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# taz.de -- Vorgetäuschter Antifa-Überfall: Ein perfides Schauspiel
> Ein 26-jähriges Hamburger AfD-Mitglied inszenierte einen Überfall der
> Antifa auf sich selbst. Nun wurde der psychisch erkrankte Mann
> verurteilt.
Bild: Was Jonas K. gefunden haben wollte, hatte er selbst ausgedruckt
Hamburg taz | Es wirkt wie eine politisch motivierte Tat, doch am Ende
bleiben die Motive nebulös. Vergangenen September rief Jonas K. gleich
dreimal mitten in der Nacht den polizeilichen Notruf an. Er behauptete, in
seiner Wohnung in Hamburg-Wilsdorf von Unbekannten überfallen worden zu
sein. Sie hätten Schüsse vor seiner Wohnung abgegeben, das
Terrasseninterieur demoliert, mitgebrachte Flugblätter verstreut und
teilweise angezündet.
Auf diesen Flugblättern findet die herbeigerufene Polizei Drohungen gegen
das angebliche Überfallopfer, unterzeichnet von der [1][Antifa Altona-Ost].
„Wir schneiden euch die Kehlen auf!“, steht da und auch: „Hier wohnt ein
Nazi!“ Seine Freundin von der er sich gerade getrennt habe, habe ihm, der
Mitglied der AfD ist, aus Rache die Antifa auf den Hals gehetzt, behauptet
der sichtlich angetrunkene 26-Jährige gegenüber den von ihm herbeigerufenen
Polizisten.
Doch schon die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass Jonas K. gar keinen
nächtlichen Besuch erhalten hat, sondern den angeblichen Überfall selbst
inszeniert hat, die Hass-Flugblätter selbst verfasst und gedruckt hat und
die Schüsse aus seiner Waffe selber abgefeuert hat. Vor wenigen Wochen
bekam er deshalb einen Strafbefehl: 120 Tagessätze à 20 Euro soll der
Arbeitslose wegen des Vortäuschens einer Straftat in Tateinheit mit dem
Missbrauch von Notrufen zahlen.
Nur gegen die Höhe des Strafbefehls legte sein Anwalt Uwe Maeffert
Rechtsmittel ein. Am Mittwoch kam es deswegen vor dem Hamburg-[2][Harburger
Amtsgericht] zum Prozess.
Als „Unfug“, den er bereue, bezeichnet der Angeklagte im Gerichtssaal seine
Überfall-Inszenierung. Was ihn dazu trieb, diese Erklärung bleibt er
schuldig. Klar wird nur, dass es in seelischer Not passierte. Seit Jahren
arbeitslos, abhängig von Alkohol und wohl auch Tabletten, gequält von einer
psychischen Erkrankung – er selber spricht von paranoider Schizophrenie.
Dazu komme die frische Trennung von seiner Freundin und eine ebenso frische
Tumordiagnose. Mit einer halben Flasche Wodka und angstlösenden Tabletten
im Bauch, veranstaltet er das Terrassen-Theater und alarmiert die Polizei.
Die nimmt ihn als kaum fähig zu kommunizieren wahr, hat erst mal aber keine
massiven Zweifel an dem, was er noch berichten kann. Bis am nächsten Tag
eine Beamtin die Schreckschusspistole, mit der geschossen wurde, in einer
Schublade in seiner Wohnung findet.
Vor Gericht geht es vor allem um die Schuldfähigkeit, die Verteidiger
Maeffert für nicht gegeben hält, weswegen er für einen Freispruch plädiert
– nicht ohne anzumerken, im Falle einer Verurteilung solle das Strafmaß
doch zumindest unter 90 Tagessätzen liege. Das ist die Grenze für eine
amtliche Vorstrafe, die sich im polizeilichen Führungszeugnis
niederschlägt.
Während die Staatsanwältin bei 120 Tagessätzen bleibt – der Höhe des
angefochtenen Strafbefehls –, zeigt der Richter ein Einsehen. Er reduziert
die Strafe auf 70 Tagessätze à 10 Euro, da er „nicht ausschließen“ mag,
dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten durch den Einfluss von Alkohol,
Medikamenten und seiner psychischen Krankheit stark „eingeschränkt“ gewesen
sei. „Sie brauchen Hilfe“, schreibt er Jonas K., der zu Protokoll gibt, in
Therapie zu sein, ins Stammbuch.
Eine komplette Schuldunfähigkeit aber sieht der Richter nicht. Da die Tat
von langer Hand vorbereitet war, was die gedruckten Fake-Flugschriften
bewiesen, sei der Angeklagte nicht spontan ausgerastet.
Die konkreten Motive von Jonas K. aber bleiben im Dunkeln. Wollte er seiner
Ex-Freundin eins auswischen oder doch eher der Antifa? Staatsanwaltschaft
und Verteidigung können nun erneut Rechtsmittel gegen die Strafzumessung
einlegen. Doch am Ende des Prozesstages schien es, dass beide Seiten froh
sind, dass das Verfahren einen Abschluss gefunden hat und wenig geneigt
sind, noch eine weitere Runde zu drehen. Ein Ende fand auch das Engagement
des Angeklagten bei der AfD: Vor einem dreiviertel Jahr trat er aus der
Partei aus.
3 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/Antifa-Altona-Ost-215810105824741/
[2] https://www.hamburg.de/behoerdenfinder/hamburg/11252035/
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Schwerpunkt Antifa
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Strafprozess
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Psychische Erkrankungen
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Sommerinterview
Neutralitätspflicht
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