| # taz.de -- Homophobe Aussagen: Geldstrafe für Evolutionsbiologen | |
| > Das Amtsgericht Kassel hat einen Professor zu einer Strafe von 6.000 Euro | |
| > verurteilt. Er hatte Homosexuelle als „Kinderschänder“ verunglimpft. | |
| Bild: Will gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen: Biologieprofessor Ulrich Kut… | |
| Kassel taz | Wegen Beleidigung und der Herabwürdigung von Homosexuellen hat | |
| das Amtsgericht Kassel am Montag den [1][Biologieprofessor Ulrich | |
| Kutschera] zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 100 Euro verurteilt. | |
| Damit ahndet das Gericht ein Interview mit dem Onlineportal kath.net, in | |
| dem der umstrittene Hochschullehrer gegen die „Ehe für alle“ polemisiert | |
| hatte. Die Homo-Ehe eröffne ein „mögliches Horror-Kinderschänder-Szenario�… | |
| hatte er da argumentiert, ein mögliches Adoptionsrecht hatte er als | |
| „staatlich geförderte Pädophilie mit schwerstem Kindesmissbrauch“ | |
| bezeichnet. Es war nicht das erste Mal, dass Kutschera mit drastischen | |
| Aussagen auffiel. Er hatte 2015 Gendermainstreaming [2][als „Krebsgeschwür“ | |
| bezeichnet]. | |
| Diese Formulierungen seien geeignet, insbesondere Homosexuelle mit | |
| Kinderwunsch herabzuwürdigen, sagte Amtsrichter Henning Leyhl in seiner | |
| Urteilsbegründung am Montag; Kutschera habe das Mäßigungsgebot missachtet. | |
| Die Staatsanwaltschaft hatte 150 Tagessätze und damit eine deutlich höhere | |
| Geldstrafe wegen Volksverhetzung, Verleumdung und Beleidigung gefordert. | |
| Für den Tatbestand der Volksverhetzung fehle es an der öffentlichen | |
| Wirkmacht, urteilte indes der Amtsrichter. | |
| Das ist insofern bemerkenswert, als das Interview bundesweite Empörung | |
| ausgelöst hatte. Auch an diesem vorerst letzten Verhandlungstag gab es | |
| öffentlichen Protest. Der Asta der Universität Kassel hatte eine Kundgebung | |
| unter dem Motto „Rechte Hetze wegglitzern“ organisiert. | |
| Etwa 50 AktivistInnen verwandelten den Platz vor dem Amtsgericht in ein | |
| kleines Festivalgelände. Sie hatten Picknickdecken ausgebreitet. | |
| Regenbogen- und blau-weiß-rosa Transfahnen wehten, es gab Reden und Musik. | |
| Kilian Schüler, 20, klagte vor JournalistInnen, Kutschera spreche ihm mit | |
| seinen Thesen seine sexuelle Identität ab. Roland Ronge, 30, nannte | |
| Kutscheras Text „gruselig“; er fühle sich in seiner Würde verletzt. | |
| ## Eine „Hasseruption“ | |
| Im Gerichtsgebäude, im Saal D 105, trat mit dem Arzt und Psychotherapeuten | |
| Johannes Mattes einer derer auf, die Kutschera nach dem Interview wegen | |
| Beleidigung und Verleumdung angezeigt hatten. Er sei von dem Interview sehr | |
| aufgewühlt gewesen. „Es bedroht mich und meine Freunde“, sagte der | |
| 52-Jährige, der mit einem Mann verpartnert ist. „Ich bin bei ihm nicht ein | |
| Mensch, sondern ein Kinderschäderszenario“, empörte sich Mattes und nannte | |
| das Interview eine „Hasseruption“; Kutschera habe die rote Linie der | |
| Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit überschritten. | |
| Dessen Versuche, die Thesen mit angeblich wissenschaftlichen Fakten zu | |
| belegen, nannte Mattes eine Schutzbehauptung. Seine eigene Strafanzeige | |
| bezeichnete er als „Hilferuf“ an das Gericht und erinnerte in diesem | |
| Zusammenhang an die Zunahme von gewalttätigen Übergriffen gegen | |
| Homosexuelle und Trans-Personen. | |
| Kutschera plädierte wortreich in eigener Sache. Wie stets bei seinen | |
| Auftritten vor Gericht breitete er ein halbes Dutzend Bücher auf der | |
| Anklagebank aus, „Fachliteratur“, die seine Position angeblich stützten. | |
| Bei den Betroffen entschuldigte er sich zwar wegen seiner „durchaus | |
| deftigen Worte“. Er habe nicht Homosexuelle diskriminieren wollen, ihm gehe | |
| es ausschließlich um das Kindeswohl, so der Biologe. | |
| Es sei nun einmal wissenschaftlich erwiesen, dass für die psychische | |
| Gesundheit von Kindern das Zusammenleben mit einem leiblichen Vater und | |
| einer weiblichen Mutter zwingend erforderlich sei; „90 % der Mädchen, die | |
| sich selbst verletzen, leben nicht mit ihrem Vater oder einer männlichen | |
| Bezugsperson zusammen“, argumentierte Kutschera. Zum vermeintlichen Beleg | |
| seiner Aussage hielt er ein Foto mit einem geritzten Kinderarm hoch. Nicht | |
| vor gewalttätigen Übergriffen in Patchworkfamilien habe er warnen wollen, | |
| sondern von der Wahrscheinlichkeit vorgeblich einvernehmlicher sexueller | |
| Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern. | |
| ## Kommt jetzt das Disziplinarverfahren der Uni? | |
| Doch Staatsanwältin Josefine Köpf hielt dagegen. Sie nannte Kutscheras | |
| Interview einen Angriff auf die Menschenwürde. Homosexuelle mit | |
| Kinderwunsch würden als mögliche Kinderschänder unter Generalverdacht | |
| gestellt; es sei verständlich, dass sich Menschen dadurch vor den Kopf | |
| gestoßen fühlten. Die Unterstellung, eine bestimmten Personengruppe weise | |
| pauschal eine höhere Neigung zu Straftaten auf, sei weder von der Meinungs- | |
| noch von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt; „der Tatnachweis der | |
| Volksverhetzung ist erbracht“, plädierte die Staatsanwältin. | |
| Auf das Urteil gab es noch am Abend Reaktionen aus der Hochschule. Es sei | |
| wichtig, dass anders als beim ersten Anlauf vor Gericht diesmal ein Urteil | |
| ergangen sei, sagte die Asta-Vorsitzende Sophie Eltzner der taz; sie rechne | |
| jetzt mit einem Disziplinarverfahren gegen den Hochschullehrer. | |
| „Diskriminierung, Beleidigung von Minderheiten und diverser Lebensformen | |
| gehören nicht an die Universität Kassel“, distanzierte sich deren Präsident | |
| Professor Reiner Finkeldey einmal mehr von Kutschera; Finkeldey versicherte | |
| zugleich, die Nachfolge des vor der Pensionierung stehenden | |
| Hochschullehrers sei „auf einem guten Weg, denn ein Ruf wurde erteilt“; bis | |
| zur Rechtskraft eines Urteils ruhe allerdings jedes Disziplinarverfahren. | |
| Es ist nicht ausgeschlossen, dass das noch dauert. Nach dem Urteil in | |
| erster Instanz kündigten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung | |
| die rechtliche Prüfung der Urteilsbegründung an. Beide Streitparteien | |
| behielten sich ausdrücklich vor, Rechtsmittel einzulegen. | |
| Aktualisiert am 05.08.2020. In einer früheren Version stand, der Angeklagte | |
| sei zu 30 Tagessätzen über jeweils 100 Euro verurteilt worden, tatsächlich | |
| waren es aber 60 Tagessätze über 100 Euro. Die Summe beträgt damit 6000 | |
| statt 3000 Euro. | |
| 4 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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