# taz.de -- Über Abschiede und Wiedersehen: Vermissen ist Sehnsucht | |
> Unsere Autorin hat sich das Vermissen abtrainiert, um sich selber zu | |
> schützen. Mittlerweile lässt sie die Gefühle zu, schließlich gehören sie | |
> dazu. | |
Bild: Es tut manchmal weh, aber es lohnt sich immer: Das Vermissen geliebter Me… | |
Neulich habe ich gemerkt, dass ich mir in mühevoller, jahrelanger Arbeit | |
das Vermissen abtrainiert habe. Ja es klingt komisch, ist aber wirklich so. | |
Als Kind waren Abschiede das allerschlimmste, weil sie fast immer definitiv | |
waren. Der Abschied geliebter Menschen, [1][die im Genozid umgebracht | |
wurden]. Der Abschied von meiner Familie als wir nach Deutschland zogen und | |
so weiter. Symbol für diese Abschiede waren Friedhöfe und Flughäfen. Beides | |
Orte, die ich bis heute eher so mittel finde, aber wer mag schon Friedhöfe. | |
Als Kind habe ich mir mal bei einer Beerdigung fest vorgenommen, keine | |
Verbindung mehr zu alten Menschen aufzubauen, weil sie bald darauf sterben | |
und wir uns voneinander verabschieden müssen. Das schien mir das einzig | |
logische zu sein. In meinem Leben waren Abschiede immer eine | |
Massenveranstaltung. Ich hab mich, wie eingangs erwähnt, selten nur von | |
einer Person verabschiedet. Als im Genozid mein Vater umgebracht wurde, | |
wurden im selben Zeitraum auch meine Tanten, Onkeln, Cousinen und Nachbarn | |
ermordet. Als wir [2][aus Ruanda wegzogen], verabschiedeten wir uns von | |
allen Freunden und Verwandten gleichzeitig. | |
Irgendwann um diese Zeit muss ich angefangen haben, mir das Vermissen | |
abzutrainieren. Was für ein unnötiges und unproduktives Gefühl, sagte ich | |
mir dann. Bringt es die Menschen, die man vermisst, ja nicht zurück. Ich | |
entwickelte einen regelrechten Stolz darauf, dass ich ja nie Heimweh hätte | |
oder Menschen vermissen würde. | |
## Auch das Versprechen auf ein Wiedersehen | |
Die letzten zwei Jahre haben mich gezwungen, viel über meine eigenen | |
Gefühle und Gewohnheiten nachzudenken. Kürzlich flog ein Mensch, der mir | |
viel bedeutet, für ein paar Wochen weg und weil es schon so lange her ist, | |
dass ich mich von jemandem verabschiedet habe, griff meine | |
Automatische-vermissen-Abwehr nicht. Ich ließ dieses unproduktive und | |
unnötige Gefühl aus Versehen zu. Was soll ich sagen: Ich wusste nicht, dass | |
man vermissen vermissen kann. Ich hatte es fast verlernt, aber war froh zu | |
sehen, dass es scheinbar nie ganz weggeht. Und darüber bin ich sehr froh, | |
auch wenn ich gerade traurig im Bett liege. | |
Vermissen ist Sehnsucht aber auch das Versprechen auf ein Wiedersehen. Und | |
Vorfreude. Es tut manchmal weh, aber es lohnt sich immer. Ich bereue die | |
letzten Jahre, in denen ich mir aus falsch verstandener Härte dieses Gefühl | |
verweigert habe. Ich gebe ungern Kontrolle ab und vermissen ist der | |
ultimative Kontrollverlust. | |
Ich bin durch meine Wohnung gelaufen und bin dramatisch am Fenster stehen | |
geblieben. Ich weiß nicht warum, aber wenn es einen guten Zeitpunkt gab, | |
sich das vermissen und aushalten dieser Gefühle wieder anzutrainieren, dann | |
ist es wohl jetzt. Es liegt so auf der Hand, jetzt abgestumpft zu sein, | |
aber wir brauchen diese Sehnsucht und Hoffnung jetzt gerade mehr denn je. | |
16 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
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