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# taz.de -- Erinnerung an den Genozid in Ruanda: 28 Jahre fühlen sich an wie g…
> Der Genozid an den Tutsis jährt sich. Unsere Kolumnistin bereitete sich
> innerlich auf den Jahrestag vor. Jedes Jahr verlief anders.
Bild: Mauer mit den Namen der Opfer am Kigali Genocide Memorial
Am Donnerstag, dem 7. April, jährte sich der Genozid an den Tutsis zum 28.
Mal. 28 Jahre ist eine lange Zeit. Wie die ruandische Filmproduzentin und
Schauspielerin Nibagwire Dida twitterte: 28 Jahre fühlt sich an wie
gestern.
In 28 Jahren, die seit dem Genozid vergangen sind, gleicht kein Jahr dem
anderen. Manche Jahre habe ich es geschafft, mich abzulenken, und manchmal
habe ich still gelitten, weil ich mir nicht rechtzeitig freinahm oder es
nicht mit Arbeitskollegen teilen wollte. Seitdem es WhatsApp gibt, schreibe
ich manchmal in die Familiengruppen. Meist nur einen Satz: Wir denken an
euch. Und fast immer kommt zurück: Und wir auch an euch. Bleibt stark. Ihr
auch.
Dieses Mal war ich die ganze Woche schon merkwürdig drauf, als ob sich mein
Körper und meine Seele darauf vorbereiteten. Kann man sich auf so etwas
vorbereiten? Die Antwort ist wahrscheinlich Nein. Doch habe ich es
versucht. So ein bisschen, wie wenn man beim Umzug das zerbrechliche
Porzellan in Tücher oder Papier wickelt. Am Montag begann ich mein Herz in
Tücher zu wickeln, ich vermied es, Nachrichten zu schauen, weil die
[1][Bilder aus Butscha] mich an Kigali erinnerten.
Die Massengräber, die Leichen auf den Straßen. Ich versuchte mich mit
Arbeit abzulenken und an schöne Sachen zu denken. Ich hatte ein schlechtes
Gewissen, dass ich das Privileg habe zu entscheiden, ob ich hinschaue oder
nicht. Ich beschloss, doch Nachrichten zu lesen. Die Bilder mied ich
weiterhin. Selbstschutz, sagte ich mir immer wieder. Aber was machen die
Menschen in Butscha und anderswo, die das, was mir zu grausam ist
anzuschauen, erleben müssen?
## Ich lebe mit ihren Erinnerungen
Ich dachte an meine Großeltern, die im Genozid 1994 umgebracht wurden. Und
überhaupt alle Menschen, die in Kriegen sterben. Obwohl sie ja nicht
einfach sterben. Sie werden umgebracht. Es ist wichtig, präzise zu sein.
Sterben klingt natürlich, unvermeidbar. Als Teenager habe ich mich nie
getraut, das auszusprechen. Meine Familie wurde umgebracht. Ich fand es zu
hart, ich wollte mich und vor allem meine Freunde schonen.
Ich fand Erinnerung schwer und Gedenkveranstaltungen haben mir Angst
gemacht, eine Zeit lang sagte ich mir sogar, dass ich sie nicht brauche.
Mir kann niemand vorschreiben, wann ich zu trauern habe. Ich denke ohnehin
ununterbrochen an meinen Vater, meine Tanten, meine Großeltern.
Mein Wohnzimmer ist voller Bilder. Früher dachte ich, diese Bilder gehören
in ein eigenes Zimmer oder in mein Schlafzimmer. Aber im Wohnzimmer
verbringe ich sehr viel Zeit und dort lebe ich. Und ich lebe inzwischen
gerne mit meinen Erinnerungen, mit meinen Toten. Weil es meine sind und
weil sie zwar nicht mehr leben, aber irgendwie schon. Ich trage ihre Gene
in mir, ihre Angewohnheiten. Ich mag mich, 28 Jahre später, nicht mehr an
ihre Stimmen oder Gerüche erinnern, aber ich trage sie immer in mir. Und
das versöhnt mich. Nicht mit ihrem Tod, aber mit der Erinnerung an sie.
10 Apr 2022
## LINKS
[1] /Debatte-ueber-Fotos-aus-Butscha/!5844768
## AUTOREN
Anna Dushime
## TAGS
Kolumne Bei aller Liebe
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Ruanda
Erinnerung
Trauer
Genozid
GNS
Afrobeat
Kolumne Bei aller Liebe
Schwerpunkt Afghanistan
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