| # taz.de -- Die Wahrheit: Im Königreich der Kobolde | |
| > Die merkwürdigsten Museen der Welt (8). Heute: Das Leprechaun Museum – | |
| > ein Museum für Kobolde – in Dublin, Irland. | |
| Bild: Die koboldartige Familie Sotscheck | |
| Lenny hat noch nie einen Leprechaun gesehen. Aber sie weiß viel über den | |
| kleinen irischen Kobold. Das muss sie auch, denn sie macht die Führungen im | |
| Dubliner Leprechaun Museum. Wegen Corona sind die Besuchergruppen auf fünf | |
| Leute beschränkt, aber die anderen drei Gäste haben es sich offenbar anders | |
| überlegt, so dass meine Frau Áine und ich in den Genuss einer privaten | |
| Führung kommen. | |
| Lenny hat das Zeug zum Seanchaí, einer Geschichtenerzählerin, sie variiert | |
| bei ihren Vorträgen ständig die Stimme, so dass man sich wie in einem | |
| Theaterstück fühlt. Ein Seanchaí sorgte in der keltischen Gesellschaft für | |
| die Unterhaltung. In keinem anderen Land Europas hat sich eine so reiche | |
| Überlieferung an Märchen und Sagen erhalten wie in Irland. Und die | |
| Erzählkunst wird immer noch gepflegt, wie man bei einem Pub-Besuch | |
| feststellen kann, wobei die Geschichten zu später Stunde allerdings immer | |
| weniger unterhaltsam werden. | |
| Die 1935 gegründete Irische Folklore-Kommission besitzt eineinhalb | |
| Millionen Seiten mit Aufzeichnungen und Sagen sowie Tausende Tonbänder mit | |
| den Geschichten der traditionellen Erzähler. Darunter sind zahlreiche | |
| Erzählungen aus Irlands Frühgeschichte. Man weiß wenig über die ersten | |
| Völker, die Irland bewohnten, bevor die Kelten die Insel besiedelten – sie | |
| bleiben im Nebel der Märchen und Legenden verborgen. | |
| Lenny führt uns durch einen dunklen Tunnel in einen Raum mit | |
| überdimensionalem Mobiliar, um zu illustrieren, wie sich der Leprechaun in | |
| der Welt der Menschen fühlt. Ich klettere sogleich auf einen riesigen | |
| Stuhl. „Eigentlich machen das nur unsere kleinen Besucher“, meint Lenny. | |
| „Leprechaun“, man mag es kaum glauben, ist ein englisches Wort, erklärt | |
| sie. Es leitet sich aus dem mittelirischen Luchorpán ab – „Lu“ für „k… | |
| und „corp“ für „Körper“. | |
| ## Walt Disney ist schuld | |
| Hut und Mantel des Kobolds sind eigentlich nicht leuchtend grün, wie es | |
| meist dargestellt wird, sondern sie sind eher dezent in dunklem Braun und | |
| Rot gehalten. Walt Disney ist schuld am Ergrünen, sagt Lenny. Als der Film | |
| „Darby O’Gill And The Little People“ – auf Deutsch „Das Geheimnis der | |
| verwunschenen Höhle“ – 1959 gedreht wurde, hob sich die dunkle Kleidung des | |
| Leprechauns schlecht von den Hecken und Torfmooren ab. So verpasste ihm | |
| Disney ein grünes Outfit. | |
| Und er schummelte auch an anderer Stelle. Brian Connors, der 5.000 Jahre | |
| alte König der Leprechauns, wird in dem Film von Darby O’Gill gefangen und | |
| muss ihm drei Wünsche erfüllen. In Wirklichkeit, so erklärt uns Lenny, ist | |
| das Erfüllen von Wünschen überaus anstrengend, so dass man drei Leprechauns | |
| benötigt, um ihnen einen Wunsch abzuringen. Da sie aber Einzelgänger sind, | |
| ist es mühsam, mehrere zu fangen. | |
| Disney war übrigens irischstämmig. Weil seine Vorfahren an einer Rebellion | |
| gegen den König teilnahmen, mussten sie aus England verschwinden und flohen | |
| nach Irland. Urgroßvater Arundel Disney, in Kilkenny geboren, wanderte 1801 | |
| in die USA aus. Disney bereiste das Land seiner Ahnen mehrmals. Die Idee zu | |
| dem Film kam ihm 1947 bei seinem Besuch bei der Irischen | |
| Folklore-Kommission. Für Sean Connery war es der erste Hollywood-Film | |
| überhaupt. Die New York Times war von ihm nicht sonderlich beeindruckt: Er | |
| sei „lediglich groß, brünett und ansehnlich“. | |
| ## Spielt gern Streiche | |
| Der Leprechaun ist ein harmloser Gesell, sagt Lenny. Er spielt den Menschen | |
| zwar gern Streiche, aber sie sind nie bösartig. Angeblich kennt er | |
| Goldverstecke, und im nächsten Museumsraum liegt ein großer gelber Klumpen | |
| auf einem Podest. Es sei kein echtes Gold, sagt Lenny, als sie das Glitzern | |
| in meinen Augen bemerkt. | |
| Die Aos Sí, die Feen, sind hingegen heimtückischer. Sie leben im Untergrund | |
| und stehlen gern kleine Jungs. Stattdessen hinterlassen sie einen | |
| Wechselbalg. Den erkennt man daran, dass er eine gelbliche Haut und | |
| blutunterlaufene Augen hat – was in Wahrheit an der Tuberkulose lag, die | |
| früher weit verbreitet war. | |
| Viele Mütter verkleideten ihre Söhne zur Sicherheit als Mädchen, und die | |
| Haare schnitten sie ihnen erst zur Einschulung. Mein Schwager zum Beispiel | |
| musste Kleider tragen, bis er drei Jahre alt und für die Feen nicht mehr | |
| interessant war. Eisen bietet Schutz gegen die Feen, ein Hufeisen zum | |
| Beispiel, aber es muss mit der Öffnung nach oben aufgehängt werden, weil | |
| sonst das Glück ausläuft. | |
| ## Siouxsie & the Banshees | |
| Auf vielen Äckern findet man kleine, verwilderte Hügel, die von Gestrüpp | |
| überwuchert sind. Jeder Bauer macht mit seinem Traktor einen Bogen um sie, | |
| denn er weiß, dass sie von Feen bewohnt sind, und wer sie stört, wird eine | |
| böse Überraschung erleben. In Ennis an der Westküste hat man vor ein paar | |
| Jahren sogar die geplante Umgehungsstraße verlegt, damit der Feenhügel | |
| intakt blieb. | |
| Die Banshee ist eine Feenfrau, sie erscheint als schönes junges Mädchen | |
| oder auch als steinalte Frau und schleicht laut klagend ums Haus. Dann | |
| wissen die Bewohner, dass ein Familienmitglied in Gefahr ist. Der | |
| Klagegesang der Banshee heißt im Irischen „caoineadh“, woraus sich das | |
| englische „keening“ herleitet. Daher rührt auch der Name der | |
| professionellen Klageweiber: Die Keeners wurden bei kleineren Begräbnissen | |
| angeheuert, um die Trauergemeinde stattlicher erscheinen zu lassen. Die | |
| Banshee sei aber keineswegs eine Todesfee, sagt Lenny. In Wirklichkeit | |
| sieht sie Unheil heraufziehen und warnt davor: „Sie repräsentiert also | |
| nicht den Tod, sondern das Leben.“ | |
| Apropos Tod: Das Leprechaun Museum war früher eine Leichenhalle, denn | |
| nebenan befand sich ein Krankenhaus. Aber später gewann das Leben die | |
| Oberhand, denn das Haus wurde zu einer Fabrik für Damenunterwäsche. Die | |
| Frauen arbeiteten im Kellergeschoss. Von dort gab es einen Geheimgang zu | |
| einer Werkstatt, so dass sich die Arbeiterinnen mit den Handwerkern | |
| heimlich treffen konnten. | |
| ## In der realen Welt | |
| Wenn man nach einer Dreiviertelstunde aus dem Seiteneingang des Museums | |
| tritt, dauert es einen Moment, bis man wieder in der realen Welt angekommen | |
| ist. Man fragt sich, warum an die Rückwand des Museums Dutzende Grabsteine | |
| angelehnt sind, alle mit den Namen der Verstorbenen und einer Nummer | |
| versehen. | |
| Eine kleine Tafel, hoch oben angebracht, erklärt es: Der Wolfe Tone Square, | |
| auf dem wir stehen, war der Friedhof der benachbarten Kirche St. Mary’s, wo | |
| Irlands Freiheitskämpfer Theobald Wolfe Tone getauft und der | |
| Brauereigründer Arthur Guinness vermählt wurde. Zwar sind die meisten | |
| Knochen ausgegraben worden, aber einige liegen noch 35 Zentimeter unter | |
| unseren Füßen. Der Leprechaun passt auf sie auf. | |
| 8 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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