# taz.de -- Die Wahrheit: DFB-Kicker angeschwemmt | |
> Die merkwürdigsten Museen der Welt (9): Das famos profane Juttersmuseum | |
> findet sich auf der niederländischen Insel Texel. | |
Bild: Spektakuläre, schiffbrüchige Ware auf Texel: Podolski und Co. nebst Wic… | |
Die holländische Insel Texel ist ein raues Eiland, aber schön. Viel schöner | |
als Deutschlands raueste Insel Berlin. Dort kann man Dinge tun, die man in | |
Berlin nicht tun kann. Zum Beispiel 1.000 Kilometer am Strand lang laufen, | |
einfach nur so. Der Strand ist super, fast wie geleckt, aber manchmal liegt | |
doch etwas herum: eine Bierbüchse, eine Badehose oder, klar, mal eine | |
Maske. | |
Die Frau, die mich auch beim Strandwandern begleitet, hat die Angewohnheit, | |
solch nichtsnutziges Zeug gern aufzusammeln und zum nächsten Mülleimer zu | |
bringen, selbst wenn der drei Meilen entfernt ist. Es ist nicht so, dass | |
ich ihr löbliches Hobby teile, aber als nichts mehr in ihre Hände passte, | |
habe ich ihr etwas abgenommen. | |
„Wat macht ihr denn da, seid ihr bekloppt?“, hörte ich eine Berliner | |
Schnauze rufen, aber es war nur der raue Wind, der in mein Ohr geschnauzt | |
hatte. Deshalb brauchte ich auch nicht zurückpatzen: „Nee, du Flitzpiepe, | |
wir sind Jutter. Kennste natürlich nicht.“ | |
Jutter sind Strandräuber beziehungsweise Strandgutsammler. Ehrbare Leute, | |
die in den Niederlanden einen legendären Ruf haben, weil ihr Tun einer | |
besonderen Tradition folgt. Schon vor langer Zeit sammelten Jutter auf, was | |
von verunglückten Schiffen angespült wurde. Früher haben sie das Treibholz | |
oft zum Heizen oder für den Hauserbau verwendet, heute sammeln sie das | |
Strandgut, um es verbotenerweise auf Flohmärkten zu verhökern oder | |
freundlicherweise an Juttersmuseen zu spenden, damit Inseltouristen auch | |
bei schlechtem Wetter nicht vorzeitig abreisen. | |
Juttersmuseen gibt’s auf den niederländischen Inseln wie vermüllte Plätze | |
an der Spree. Texel hat mit dem „Flora“ das „grootste Juttersmuseum ter | |
wereld“. Was natürlich besser klingt als das kleinste der Welt, wenn man | |
denn auch in Coronazeiten viele Besucher anlocken will. Das „Flora“ lockt | |
vor allem Familien mit Kindern, weshalb sie es ein bisschen | |
pippilangstrumpfmäßig hergerichtet haben. Schon von weitem sieht man bunte | |
Plastikkugeln in den Bäumen auf dem Außengelände. Mit diesen Fischerbojen | |
ist auch der Lattenzaun garniert, zusammen mit Rettungsreifen, Schrottzeug | |
und Tausenden Gummihandschuhen von Nordseefischern. | |
Überhaupt ist das ausgestellte Texelstrandgut aus 75 Jahren größtenteils | |
profaner Krempel. Es hat mehr vom Inhalt Gelbe Tonne als von Robinson | |
Crusoe. Die Ausstellungsschuppen sind überfüllt mit Plastikzeug oder | |
rostigem Elektronikschrott wie Druckerplatten aus Russland, freigegeben | |
durch einen über Bord gegangenen, geborstenen Container – mal als | |
Original-Einzelstück oder auch mal nur auf einem Zeitungsfoto. Der Anblick | |
erinnert an eine Documenta-Installation, ist wirklich toll – und war sicher | |
auch für die Jutter ein Highlight aus dem Geschenkekatalog von Neptun | |
gewesen. Trugen sie doch im Alltag eher Berge von Bauhelmen und Flaschen | |
zusammen, die von den Arbeitern der Ölplattformen oder Seeleuten freiwillig | |
oder nicht ans Meer übergeben wurden. Allein 1.500 Schnapsflaschen hat der | |
Jutter Klaas Uitgeest über 25 Jahre gesammelt und dem Museum 2012 | |
geschenkt. Davon nicht eine mit einem Flaschenpostbrief. „Super“, sagt sich | |
natürlich der „Schatzinsel“-Leser und denkt: „War’s das“? | |
Nicht ganz. Zwischen all den Kanistern, Rettungswesten, | |
Zigarettenschachteln, Tablettenstreifen und Medizinfläschchen, neben alter | |
Kriegsmunition, hölzernen Übungsbomben aus den 50er Jahren und dem echten | |
Trümmerteil eines deutschen Tornado-Kampfjets liegen noch ein paar | |
verdreckte Münzen und Schmuckkettchen. Und man sieht sogar eine | |
Piratenflagge, eine Scotch-Whisky-Kiste von 1949 und einen kaputten Stiefel | |
des berühmten niederländischen Seefahrers Michiel de Ruyter. Der Schuh | |
wurde erst 2007 geborgen, obwohl der legendäre Admiral bereits 1676 auf See | |
starb. | |
## Poldi ist auch dabei | |
Mit jener Geschichte ist der Latschen für mich das drittsensationellste | |
Exponat im Museum. Vor ihm auf Platz zwei rangiert ein „Liebeskästchen“, | |
dessen lange Meeresreise im März 2005 am Strand von Texel endete. Der | |
Inhalt des Kästchens, der eine eigene Vitrine füllt: Plüschmarienkäfer, | |
Puh-der-Bär-Karten, Dildos und Fotos von Jonathan und Rebecca aus England, | |
lange in Liebe verbunden, bis sie aus nicht genanntem Grund Schluss machte, | |
weshalb er vor Wut alle erinnerungsträchtigen Gegenstände in das Kästchen | |
tat und ins Meer warf. Von der britischen Küste fand auch die Pappfigur von | |
Star-Trek-Captain Picard den Weg, nachdem sie wohl von einer Kirmes am | |
Brightoner Pier ins Meer geweht wurde. Auch ganz witzig, aber natürlich | |
nichts gegen das ultimative Highlight des Museums: zwei DFB-Kicker als | |
Spielfiguren, umgeben von strammstehenden Wichteln. Spektakuläre Ware aus | |
einem schiffbrüchigen Container kurz vor der WM 2006. Zusatzbonbon ist eine | |
„Produktinformation“ zum Tischkicker Lukas Podolski. | |
Neulich las ich, dass in Schweden, und zwar in einem Stockholmer Museum, | |
eine an Land gespülte Musikkassette ausgestellt ist, die eine Berlinerin | |
anhand der Titelliste als ihr vor 25 Jahren auf Lanzarote verlorenes | |
Mixtape wiedererkannt zu haben glaubte. Nicht schlecht. Aber was ist das | |
denn gegen die Wiederentdeckung deutscher Fußballnationalspieler als | |
Strandgut in einem holländischen Museum. | |
16 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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