# taz.de -- Soziologe über Arbeit im Schlachthof: „Ein großes Moment von Zw… | |
> Was ist vom Gesetzentwurf zum Arbeitsschutz in der Fleischindustrie zu | |
> halten? Der Soziologe Peter Birke sieht Fortschritte, aber auch Probleme. | |
Bild: Temperaturen wie im Winter: Schlachthof in Garrel | |
taz: Herr Birke, der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Arbeitsschutz in | |
der Fleischindustrie sieht vor, dass in Großbetrieben ab 2021 Werkverträge | |
verboten sind. Klingt ja erst mal ganz sinnvoll, oder? | |
Peter Birke: Ist es auch. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt nach vorn. | |
Die Abschaffung von Werkverträgen ab Januar und von Leiharbeit ab April | |
2021 ist absolut sinnvoll. Aber es gibt zwei Probleme. | |
Welche denn? | |
Es geht im Gesetz ja um Schlachtung und Zerlegung. Die Frage ist, was wir | |
darunter verstehen. In unseren Augen gehört auch die Reinigung der Anlagen | |
dazu, in der ja extrem miserable Arbeitsbedingungen herrschen, die denen am | |
Fließband selbst sehr ähneln: Nachtarbeit, übermäßige Arbeitszeiten, | |
Lohnbetrug, Bestechungsgelder, die dafür gezahlt werden, dass es überhaupt | |
zu Arbeitsverträgen kommt. Dazu kommt die Ausstallung, ohne die es ja keine | |
Schlachtung gäbe. Auch da sind die Probleme ähnlich. Beide Bereiche werden | |
auch nach dem neuen Gesetzentwurf nicht reguliert. Das zweite Problem ist | |
das der Kontrolle. | |
Dass nur fünf Prozent der Betriebe jährlich besichtigt werden sollen, und | |
dass diese Quote erst ab 2026 erreicht sein muss? | |
Genau. Da kann man sich schon vorstellen, wie gering die Kontrolldichte da | |
nach wie vor ausfällt; in den letzten Jahren war das ein absolutes | |
Desaster. Wichtig ist zudem, wer kontrolliert. Da gibt es im Gesetzentwurf | |
einen erheblichen Mangel: Ein zentrales Instrument ist ja die Aufzeichnung | |
der Arbeitszeit, die nun digital erfolgen soll, und diese Erfassung muss | |
natürlich auch dem Beschäftigten selbst zugänglich sein. Bisher ist das | |
nicht vorgesehen. Im Prinzip kann der Arbeitgeber einfach eine | |
Excel-Tabelle anlegen und reinschreiben was er will. Solange den | |
Beschäftigten und ihren Gewerkschaften diese Daten nicht zugänglich sind, | |
gibt es da nach wie vor ein Problem. | |
Ist das ein Mitbestimmungsproblem? | |
Viele Beschäftigte sind in einer sehr verletzlichen Situation, auch | |
aufgrund ihrer aufenthalts- und sozialrechtlichen Stellung. Prekäre | |
Arbeitsverhältnisse sind ja auch eine Folge dessen, dass Erwerbsarbeit seit | |
2016 ein wesentliches Kriterium für die Verstetigung des Aufenthalts | |
geworden ist. Und bei Unionsbürger*innen gibt es häufig nur begrenzte | |
Ansprüche auf Lohnersatzleistungen. Dass Leute zwölf bis 16 Stunden | |
arbeiten, sieben Tage die Woche, ist eine Folge davon. Dazu kommt die | |
monotone Arbeit am Fließband, außerdem die Kälte. In der Schlachtkette | |
herrschen ja Temperaturen wie im Winter. Das ist übrigens eine der | |
möglichen Ursachen für die Masseninfektionen, die wir überall in der | |
Fleischindustrie sehen. Andererseits finden wir auch viele Beispiele von | |
Gegenwehr: kleine Streiks, Leute, die gegen Betrug bei Löhnen und | |
Arbeitszeiten klagen. Die Stärkung der Rechtsposition der Betroffenen würde | |
diese Gegenwehr erleichtern und Erfolge wahrscheinlicher machen. | |
Es gibt ja Betriebe, die Werkverträge schon jetzt abgeschafft haben. Ist | |
das nicht schon ein Fortschritt? | |
Das ist eine gewisse Regulierung von Arbeitsverhältnissen, allerdings wird | |
da exzessiv auf befristete Beschäftigung gesetzt. Zu denken, durch die | |
Abschaffung von Werkverträgen und Leiharbeit gebe es keine prekäre | |
Beschäftigung mehr, ist eine Illusion. | |
Der Gesetzentwurf sieht auch die Erhöhung der Bußgelder vor. Aber 30.000 | |
Euro klingt wenig, zumal für Betriebe wie Tönnies. Reicht das aus? | |
Die Erhöhung ist natürlich nicht schlecht. Aber sie hat eher einen | |
symbolischen Charakter. In der Vergangenheit haben Bußgelder nicht viel | |
bewirkt, auch, weil sie nur sehr selten verhängt wurden. | |
Im Gesetzentwurf wird viel den Ländern überlassen. Ein Problem, wenn wir | |
etwa an Niedersachsen denken, wo die Fleischindustrie ja eine sehr starke | |
Lobby hat? | |
Das ist denkbar. Unsere Befürchtung ist, dass die Landes-CDU, die sich | |
bisher ja sehr ambivalent positioniert gegenüber dem Gesetz, versucht, das | |
zu deregulieren, indem man Teile davon einfach nicht umsetzt. Wichtig ist, | |
den Druck auf die Länder aufrecht zu erhalten. | |
Der Gesetzentwurf enthält auch Verschlechterungen, sagen Sie. Welche sind | |
das? | |
Die Mindestbedingungen für Wohnraum, die weitestgehend weggelassen worden | |
sind. Man müsste auch eine Mietobergrenze festlegen. Außerdem werden jetzt | |
das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften und das Arbeitsverhältnis | |
verknüpft. Bisher ist das illegal, jetzt wird es legalisiert. Das Problem: | |
Arbeiter fliegen oft aus der Wohnung raus, wenn ihr Arbeitsvertrag | |
gekündigt wird. | |
Wie ist diese Verschlechterung zu erklären? | |
Die Lobby der Fleischindustrie hat gegen den Gesetzentwurf offenbar | |
erheblich Druck gemacht. | |
Sind die Zustände in der Fleischindustrie moderne Sklaverei? | |
Da herrscht schon ein großes Moment von Zwang. Ein Problem mit diesem | |
Sklavereibild ist allerdings, dass es die Mitarbeiter als völlig wehrlos | |
darstellt. Das ist aber keineswegs der Fall, und es ist zu hoffen, dass das | |
Gesetz die kollektiven Handlungsmöglichkeiten der Beschäftigten, der | |
Betriebsräte und der Gewerkschaften erweitert. | |
10 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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