| # taz.de -- Rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln: Nazi-Prozess vertagt | |
| > Huldigung an Heß: Zwei Hauptverdächtige der Neuköllner Anschlagsserie | |
| > wurden am Montag wegen Nazi-Propaganda und Sachbeschädigung angeklagt. | |
| Bild: Offenbar große Heß-Fans: Sebastian T. (rechts) und Tilo P. (noch weiter… | |
| Berlin taz | Schon vor Prozessbeginn gegen zwei Neuköllner Neonazis ist die | |
| Stimmung im Neubau des Amtsgerichts Tiergarten angespannt. Einer der | |
| Angeklagten, Sebastian T., erscheint vermummt in Kapuze und Mundschutz. Auf | |
| der Nase eine Brille mit dünnem Rand, unter der Kapuze kurzgeschorene Haare | |
| und Dreitagebart. Kurz vor Verhandlungsbeginn beginnt T. damit, auf dem | |
| Flur Fotos von Journalist:innen und zum Prozess gekommenen Zuschauer:innen | |
| zu machen. | |
| Wenig später trifft auch sein Kamerad Tilo P. ein, der sein Gesicht hinter | |
| einem Jutebeutel verbirgt. Er ist groß und übergewichtig, trägt zur Tarnung | |
| Sonnenbrille, Kapuze und Mundschutz. Der 37-Jährige ist ehemaliges Mitglied | |
| der AfD Neukölln. Auch P. filmt später während einer Verhandlungspause mit | |
| seinem Handy Zuschauer:innen und Journalist:innen ab. | |
| Die beiden sind bekannt für Anti-Antifa-Arbeit, also das Ausspähen | |
| vermeintlicher politischer Gegner. Als sie 2018 das Auto des [1][linken | |
| Kommunalpolitikers Ferat Kocak ausspähen], brennt es wenige Tage später. | |
| Bei einer Hausdurchsuchung wurden auf T.s Computer [2][Feindeslisten mit | |
| Daten zu über 500 Personen] gefunden. | |
| Die beiden Rechten wurden am Montagvormittag vor dem Amtsgericht Tiergarten | |
| angeklagt. Allerdings nicht für die schweren Brandstiftungen und über 70 | |
| Taten der [3][Neuköllner Anschlagsserie], zu denen die Behörden seit 2016 | |
| weitgehend ergebnislos ermitteln. T. und P. zählen zu den Hauptverdächtigen | |
| im Neukölln-Komplex. | |
| ## SS-Runen und Rudolf-Heß-Konterfei | |
| Angeklagt sind sie nun nur für Sachbeschädigungen und Propagandadelikte aus | |
| einer Nacht von 2017, welche ein Observationsteam der Polizei beobachtet | |
| hat. Beiden wird unter anderem das Verwenden der Kennzeichen von | |
| NS-Organisationen sowie erhebliche Sachbeschädigung vorgeworfen. Darauf | |
| stehen Freiheitsstrafen von maximal drei, beziehungsweise zwei Jahren oder | |
| Geldstrafen. | |
| Zwölf Mal sollen die beiden in der Nacht zum 19. August 2017 in Südneukölln | |
| Parolen wie „Mord an Heß“ – teilweise mit SS-Runen geschrieben – sowie… | |
| einer Schablone das Konterfei des Hitler-Stellvertreters gesprüht haben. | |
| Dazu sollen sie AfD-Sticker verklebt haben. Beobachtet wurden sie dabei | |
| laut Anklageschrift von verdeckten Observationskräften, die T. als | |
| Verdächtigen nach schweren Brandanschlägen überwachten. | |
| T. und P. sagten selbst nicht zur Sache aus und überließen ihren | |
| Rechtsanwälten Carsten Schrank und Lars Giesecke (Vertretung für Andreas | |
| Junge) das Reden. Doch zur Vernehmung der elf geladenen Zeugen, allesamt | |
| Polizisten, kam es nicht. Inmitten der zweiten Zeugenvernehmung wurde der | |
| Prozess nach zwei Stunden Verhandlung vertagt, weil die Ermittler nur eine | |
| beschränkte Aussagegenehmigung hatten. | |
| Diese soll im Laufe des Verfahrens nun in Abstimmung mit der | |
| Innenverwaltung von Senator Andreas Geisel (SPD) erweitert werden, sodass | |
| Unstimmigkeiten im Ablauf des Abends aufgeklärt werden könnten, sagte die | |
| Richterin Marieluis Brinkmann. Der Prozess werde an einem noch unbestimmten | |
| Termin fortgeführt. | |
| ## Sebastian T. und Tilo P. auf frischer Tat ertappt | |
| Immerhin hatten die beiden bis dahin vernommenen Polizisten zumindest | |
| eindeutige Aussagen zur Tatnacht getroffen. Einer hatte die beiden während | |
| mehrerer Taten beschattet und sogar direkt beim Sprühen beobachtet. Ein | |
| anderer Polizist hatte T. und P. beim Kleben von AfD-Stickern beobachtet. | |
| Zu allen Tatorten gibt es zudem Fotos, die die Polizei angefertigt hatte. | |
| Eine Frage im weiteren Prozess wird allerdings sein, inwiefern die aus der | |
| Observation gewonnen Beweismittel überhaupt gültig sind. Die Verteidigung | |
| argumentierte, dass diese Zufallsfunde aus dem Verfahren wegen schwerer | |
| Brandstiftung gegen T. gewesen seien und entsprechend nicht verwertbar | |
| seien. | |
| Eine Rechtsauffassung, die im Vorfeld des Prozesses zum Teil auch vom | |
| Amtsgericht vertreten wurde, indem es das Verfahren zunächst nicht eröffnen | |
| wollte ([4][taz berichtete]). Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft | |
| beim Landgericht wurde die Anklage allerdings zugelassen: Es gebe ein | |
| besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, weil das Gedenken | |
| und die positive Würdigung von Rudolf Heß die Würde der Opfer des | |
| Nationalsozialismus verletzten. | |
| Die antifaschistische Initiative Neukölln Watch kritisierte die Vertagung | |
| und fragte: „Wie kann es sein, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht darum | |
| gekümmert hat, dass die beteiligten LKA-Beamten ausreichende | |
| Aussagegenehmigungen haben?“ Sie warf der Staatsanwaltschaft vor, gegenüber | |
| Rechten befangen zu sein. | |
| Grund für Misstrauen gibt es mittlerweile genug, denn die Ermittlungen im | |
| Neukölln-Komplex sind durchzogen von fragwürdigen Umständen: Bekannte | |
| [5][Opfer wurden nicht gewarnt], die Verdächtigen hatten direkte | |
| [6][Verbindungen und Kontakte zur Polizei]. Selbst zwei für die | |
| Ermittlungen zuständige Staatsanwälte wurden zuletzt wegen des | |
| [7][Verdachts auf Befangenheit] versetzt. Mittlerweile ermittelt Berlins | |
| Generalstaatsanwaltschaft. | |
| 31 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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