# taz.de -- Genozid-Massengräber in Ruanda: Wenn Gedenken bürokratisch wird | |
> Der Vater unserer Autorin starb beim Genozid an den Tutsis. Das | |
> Massengrab, in dem er ruht, ist streng bewacht. Ist es Mahnmal oder | |
> Gedenkstätte? | |
Bild: Gedenktafel mit Namen ermordeter Tutsi auf dem Gelände des Memorials | |
Wohin geht die Liebe, die man für Menschen empfindet, wenn sie sterben? Mit | |
dieser Frage beschäftige ich mich, seit ich fünf Jahre alt bin. So alt war | |
ich nämlich, als mein Vater und große Teile meiner Familie im [1][Genozid | |
an den Tutsis] im Jahr 1994 umgebracht wurden. Als Kind habe ich | |
stundenlang in den Himmel geschaut und manchmal meinem Vater gewinkt, weil | |
ich dachte, dass er wirklich im Himmel ist. | |
Ich habe andere Menschen beneidet, die zu einem richtigen Friedhof gehen | |
konnten, um Blumen, Gebete und Gedanken dazulassen. Mein Vater sowie meine | |
Großeltern, Tanten, Cousins und Onkel fanden in Massengräbern ihre letzte | |
Ruhe. | |
Ich weiß bei meinem Vater genau genommen gar nicht, ob er wirklich dort | |
liegt. Trotzdem ist mir dieser Ort wichtig und ich schätze es sehr, dass | |
ich einen Platz habe, zu dem ich manchmal hingehen kann. Ich fuhr also | |
heute mit einem guten Freund dahin. Wir unterhielten uns auf der Fahrt über | |
dieses und jenes. Durch verschärfte Coronabestimmungen ist auch in Kigali | |
vieles anders. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich zum Grab gehen | |
kann. Zumal es im Grunde ein Denkmal ist. Dort liegen auch Politiker*innen, | |
die im Genozid als Erste umgebracht wurden. | |
Als wir dort ankamen, sagten uns die Soldaten, dass uns ein Dokument fehle, | |
um das Grab zu besuchen. Ich wusste nicht, dass ich einen Wisch brauche, um | |
meinen toten Vater zu besuchen. Nach den Soldaten mussten wir an Polizisten | |
vorbei. | |
## Tote werden nicht in Ruhe gelassen | |
Die verschärften [2][Sicherheitsvorkehrungen haben weniger mit Corona] und | |
mehr mit einigen Vorfällen zu tun: Grabschändungen, versuchte Attentate und | |
solche Sachen. Auch Tote werden nicht in Ruhe gelassen. Die Polizisten | |
sagten, dass ein Besuch ohne dieses Dokument nicht möglich sei. Dabei waren | |
wir schon drin. Wir hatten schon zwei Tore passiert. | |
Das Grab meines Vaters war nur wenige Meter von mir entfernt. Die | |
Polizisten ließen nicht mit sich reden. Wir haben ihre Vorgesetzten | |
angerufen und sie stellten sich quer und beriefen sich dabei auf geltende | |
Regeln und diesen Schein, den wir gebraucht hätten. Streng genommen haben | |
sie recht und ich werde nicht die Polizisten, die am Ende einer langen | |
Kette stehen, dafür verantwortlich machen. | |
Ich war erst traurig, dann wütend und habe mich zum Schluss nur gefragt, | |
seit wann Bürokratie alles übertrumpft. Es wird sehr viel Aufwand | |
betrieben, diese Orte der Erinnerung zu pflegen und zu bewachen. Das hat | |
alles sicherlich seine Berechtigung. Aber wenn Passierscheine die | |
Verbindung, die wir zu unseren geliebten toten Menschen aufrechterhalten | |
wollen, kappen, dann ist es an der Zeit, diese zu hinterfragen. | |
Und die Frage bleibt: Wie steht ist es um die Versöhnung, wenn | |
Gedenkstätten noch bewacht werden müssen. [3][Stehen diese Gedenkstätten] | |
für „Nie wieder“ oder sind sie eher ein Mahnmal der immer noch wirkenden | |
Gefahr? | |
24 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
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