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# taz.de -- Todestag vor 27 Jahren: Ein Brief an Papa
> Der 30. April ist der Todestag meines Papas. Nach 27 Jahren ist die
> Trauer nicht weniger – je älter ich werde desto schmerzhafter wird die
> Erinnerung.
Bild: Ich erinnere mich noch gut an dein Lächeln, Papa!
Am Freitag dem [1][30. April war dein Todestag]. Nun bist du 27 Jahre tot.
Eine lange Zeit. Lang genug, um über die Trauer hinwegzukommen? Natürlich
nicht, aber lang genug, dass man gelernt hat, damit umzugehen und sich
nicht davon zerreißen zu lassen. Dachte ich jedenfalls. Doch am Freitag war
alles anders und ich hab es nicht verstanden. Ich bin heulend aufgewacht
und heulend ins Bett gegangen. Sind 27 Jahre womöglich ziemlich kurz?
Je älter ich werde, desto schmerzhafter wird die Erinnerung. Das hat mir
keiner gesagt. Früher konnte ich mich besser zusammenreißen und ich dachte,
es wird mit den Jahren leichter. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen,
wenn ich als Teenager mit meinen Freundinnen in den Mai tanzen wollte. Ich
habe mich anfänglich nie getraut, Mama zu fragen, ob ich an dem Tag feiern
kann.
Dann hat sie gesagt: Mach einfach, wonach dir ist. Das hätte Papa so
gewollt. Nicht, dass du dich zu Hause einsperrst. Du denkst sowieso immer
an ihn und bist auch an anderen Tagen traurig. Du musst dich nicht zwingen,
am 30. April traurig zu sein. Ich wollte abwinken und entgegnen, dass ich
mich nicht zwinge, traurig zu sein, sondern mich manchmal zwinge, fröhlich
zu sein. Aber ich war froh um die Absolution.
Letzten Freitag habe ich also versucht zu arbeiten, zu funktionieren. Doch
zwischendurch konnte ich die Tränen nicht zurückhalten und musste
Telefonate und Videokonferenzen hastig zu Ende bringen. Ich hätte auch
jederzeit aufhören können zu arbeiten, aber irgendwie wollte ich es mir auf
eine perverse Art und Weise beweisen. Und überhaupt: Haben Kollegen,
Freunde und andere [2][auch nach 27 Jahren Verständnis]? Haben sie
natürlich. Trotzdem wurde ich diese Stimme nicht los. Ja, Verständnis haben
sie. Aber doch nicht für einen Todesfall, der 27 Jahre her ist. Warum gehen
wir auch in der Trauer so hart mit uns selbst ins Gericht?
## Es könnte viel schlimmer sein
Ich habe viel an dich gedacht, an das, was mir an Erinnerungen noch übrig
geblieben ist. Ich habe mir Mühe gegeben, mich dabei nicht auf die Dinge zu
konzentrieren, die mit der Zeit verblasst sind. Ich weiß zum Beispiel nicht
mehr, wie dein Gang war, und auch nicht mehr, wie deine Hände rochen. Ich
erinnere mich an dein Lächeln. Vielleicht, weil ich viele Fotos von dir
habe, aber wenige Videos.
Am Freitag war ich nur traurig und wütend. Oft, wenn ich traurig werde,
wechsle ich automatisch in einen merkwürdigen Dankbarkeits-Modus. Dann
tanzen folgende Sätze in meinem Kopf herum: Sei froh, dass Amelia, Amanda,
Mama, Tanten und Cousinen überlebt haben. Sei froh, dass es euch gutgeht.
Es könnte viel schlimmer sein.
Ja, es stimmt natürlich, dass alles viel schlimmer sein könnte. Aber am
Freitag wollte ich einfach traurig und wütend sein. Ich wollte auf
Dankbarkeit scheißen und alle Menschen anschreien. Wie könnt ihr es wagen,
so weiterzumachen, als wäre nichts passiert, als wärst du nicht für immer
weg?
5 May 2021
## LINKS
[1] /Genozid-Massengraeber-in-Ruanda/!5757060
[2] /Erinnerungen-an-Ruanda/!5677833
## AUTOREN
Anna Dushime
## TAGS
Kolumne Bei aller Liebe
Tod
Trauer
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