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# taz.de -- Grünen-Fraktion schließt Mitglied aus: Auftritt mit Folgen
> Bei der „Querdenken“-Demo in Berlin stellte sich der Flensburger Grüne
> David Claudio Siber in einer Rede gegen seine Partei. Diese reagiert nun.
Bild: Der Grüne bekam viel Applaus von rechts: Reichsflaggen vor dem Bundestag…
Neumünster taz | Braunes Haar, Brille, modischer Bart und ein weißes Hemd
mit locker hochgekrempelten Ärmeln, so trat David Claudio Siber am
vergangenen Sonnabend auf die Bühne vor die Menschenmenge im Berliner
Regierungsviertel. Der Flensburger stellte sich als „verheirateter
Familienvater, Student der Politik- und Kulturwissenschaften“ vor – und als
Mitglied der Grünen. Dafür gab es Pfiffe und Buh-Rufe aus dem Publikum, so
zeigt es [1][ein Youtube-Video der Veranstaltung], die sich gegen die
Maßnahmen gegen die Coronapandemie richtete und von Rechtradikalen als
Bühne genutzt wurde.
Rund 20 Minuten sprach Siber und die Menge, die ihn zuerst ausgebuht hatte,
jubelte ihm bald zu. Denn der Flensburger beschrieb sich als „kritisch und
unbequem“, weil er versucht habe, „in meiner Partei einen kritischen Blick�…
auf den Umgang mit der Pandemie zu liefern. Aber „jeder Versuch wurde
abgeblockt, ich wurde stigmatisiert und ausgegrenzt“, beklagte sich Siber
auf der Bühne.
Immer wieder habe er Studien und „Fakten-Papiere“ an Parteimitglieder aller
Ebenen geschickt, dafür sei er „als Verschwörungstheoretiker bezeichnet“
worden. Weder Opposition noch Medien würden angesichts der Coronakrise ihre
Aufgabe erfüllen, so Siber weiter. Grünen-Abgeordnete hätten sich bei ihren
Entscheidungen auf „Wissenschaftler der Regierung verlassen“, seine
Einwände dagegen „wurden mit Gelächter quittiert“.
Die Rede wurde schnell über soziale Kanäle geteilt, den Flensburger
Kreisverband der Grünen erreichten zahlreiche Kommentare. Am Montagabend
beschloss die Ratsfraktion, den Studenten von seinen Ehrenämtern
auszuschließen. „Das Vertrauen der Fraktion ist erschüttert“, sagt die
Landesvorsitzende der Partei, Ann-Kathrin Tranziska, der taz: „Innerhalb
der Gremien eine andere Meinung zu vertreten als die Mehrheit, ist etwas
ganz anderes, als sich bei einer Demo hinzustellen, bei der Mitglieder der
AfD und Reichsbürger teilnehmen, und dort öffentlich gegen die Partei zu
wettern und aus parteiinternen Runden zu zitieren.“
Sibers Haltung sei bereits länger bekannt, berichtet Marlene
Langholz-Kaiser, Kreisvorsitzende in Flensburg. „Es kam aber für uns
überraschend, dass er auf der Demo aufgetreten ist.“ In den vergangenen
Monaten habe es bei verschiedenen Anlässen Versuche gegeben, mit Siber zu
diskutieren und ihn einzubinden: „Das war offensichtlich nicht
erfolgreich“, sagt Langholz-Kaiser. Die Studien und „Fakten-Papiere“, die
Siber in seiner Rede erwähnt, seien Texte, „die im Netz kursieren“.
Die Entscheidung, David Claudio Siber aus der Fraktion auszuschließen, fiel
bei einer Sitzung am Montagabend. Dafür reicht eine interne Abstimmung,
denn als bürgerliches Mitglied ist Siber nicht gewählt. „Die Hürde ist
nicht hoch, man will ja, das Leute in die Kommunalpolitik
hineinschnuppern“, sagt Langholz-Kaiser. Siber gehörte dem Bildungs- und
dem Sicherheitsausschuss der Stadt an, war allerdings in beiden nur
Stellvertreter, so dass es nicht zu einer Vakanz kommt.
Erst wenige Monate war Siber dabei, wie oft er in dieser Zeit an Sitzungen
teilnahm, kann Langholz-Kaiser nicht sagen. „Es war teilweise zu lesen, er
habe für diese Rede auf seine politische Karriere verzichtet – das finde
ich etwas schräg, das hat mich etwas geärgert“, sagt die Kreisvorsitzende.
Ob es in der Folge auch zum Parteiausschluss kommt, sei zurzeit noch offen,
sagt Landesvorsitzende Tranziska: „Ich hoffe auf seine eigene Erkenntnis,
dass es keinen Sinn macht, Mitglied einer Partei zu sein, wenn alle anderen
Dinge anders sehen als er.“
2 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=CusPfJDoiGE
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Flensburg
Grüne Schleswig-Holstein
Parteiausschluss
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