Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Widerstand gegen Hautaufhellung: Dark is beautiful
> Das Schönheitsideal wird weltweit von rassistischer Körperpolitik
> geprägt. Doch viele Frauen wehren sich heute gegen den Druck.
Bild: Zuletzt lag der Jahresumsatz von „hautaufhellenden“ Cremes in Indien …
Mumbai taz | Aus einer erst düster blickenden Frau wird eine strahlende
Schönheit: Dieses Märchen erzählt die Verpackung einer
Skin-Whitening-Creme, die es in Südasien in fast jedem Laden zu kaufen
gibt. Das Sortiment reicht von kleinen Tütchen für ein paar Cent bis zur
Luxus-Ayurveda-Variante mit Goldstaub. Dominiert wird der Markt von
westlichen Großkonzernen wie dem indischen Ableger von Unilever, von
Procter & Gamble und L’Oréal.
Zuletzt lag der Jahresumsatz von hautaufhellenden Cremes allein in Indien
bei 450 Millionen Dollar. Doch auch in Ostasien und afrikanischen Ländern
boomt der Markt. „Am schockierendsten ist schlicht, dass Hautaufhellung
auch im Jahr 2020 in allen Gesellschaftsschichten noch so weit verbreitet
ist“, sagt die indische Journalistin Kinita Shenoy im Gespräch mit der taz.
Die Herstellerfirmen aber sind noch lange nicht zufrieden.
Das bekam Shenoy als damalige Chefredakteurin der sri-lankischen Ausgabe
der Cosmopolitan zu spüren. Das erste Päckchen, das sie von Unilever
zugesandt bekam mit Tuben, deren Inhalt die Haut weiß zu machen versprach,
ignorierte sie noch, erzählt sie. Das zweite habe sie nach Hause geschickt
bekommen. „Ich wurde gefragt, ob ich die Cremes auf meinem privaten
Instagram bewerben könnte, und ich antwortete: Nein.“
Auf dem hauseigenen Instagram-Kanal bedankte sich Cosmopolitan für das
Präsent. Wie sie selbst zu den Cremes stand, postete Shenoy auf ihrem
privaten Account: „Haben wir den Punkt nicht überschritten, an dem wir
wunderbaren, melaninreichen Asiatinnen sagen, sie sollten ihre Haut weißer
aussehen lassen?“, kommentierte sie das „Geschenk“ – was Folgen haben
sollte. Der Konzern habe daraufhin Druck ausgeübt, sagt Shenoy.
International bekannt wurde der Vorfall durch [1][eine Veröffentlichung von
Buzzfeed News]. Nachdem Mitarbeitern von Unilever Shenoys Posting auffiel,
drohte der große Anzeigenkunde abzuspringen, doch sie blieb bei ihrer
Meinung: „Mädchen nicht zu sagen, sich bleichen zu lassen.“
Letztendlich trennte sich Kinita Shenoy im Mai 2018 von Cosmopolitan, die
eine „enge Beziehung“ zu Unilever pflege. Laut Buzzfeed soll es im Nachgang
zu einem „konstruktiven Gespräch“ zwischen Unilever und Cosmopoltian Sri
Lanka gekommen sein. Ein Sprecher soll sich für die „Fehleinschätzung“
entschuldigt haben.
Eine Entschuldigung habe sie selbst bisher nicht erhalten, sagt Shenoy. Sie
hat ihre Kündigung als Chance wahrgenommen, doch zufrieden ist sie nicht:
„Ich habe das Gefühl, dass das Thema Whitening-Cremes gerade im Westen oft
unterschätzt wird, weil weiße Menschen einen gebräunten Teint haben wollen
und braune Menschen“ – viele SüdasiatInnen wählen „braun“ als
Selbstbezeichnung –, „weiß sein möchten“, sagt Shenoy. Sie selbst hat in
Mailand und Bremen studiert und wehrt sich dagegen, dass die eigene
Hautfarbe nicht „normal“ sei.
Frauen andernorts erleben sogar Gewalt, wenn sie als nicht weiß genug
wahrgenommen werden. Wie weitreichend das sein kann, erzählt die
Frauenrechtsanwältin Persis Sidhva von der Mumbaier Beratungsstelle Majlis.
„Bodyshaming und Schikane aufgrund der Hautfarbe sind Arten von psychischer
Gewalt, denen Frauen ausgesetzt sind, die sich bei uns melden“, sagt
Sidhva. „Die Ehe gilt als Meilenstein für Mädchen“, und das beginne lange
vor der Hochzeit. In Heiratsanzeigen werde neben der Frage nach sozialer
Zugehörigkeit oft explizit nach hellen Ehepartnerinnen gesucht. Es gilt:
Ein helleres Aussehen macht begehrter auf dem Heiratsmarkt.
## Der Inbegriff von Colorism
Die bekannteste Marke, die Weißsein verspricht, gehört zu Unilever. „Fair &
Lovely“ habe seit über 40 Jahren ein schädliches Schönheitsideal verstärk…
sagt die südindische Sozialarbeiterin Kavitha Emmanuel, die 2009 die
Kampagne „Dark is Beautiful“ startete. Ältere Werbeclips von „Fair &
Lovely“ zeigen, wie südasiatische Frauen, die Weißmacher nutzen,
vermeintlich attraktiver und beruflich erfolgreicher sind, was den
Inbegriff von „Colorism“ darstellt. Eine Folge einer rassistisch geprägten
Körperpolitik: Hellsein wird als höher geachtet und belohnt, auch unter
Schwarzen Menschen und People of Color.
Dennoch mussten sich jüngst auch Garnier (L’Oréal), Unilever und Johnson &
Johnson mit der Rassismusdebatte rund um Black Lives Matter
auseinandersetzen. Sie kündigten an, hautaufhellende Produkte in Indien vom
Markt zu nehmen oder umzubenennen. Aus „Fair & Lovely“ wurde „Glow &
Lovely“. Dass das einen Unterschied macht, bezweifeln AktivistInnen.
Indien wie auch Sri Lanka wurden von Europäern kolonialisiert und von
deren Schönheitsidealen beeinflusst. Der Wunsch nach heller Haut sei in
Indien aber nicht allein darauf zurückzuführen, erklären die HautärztInnen
Dr. Munisamy Malathi und Dr. Devinder Thappa, die sich intensiv mit dem
Thema auseinandergesetzt haben und ihre Recherche in einem [2][Paper namens
„Skin Color matters in India“] veröffentlicht haben.
Er gehe auch aus der sozialen Hierarchie des Hinduismus hervor, in der
Angehörige höherer Kasten einen helleren Teint hatten als die der unteren
Kasten. In Sri Lanka spielt das Kastensystem eine geringere Rolle, doch hat
die alte Oberschicht aufgrund von Nachkommen aus Mischehen mit europäischen
Siedlern der Kolonialzeit oft hellere Haut.
Gerade Frauen verlieren branchenübergreifend Jobmöglichkeiten oder werden
verbal diskriminiert, sagt die ehemalige Cosmopolitan-Chefin Kinita Shenoy,
die in den vergangenen zwei Jahren eine Weiterbildung in
Geschlechterstudien abgeschlossen hat. „In sri-lankischen Medien, in
Werbung und Filmen sind sehr helle Menschen zu sehen.“ Frauen, die sich
dagegen wehren, seien zumeist bereits in ihrer Karriere gefestigt.
## Der Druck der Industrie
Ein anderes Beispiel aus dem Inselstaat ist Ornella Gunesekere, Miss
Universe Sri Lanka, die sich weigerte, Hautaufheller als Deal ihres
Schönheitstitels zu bewerben. Daraufhin kündigte der Kosmetikhersteller
Facia seine Sponsorschaft.
Auch in Indien sind viele bekannte Models und Bollywood-Stars hellhäutiger
als der Durchschnitt, und nicht wenige haben fürs Weißcremen geworben. Doch
auch Filme aus Bollywood wie „Gully Boy“, der vom Leben eines jungen
Rappers aus den Slums von Mumbai handelt, geben ein Statement. In einer
Szene wird eine Reklametafel der fiktiven Marke „Princess Fairness Cream“
[3][mit dem Spruch „Brown & Beautiful“] übersprüht. Auch andere Filme
beschäftigen sich mit dem Thema. Dennoch sollen mehr als die Hälfte aller
Inderinnen hautaufhellende Mittel benutzen, und der Markt wächst stetig.
Längst gibt es andere Werbetricks. So soll ein „Anti-Pollution“-Waschgel
mit Aktivkohle die Haut aufhellen. Bei ayurvedischen Produkten ist es die
Wirkung von Kurkuma oder Safran. Auch werdende Mütter greifen auf
Safran-Tinkturen zurück, in der Hoffnung, die Haut ihres Kindes damit
aufzuhellen. Immerhin enthalten diese Mittel kein Wasserstoffperoxid,
Quecksilber oder das krebserregende Hydrochinon, das in der EU verboten
ist.
Weltweit gibt es Berichte von NutzerInnen, die mit Flecken oder Akne auf
die Zusatzstoffe der Whitening-Cremes reagieren. Die Verwendung kann auch
zu [4][Missbildungen bei Neugeborenen führen], heißt es in einer
wissenschaftlichen Veröffentlichung über die Folgen von Whitening-Cremes
bei nigerianischen Frauen von Ayobola Abolape Iyanda und in einem Hinweis
des britischen Gesundheitsdienst HHS.
## Falsche Versprechen
„Die Frage ist, warum Marken wie ‚Fair & Lovely‘ so lange überleben
konnten“, sagt Aishwarya, die zuletzt in der indischen Beautybranche für
eine internationale Marke tätig war und heute selbstständig ist. „Ohne das
Versprechen, dass diese Produkte weiß machen, würden sie sich längst nicht
so gut verkaufen.“ Doch keines der Produkte mache die Haut wirklich heller.
Sie könnte höchstens feine Gesichtshärchen bleichen und für einen
temporären Effekt sorgen.
„Um wirklich heller zu werden, muss die körpereigene Produktion von Melanin
gehemmt werden“, was mit einer Creme aus dem Eckladen kaum möglich sei. Von
leuchtender Haut statt weißerer zu sprechen, sieht sie als Anpassung an den
Markt für Großstadtfrauen, die anders umworben werden als die Großzahl der
Käuferinnen, die eher im ländlichen Indien leben.
Und doch gibt es Veränderung. „Anfang der 2000er haben wir fast nur
ausländische Models abgelichtet“, sagt der Mumbaier Fotograf Julian
Colston, der seit über 20 Jahren für Modemagazine arbeitet. Jetzt setzen
Designerlabels wie Raw Mango auf indische Gesichter. „Bei Massenprodukten
wie Spülmittel oder Elektronik wird es noch lange dauern, bis sich etwas
ändert“, sagt Kinita Shenoy. „Für viele ist es immer noch erstrebenswert,
weiß auszusehen, und sie wollen einen Fernseher oder Kleidung kaufen, die
von einer weißen Person gekauft wurde.“
Vielleicht können konkrete politische Schritte etwas ändern. Zu Beginn des
Jahres wurde in Indien etwa ein Gesetzentwurf vorgestellt, der unter
anderem das Bewerben von Hautaufhellern unter Strafe stellt. Bisher ist es
aber bei einem Entwurf geblieben.
7 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.buzzfeednews.com/article/meghara/unilever-sri-lankan-influencer…
[2] http://www.pigmentinternational.com/article.asp?issn=2349-5847&year=201…
[3] https://medium.com/@gayathripmenon/white-society-brown-mentality-73e0b94546…
[4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5787082/
## AUTOREN
Natalie Mayroth
## TAGS
Colorism
Kolonialismus
Indien
Sri Lanka
Schönheit
Kolumne Einfach gesagt
Sexismus
Schönheit
Sri Lanka
Indien
Congress-Partei
Indien
Haare
Schule und Corona
Netflix
Minority Report
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ex-Models und ihre Probleme: Schlaflos in Eppendorf
Wie wirkt sich die Weltlage auf Menschen ohne echte Probleme aus? Ein
fiktives Gespräch unter Freundinnen.
Wandel bei Miss-Wahlen: Die neue Vermessung der Frau
Wenn es bei „Miss Germany“ nicht mehr um Schönheit geht und selbst
„Germany’s Next Topmodel“ auf divers macht – ist dann irgendwas gewonne…
Berwerberin zur Miss Germany: Miss mit künstlichem Darmausgang
Die Bremerin Mara Maeke hat einen künstlichen Darmausgang und kandidiert
gerade deshalb bei der Wahl zur Miss Germany.
Sri Lankas Präsident baut Macht aus: Auf dem Weg zur Autokratie
Im südasiatischen Inselstaat festigt Präsident Rajapaksa per
Verfassungsänderung die Macht seines Clans – und keiner scheint ihn stoppen
zu können.
Proteste nach Vergewaltigungen in Indien: Patriarchale Gesellschaft
Zwei Vergewaltigungen mit Todesfolge empören viele Menschen in Indien. Die
Opfer waren Frauen der untersten Kaste.
Umstrittene Agrarreform in Indien: Bauern fürchten um Mindestpreise
Indische Bauernorganisationen und die oppositionelle Kongresspartei
protestieren vergeblich gegen eine Liberalisierung der Landwirtschaft.
Folgen der Pandemie in Indien: Corona macht Inder depressiver
Wegen der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen steigt in Indien die
Suizidgefährdung. Doch es mangelt an Bewusstsein für psychische Probleme.
Protest gegen Werbung in Südafrika: „Krauses“ und „normales“ Haar
Südafrikas führende Drogeriekette Clicks veröffentlicht eine rassistische
Werbung. Erst folgt ein Shitstorm, dann eine Gewaltkampagne gegen Filialen.
Schulstart trotz Corona in Indien: Lernen mit virtuellen Elefanten
Eine Schule in Südindien macht während der Pandemie Unterricht mit
3-D-Animationen. Der Hauptheld mehrerer Videos ist ein Elefant – das kommt
gut an.
Netflix-Serie aus Indien: Tochter-Mutter-Serie
Bisschen Mode, bisschen Liebe: Die indische Designerin Masaba Gupta gibt
ihr Schauspieldebüt in der Netflix-Mockumentary „Masaba Masaba“.
Was Hautfarbe politisch macht: Kein Bock auf Unterarmdrücken
In spezifischen Fällen gibt es gute Gründe, über Hauttöne zu sprechen.
Colorism ist so ein Fall. Ihre neue Urlaubsbräune hingegen ist defintiv
keiner.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.