t5008089
[2] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117708/4681834
[3] https://anettselle.de/blut-panik-im-tunnel-interviews/
[4] https://twitter.com/artemisclyde_/status/1295098902312636418?s=20
[5] /24-Todesfaelle-in-Gewahrsam/!5700481
[6] https://demosanitaeter.com/ueber-100-verletzte-bei-protesten-gegen-naziaufm…
[7] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117708/4681923
## AUTOREN
Anett Selle
## TAGS
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