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# taz.de -- Rechte Anschlagsserie Berlin-Neukölln: Das Tappen im Dunkeln
> Am Montag wird der Abschlussbericht der Sonderkommission in der
> Neuköllner Anschlagsserie vorgestellt. Fragen bleiben dennoch.
Bild: Ferat Kocaks Auto brannte – direkt neben der Gasleitung in seinem Wohnh…
Berlin taz | Das Ergebnis ist dünn. So viel ist schon vor der offiziellen
Vorstellung des Abschlussberichts der Sonderkommission Fokus am Montag im
Innausschuss des Abgeordnetenhauses klar. Bis zu 30 Polizeibeamt:innen
haben in der Sonderkommission BAO Fokus seit Mai 2019 Material ausgewertet
und sollten intensiv ermitteln. Doch das eigentliche Ziel – die Anklage und
Verurteilung der hauptverdächtigen Neonazis in der [1][Neuköllner
Anschlagsserie] – ist noch immer in weiter Ferne.
Schließlich ist den Sicherheitsbehörden, den Opfern und auch einer
kritischen Öffentlichkeit schon seit zweieinhalb Jahren bekannt, wer
höchstwahrscheinlich hinter den laut Polizei über 70 Anschlägen auf
zivilgesellschaftlich engagierte Menschen in Neukölln steckt: die lokal
aktiven Neonazis Sebastian T., Tilo P. und Julian B. Nur nachweisen konnten
ihnen die Behörden bislang nichts.
Das liegt auch an zahlreichen Fehlern und Fragezeichen in den Ermittlungen.
Zudem gab es Hinweise auf Verbindungen und Treffen von Polizist:innen und
den verdächtigen Neonazis. Zuletzt geriet sogar der für die Ermittlungen
zuständige Oberstaatsanwalt F. sowie ein ermittelnder Staatsanwalt in den
Verdacht, befangen zu sein, und wurde im Zuge dessen versetzt.
Mittlerweilte hat die [2][Generalstaatsanwaltschaft Berlin das Verfahren an
sich gezogen].
„Es muss ein Ruck durch die Sicherheitsbehörden gehen – damit Nazis sich
nicht mehr sicher fühlen können“, sagte Benedikt Lux, innenpolitischer
Sprecher der Grünen, der taz – auch mit Blick auf ein jüngst bekannt
gewordenes Detail, das erneut zeigt, wie zäh die Ermittlungen sind.
## „Wir wissen doch alle, wer die Autos anzündet“
So soll einer der Hauptverdächtigen, Tilo P., bereits kurz nach dem
Anschlag auf das Auto des linken Kommunalpolitikers Ferat Kocak ganz offen
nach einer Vernehmung beim LKA über den Mitverdächtigen Sebastian T. gesagt
haben: „Wir wissen doch alle, wer die Autos anzündet. Sie wissen das, ich
weiß das, alle anderen wissen das. Aber keiner kann es T. nachweisen.“ Das
berichtete der [3][RBB vergangenen Freitag] und berief sich dabei auf
vorliegende Ermittlungsakten.
Lux sagt dazu: „Auf der Sonnenallee jagt die Polizei unter dem Stichwort
Clankriminalität jedem Krümel unverzollten Schischa-Tabak hinterher. Ich
erwarte, dass auch deutlich mehr gegen Neonazis unternommen wird.“ Nicht
nur in Neukölln seien Nazis häufig im Rotlichtmilieu verankert, hätten mit
Drogen zu tun und seien alltagskriminell.
Angesichts des Stillstands in den Ermittlungen ist Lux umso empörter über
die Kriminalisierung der Opfer der Serie: Die Betroffenen-Initiative Basta
aus der von den Anschlägen besonders gebeutelten Hufeisensiedlung im Süden
Neuköllns demonstriert seit über einem Jahr jeden Donnerstag vor dem LKA in
Tempelhof, um Aufklärung und einen Untersuchungsausschuss zu fordern.
## Kundgebung einmal nicht angemeldet
Wie kritikfähig das LKA dabei ist, bewies es kürzlich mit einer Anzeige
gegen die Anmelderin zahlreicher dieser Kundgebungen. Diese habe es nämlich
einmal im Juli 2020 versäumt, die Kundgebung anzumelden. Nun läuft ein
Ermittlungsverfahren gegen die Frau, bei der Neonazis die Scheiben eines
Kinderzimmers mit Steinen eingeworfen, den Briefkasten gesprengt, Reifen
zerstochen und versucht haben, einen Brandanschlag zu verüben.
„Das ist empörend“, sagt Lux, „das sind liebe und nette Menschen aus Bri…
Das Verfahren zeigt, dass die Anzeigenden keinen souveränen Umgang mit
Kritik haben.“ Fachlich sei er sich zudem sicher, dass eine fahrlässige
Nicht-Anmeldung einer Kundgebung nicht strafbar sei – zumal von Vorsatz
hier keine Rede sein könne.
Niklas Schrader von der Linken äußerte sich zum Abschlussbericht in
ähnlicher Weise: „Die Ergebnisse der BAO Fokus sind ernüchternd.“ Es sei
viel angestellt worden, aber für wirklich neue Hinweise und Erkenntnisse
habe es nicht gereicht. Es brauche weiter eine unabhängige Untersuchung der
entscheidenden Fragen. Insbesondere sei auch zu prüfen, ob es
Kennbeziehungen zwischen einzelnen Polizeibeamten gegeben habe, die in dem
Komplex eine unrühmliche Rolle gespielt hätten.
## Betroffene fordern einen Untersuchungsauschuss
Davon gibt es genug: Ein LKAler soll sich in einer [4][rechten Szenekneipe
mit dem Hauptverdächtigen T.] getroffen haben. Ein Polizist und
AfD-Mitglied soll in einer [5][Chat-Gruppe P. mit geheimen Polizei-Infos]
versorgt haben. Ein Polizist, der früher als Vertrauensperson für
Geschädigte rechter Gewalt in Neukölln agierte, ist derzeit angeklagt, weil
er aus [6][rassistischen Motiven einen Afghanen verprügelt haben soll].
Auch [7][erklärungsbedürftige Datenabfragen] von späteren Opfern von
Sachbeschädigungen hat es wohl gegeben, wie die Datenschutzbeauftragte
bemängelte.
Schrader plädiert weiter für einen Untersuchungsausschuss noch in dieser
Legislaturperiode. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte demgegenüber
allerdings bereits eine Sonderkommission mit externen Ermittler:innen
angekündigt. Genug Fragen wird es auch nach der Veröffentlichung des
Abschlussberichts geben. Ferat Kocak, Kommunalpolitiker der Linken, dessen
Auto im Februar 2018 brannte, sagt der taz: „Wenn Geisel schon wieder eine
neue Ermittlungsgruppe einrichtet, ist das für uns nur Betroffene ein
Wortspiel. Was soll denn die neue Sonderkommission anders machen?“
Kocak und weitere Betroffene fordert seit langem einen
Untersuchungsausschuss unter zivilgesellschaftlicher Beteiligung: „Damit
wir wieder Vertrauen gewinnen können und verstehen können, was da passiert
ist“, wie Kocak sagt. Auch das jüngst bekannt gewordene Zitat von P.
bestärke ihn in der Auffassung, dass man der Polizei bei der Aufklärung auf
die Finger schauen müsse: „Die fühlen sich im Umfeld der Polizei
anscheinend so sicher, dass sie folgenlos solche halben Geständnisse
machen.“
27 Sep 2020
## LINKS
[1] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550
[2] /Rechte-Anschlagsserie-in-Berlin-Neukoelln/!5708695
[3] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/09/berlin-neukoelln-rechtsextreme…
[4] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/04/berlin-lka-beamter-treffen-neo…
[5] /Ermittlungen-gegen-Berliner-Beamten/!5690788/
[6] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5707119
[7] /Rechte-Anschlagsserie-in-Berlin-Neukoelln/!5707258
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Neonazis
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