# taz.de -- Ruandas berühmter Regimekritiker in Haft: Kampf um die Deutungshoh… | |
> Der Spielfilm „Hotel Ruanda“ machte aus Paul Rusesabagina international | |
> einen Helden. Jetzt sitzt er hinter Gittern. | |
Bild: Der Film machte ihn zur Lichtgestalt: Paul Rusesabagina | |
Allabendlich füllt sich zum Sonnenuntergang das lauschige Gartenrestaurant | |
des Hotels „Mille Collines“ (Tausend Hügel) im Zentrum von Ruandas | |
Hauptstadt Kigali. Ruandas Oberschicht trinkt an der Poolbar frisch | |
gezapftes Feierabendbier aus großen Gläsern. Touristen, unterwegs zu den | |
Gorillas in den Bergen, mischen sich darunter: Sie bestaunen die Aussicht | |
über die moderne Stadt, die Rhythmen der traditionellen Trommler im | |
Hintergrund, und sie wollen einen Hauch Geschichte spüren. | |
Denn international ist das „Mille Collines“ vor allem durch eines bekannt | |
geworden: den Spielfilm „Hotel Rwanda“ aus dem Jahr 2004, der zehn Jahre | |
nach dem Völkermord an Ruandas Tutsi mit einer Million Toten erstmals die | |
Geschichte des Massenmordens auf die internationale Kinoleinwand brachte – | |
durch [1][das Schicksal des damaligen Hotelmanagers Paul Rusesabagina]. | |
Der Film erzählt, wie aus dem leicht schlüpfrigen Treffpunkt für Reiche, | |
Mächtige und dubiose Figuren ein belagerter Zufluchtsort für verzweifelte | |
bedrohte Tutsi wurde. Es ist die Geschichte, wie Rusesabagina diese | |
Menschen vor den Hutu-Mordmilizen schützte, die das Hotel belagerten, und | |
schließlich durch beharrliche Verhandlungen ihre Rettung ermöglichte. | |
Mit diesem Film bekam der Völkermord in Ruanda ein Gesicht: das von Paul | |
Rusesabagina, todesmutig und bescheiden, ein Beweis, dass man sich auch als | |
scheinbar machtloser Einzelner dem Bösen widersetzen kann. Schauspieler Don | |
Cheadle bekam für die Rusesabagina-Rolle einen Oscar, der Film ging um die | |
Welt, er beeindruckte auch das Berlinale-Publikum 2005, und es schien, als | |
gehe jetzt endlich das große weltweite Schweigen über den Horror in Ruanda | |
1994 zu Ende. | |
Von Anfang an Zweifel | |
Der Film machte Rusesabagina zur Lichtgestalt. George Bush empfing ihn im | |
Weißen Haus und verlieh ihm die Freiheitsmedaille. In den USA nutzten | |
Unterrichtsmaterialien den Film als Grundlage zur Behandlung der Geschichte | |
Ruandas. | |
Aber schon damals gab es Zweifel. Der Film war nicht in Ruanda gedreht, | |
sondern im fernen Südafrika, ohne ruandische Darsteller und mit einem | |
„Mille Collines“-Nachbau wie eine Safari-Lodge als Theaterkulisse. Seine | |
Geschichte, das verriet schon die Filmankündigung „Based on a True Story“, | |
war zumindest ausgeschmückt, wenn nicht erfunden. Rusesabagina gestand | |
entsprechende Nachfragen vor dem Berlinale-Publikum 2005 verschmitzt ein: | |
„Ein Koch, der ein Steak brät, muss ja auch Salz und Pfeffer dazutun.“ | |
Und es dauerte nicht lange, bevor sich Zeitzeugen zu Wort meldeten, vom | |
UN-Blauhelmkommandanten über belgische Offiziere bis zu damaligen | |
Hotelgästen. Sie erinnerten sich ganz anders: Rusesabagina habe mit den | |
Milizen draußen paktiert, er habe die Tutsi-Flüchtlinge mit der Drohung | |
erpresst, sie in den Tod zu schicken, wenn sie ihm nicht ihr Eigentum | |
gäben, und dass die Milizen das Hotel verschonten, habe nicht am Manager | |
gelegen sondern daran, dass das „Mille Collines“ dem belgischen Staat | |
gehörte und eine geheimdienstliche Kommunikationszentrale beherbergte. | |
Je berühmter Rusesabagina wurde, desto weniger entsprach er dem „einfachen | |
Menschen“, wie er seine auf dem Film basierenden Memoiren „An Ordinary Man�… | |
betitelte. Er gründete eine eigene politische Partei und zog öffentlich in | |
Zweifel, dass Ruandas Völkermord staatlich organisiert gewesen sei. Er | |
paktierte mit der Hutu-Exilopposition, in der sich flüchtige Täter des | |
Völkermordes weltweit sammelten. Schon 2008 taucht sein Name in der | |
Telekommunikation des später in Deutschland verhafteten Ignace | |
Murwanashyaka auf, Präsident der vom Kongo aus gegen Ruanda kämpfenden | |
Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). 2010 warf ihm | |
Ruandas Generalstaatsanwalt zum ersten Mal Terrorfinanzierung vor. | |
Immer deutlichere Kritik | |
Ein Leserbriefschreiber in Ruandas Tageszeitung New Times beschwerte sich | |
schon 2007: „Die Marke Rusesabagina scheffelt Millionen mit dem Völkermord | |
und gefährdet gleichzeitig dessen Überlebende.“ Heute werden seine Kritiker | |
noch deutlicher. Rusesabagina leitet eine Exilpartei, deren bewaffneter Arm | |
für Terroranschläge in Ruanda verantwortlich gemacht wird und mit | |
flüchtigen Völkermordtätern zusammenarbeitet – militärisch und ideologisc… | |
Das ist auch der Vorwurf, der ihn jetzt hinter Gitter gebracht hat. | |
Ruandas staatliche Kommission zum Kampf gegen Genozid (CNLG) erklärt: „In | |
seinem Austausch, den er rund um die Welt verbreitet, ignoriert Paul | |
Rusesabagina absichtlich die Wahrheit und behauptet, es habe einen | |
doppelten Völkermord in Ruanda gegeben“ – gemeint damit ist eine | |
Lieblingsthese der flüchtigen Völkermordtäter: Tutsi und Hutu hätten sich | |
1994 gegenseitig massakriert, die heute regierende „Ruandische Patriotische | |
Front“ (RPF) unter Präsident Paul Kagame, die 1994 als | |
Tutsi-Guerillabewegung durch ihren Vormarsch dem Völkermord ein Ende | |
setzte, habe ebenso Blut an den Händen wie das Hutu-Regime, das damals in | |
den Kongo floh. | |
Eine solche Umdeutung der Geschichte gilt für Ruandas Regierung als | |
Kampfansage. Die RPF-Kämpfer, genannt „Inkotanyi“ (Die Unbesiegbaren), sind | |
in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht nur die eigentlichen, sondern | |
die einzigen Helden der Geschichte. Aus ihnen ist Ruandas heutige Armee | |
hervorgegangen, die sich noch heute jedes Jahr zum „Tag der Befreiung“ als | |
Retter des ruandischen Volkes feiern lässt. Diese Staatsideologie ist | |
Standbein der Legitimität der heutigen Regierung. Aus dieser Sicht haben | |
die Inkotanyi Ruanda gerettet, niemand sonst. Auf der CNLG-Internetseite | |
heißt es, Rusesabagina „spielte keine Rolle bei der Rettung“ der Tutsi im | |
Hotel und habe im Nachhinein bloß eine „gierige Kampagne“ gestartet, um | |
„weiße Menschen zu mobilisieren, damit sie ihm bei der Besetzung eines | |
Films helfen können“. | |
Nicht ohne Grund fördert Ruandas Regierung heute die heimische | |
Filmindustrie, und zahlreiche Filme über den Völkermord wurden mittlerweile | |
in Ruanda selbst gedreht. Und Rusesabagina sitzt seit Montag als | |
mutmaßlicher Terrorist in Haft. | |
2 Sep 2020 | |
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[1] /Paul-Rusesabagina-in-Ruanda-verhaftet/!5706652 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
Simone Schlindwein | |
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